Globales Energie-Dilemma: Warum die IEA nun eine "fossile Renaissance" befürchtet

Globales Energie-Dilemma: Warum die IEA nun eine "fossile Renaissance" befürchtet
Die IEA sieht fossile Energien bis 2050 im Aufwind – und verabschiedet sich still vom 1,5-Grad-Ziel.

Der jährliche World Energy Outlook (WEO) der Internationalen Energieagentur (IEA) für das Jahr 2025 hat die globale Energiediskussion schockiert. Der in Paris ansässige Thinktank, der sich in den letzten Jahren vehement für einen raschen Abschied von Öl und Gas ausgesprochen hatte, vollzieht eine beachtliche, wenn auch höchst politische Kehrtwende.

 Die IEA, die zuvor erklärt hatte, dass Investitionen in neue fossile Projekte eine "vergebene Chance" seien und die Ölnachfrage noch in diesem Jahrzehnt ihren Höhepunkt erreichen werde, präsentiert nun im neuen Bericht ein Szenario (von insgesamt vier), in dem der globale Durst nach Erdöl mindestens bis 2050 weiter steil ansteigt.

Für Klimaschützer, die auf eine Eindämmung der Erderwärmung hoffen, ist dieser Bericht zweifellos ein Schlag ins Gesicht.

Die Kehrtwende: Politik überlagert Prognosen

Der Hintergrund dieser drastischen Kurskorrektur ist politisch: Die USA sind der größte Geldgeber der IEA. Unter US-Präsident Donald Trump, der am großen Comeback der Fossilen feilt und Erneuerbare aktiv attackiert, ist der Druck auf IEA-Chef Fatih Birol gestiegen. Republikaner drohten zuletzt offen damit, den Geldhahn abzudrehen.

Die Konsequenz war eine methodische Neuausrichtung des Ausblicks:

Die IEA reaktivierte das "Current Policies Scenario" (CPS), das in früheren Ausgaben eingestellt worden war. Das CPS basiert auf einer "engen Auslegung" der aktuellen politischen Vorgaben und berücksichtigt nur Maßnahmen, die bereits gesetzlich oder regulativ verankert sind. Es nimmt zudem eine "generell vorsichtige Perspektive" hinsichtlich der Geschwindigkeit an, mit der neue Technologien eingeführt werden. Dieses Szenario, das den Wind- und Solarboom bisher stark unterschätzte, führt nun zu Ölbedarfsprognosen, die sich "weitgehend mit den Prognosen der Opec decken".

Die IEA verzichtete auf das Szenario der "angekündigten Zusagen" (Pledges Scenario), da nicht genügend Länder neue Verpflichtungen eingereicht hatten, um ein aussagekräftiges Bild zu erstellen. Die IEA betont aber auch, dass keines der Szenarien eine Vorhersage (forecast) sei. 

„Es gibt nicht nur eine mögliche Zukunft für die globale Energiewelt, sondern mehrere“, sagt Birol. „Was kommt, liegt an den Regierungen.“

Vier Möglichkeiten unserer Zukunft: Von 2,9 °C bis Hoffnung

Der WEO-2025 präsentiert vier Szenarien, die das volle Spektrum der globalen Energiepfade abdecken:

1. Current Policies Scenario (CPS) – Der Status quo

Im CPS, das den aktuellen politischen Stand (Status quo) fortschreibt, wird die Energiewelt von einem anhaltenden Verbrauch fossiler Brennstoffe dominiert.

KennzahlCPS-Pfad (bis 2050)
Öl- und Gas-NachfrageDie globale Ölnachfrage steigt von 100,0 Millionen Barrel pro Tag (mb/d) im Jahr 2024 auf 112,8 mb/d bis 2050. Die Nachfrage nach Erdgas steigt von 4.254 bcm auf 5.596 bcm. Dieser Anstieg wird vor allem durch den wachsenden Bedarf in der Petrochemie und der Luftfahrt getragen.
Erneuerbare EnergienDer Ausbau erfolgt langsam, da politische Anreize fehlen. Die Solarenergie-Kapazität (Solar PV) steigt von 2.164 GW (2024) auf 13.804 GW bis 2050. Die Gesamtkapazität der Erneuerbaren steigt auf 20.023 GW.
Globale Temperatur (bis 2100)Das Szenario führt zu einem globalen Temperaturanstieg von horrenden 2,9 °C über dem vorindustriellen Niveau.

2. Stated Policies Scenario (STEPS) – Die angekündigten Pläne

Das realistischere STEPS berücksichtigt alle geplanten politischen Maßnahmen und spiegelt die vorherrschende Richtung des Energiewandels wider.

KennzahlSTEPS-Pfad (bis 2050)
Öl- und Gas-NachfrageDie Ölnachfrage erreicht ihren Höchststand um das Jahr 2030 bei 100,4 mb/d und sinkt danach leicht auf 96,9 mb/d bis 2050. Die Nachfrage nach Erdgas steigt bis etwa 2035 (auf 4.770 bcm) und stagniert dann.
Erneuerbare EnergienSchnellerer Ausbau durch EVs und staatliche Mandate. Die installierte erneuerbare Kapazität wächst auf 22.940 GW bis 2050. Im Strommix steigt der Anteil der Erneuerbaren auf 69 %.
Globale Temperatur (bis 2100)Das Szenario führt zu einer Erwärmung von 2,5 °C

3. Net Zero Emissions by 2050 (NZE) Scenario – Das 1,5°C-Ziel

Das NZE-Szenario zeigt den ambitioniertesten Weg zur Klimaneutralität auf.

KennzahlNZE-Pfad (bis 2050)
Öl- und Gas-NachfrageMassiver Rückgang auf fast null. Der Anteil fossiler Brennstoffe am gesamten Energieangebot fällt auf nur 5 %. Viele der aktuell im Bau befindlichen LNG-Projekte wären in diesem Szenario nicht mehr notwendig.
Erneuerbare EnergienExplosiver Ausbau. Die installierte erneuerbare Kapazität vervierfacht sich bis 2035 auf 19.600 GW. Die Stromerzeugung wird bis 2050 zu 89 % aus Erneuerbaren gedeckt.
Globale Temperatur (bis 2100)Die Welt ist "vom Kurs abgekommen". Das Szenario sieht ein temporäres Überschreiten (overshoot) der 1,5 °C-Grenze vor. Die Temperatur steigt um 2050 auf rund 1,65 °C und kann nur durch den massiven Einsatz von CO₂-Entfernungstechnologien (wie DACS und BECCS) wieder auf unter 1,5 °C gesenkt werden.

4. ACCESS Scenario

Dieses Szenario konzentriert sich auf die Entwicklungsziele: Es beschreibt einen Pfad zum universellen Zugang zu Elektrizität bis 2035. Hier sind Solar-PV-Systeme zentral, insbesondere für netzunabhängige Lösungen.

Das Dilemma der Erderwärmung und neue Sicherheitsrisiken

Die IEA-Analyse ist alarmierend, da sie die 1,5-°C-Grenze als nahezu unerreichbar ohne zeitweiliges Überschreiten darstellt. Der Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen auf 2,9 °C im Current Policies Scenario zeigt, dass die globalen Emissionen die Welt immer weiter von den 1,5 °C-Pfaden entfernen.

Gleichzeitig verlagert sich das Sicherheitsrisiko:

  • Kritische Mineralien: Die IEA mahnt eine Diversifizierung der Lieferketten an. Bei strategisch wichtigen Mineralien für Batterien und Stromnetze ist China in der Veredelung von 19 der 20 Rohstoffe führend. Diese Abhängigkeit von einer kleinen Anzahl von Lieferanten "erhöht das Risiko von Lieferunterbrechungen oder wirtschaftlicher Nötigung".
  • Stromnetze und KI: Die Nachfrage nach Strom wächst rasch, angetrieben auch in Industriestaaten durch Rechenzentren und Künstliche Intelligenz (KI). Die Organisation betont, dass das Stromnetz zunehmend anfällig für wetterbedingte Gefahren und Cyberrisiken ist, und dass Investitionen in neue Netze und Speicher dringend notwendig sind, da einige Bereiche im Rückstand sind.

Implikationen für Österreich und die EU-27

Die ambitionierten Klimaziele der EU-27 (Klimaneutralität bis 2050 und 90-prozentige Reduktion der Treibhausgase bis 2040) stehen im krassen Gegensatz zum globalen CPS-Pfad. 

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