"Ich brauche nichts, schon gar keine Riesengewinne"

Heinz Kammerer im Interview
Der Weinhändler will es wieder wissen: Er hat Filialen zugesperrt und baut bestehende neu aus. In der Wiener City investiert er 2,5 Millionen Euro und eröffnet am Freitag mit neuem Konzept.

KURIER: Herr Kammerer, wir sitzen hier auf der Baustelle, wo die letzten Arbeiten stattfinden. Sind Sie zufrieden?

Heinz Kammerer: Sehr. Es gibt immer Kleinigkeiten, die noch nicht fertig sind. Aber das ist mir völlig wurscht. Es geht um die große Sache: Ist das Projekt richtig und gut?

Ist es das?

Total! Das ist das erste große, urbane Lokalkonzept, das trotzdem Klasse hat. Armin Ebner (der Architekt, Anm.) ist ein Routinier. Er schwirrt hier herum und verrichtet noch niedere Dienste.

Was haben Sie in den Wein&Co.-Flagship-Store investiert?

An was? An Arbeit?

An Geld.

Wesentlich weniger, als man glauben würde. Zweieinhalb Millionen Euro.

Ich höre, Sie mussten dafür Ihre Weinsammlung verkaufen.

Ich musste nicht, aber ich wollte. Ich hatte 10.000 Flaschen Wein angesammelt. Das macht überhaupt keinen Sinn. Ich bin in einem Alter, wo ich immer weniger trinke. Und ich habe mir ausgerechnet: Ich müsste 420 Jahre alt werden, um das auszutrinken. Bei allem Optimismus: das wird sich nicht ausgehen.

Sind alle Flaschen weg?

Ein paar habe ich behalten. Den Jahrgang meiner Frau etwa, 1982. Ein besonders guter. Wir trinken nur noch wenig, aber wenn, dann ordentlich. Das Ausgesuchte macht den Genuss. Besoffensein kommt aus der Mode, das will niemand mehr.

Sie haben seit den 70er-Jahren gesammelt. Ging es Ihnen ums Finden oder ums Haben?

Es geht natürlich nur ums Finden. Ich wusste ja gar nicht mehr, was ich alles habe.

Die neue Wein&Co.-Filiale hat 800 Quadratmeter, die Fläche wurde fast verdoppelt.

Wir sind eine Firma, die im Genussbereich breit aufgestellt ist. Wir sind Gastronomie, Bar, Shop, Onlinehandel: wir sind hybrid aufgestellt. Hier in der Jasomirgottstraße sind wir nur sechs Stunden geschlossen. Bis 2 Uhr offen, dann wieder ab 8.

Funktioniert nur hier so, oder?

Eindeutig nur hier, weil es eine megaurbane Spezialsache ist. Wir sind nah am Stephansplatz und müssen so lang wie möglich offen sein. Wir haben Frühstück, den ganzen Tag Take-away, das wir mit Marco Simonis gemacht haben. Wir standen bisher nicht für Essen – das soll sich ändern. Was noch dazu kommt: Die Klientel hier bezahlt auch die Preise.

Klingt mitarbeiterintensiv.

Es geht. Wir haben drei Schichten, 45 Mitarbeiter.

Setzen Sie mit diesem Flagshipstore alles auf eine Karte?

Wieso glauben Sie das? Das ist eine todsichere Sache. Kein Risiko. Ich sage Ihnen: Da gibt es ganz andere Sachen, die viel heikler sind. Etwa eine neue EDV.

Konzept und Idee stammen von Ihnen?

Ja, Konzept und Marketing sind immer meines. Ich sehe alles aus Kundensicht. Was will ich nach 50 Jahren Ausgehen? Nach so langer Zeit weiß man doch, was die Leute wollen.

Wie schnell müssen Sie die Investitionen zurückverdienen?

Gerechnet ist es auf vier Jahre. Das wird sich ausgehen. Wir hatten hier immer ein gutes Geschäft. Jasomirgottstraße und Naschmarkt sind unsere besten Filialen. Mariahilfer Straße und Lueger-Ring sind auch sehr gut. Die vier Lokale machen fast den halben Firmenumsatz.

Sie haben seit Ihrer Rückkehr als Firmenchef auch Filialen zugesperrt.

Wir haben die Merkur-Kooperation beendet. Weil sie nicht gut genug gegangen ist. Die Kooperation war auf Zeit und auf Bewährung – es hat sich nicht bewährt. Merkur hat sich selbst beim Wein gut aufgestellt. Wir haben jetzt 20 Geschäfte – dabei wird es auch bleiben. Denn das Wachstum passiert online.

Wie viel macht das Online-Geschäft aktuell aus?

15 Prozent. Wir mussten aber ein bisschen auf die Bremse steigen. Wir werden jetzt die Logistik modernisieren, damit wir mehr machen können. Online ist eine perfekte Sache für Wein – aber nur für jemanden, der das so betreibt, wie wir. Die Leute brauchen das Live-Erlebnis zum Kosten. Und das Internet zum Nachbestellen.

Sie sind online auch in Deutschland aktiv.

Ein Drittel der Online-Kunden ist bereits aus Deutschland. Dort haben wir das größte Potenzial.

Wieso bestellen die Deutschen bei uns?

Wieso nicht? Es interessiert heute niemanden mehr, woher die Lieferung kommt. Das ist völlig wurscht geworden, es muss nur in drei Tagen da sein.

Welches Potenzial sehen Sie im Online-Bereich?

Auf 50 Prozent des Umsatzes vielleicht, wenn Deutschland gut anläuft. Ich glaube, dass alle unsere Zuwächse von dort kommen werden.

Wie viel Ihres Umsatzes kommt vom österreichischen Wein?

70 Prozent. Das wollen wir hier am Stephansplatz auch demonstrieren.

Hat das Weihnachtsgeschäft schon begonnen?

Na ja. Ein bisserl. Das schiebt sich alles immer mehr nach hinten. In der letzten Woche vor Weihnachten ist der Bär los. Da machen wir sechs Mal so viel Umsatz wie normal. Dezember ist drei Mal so stark wie jeder andere Monat.

Haben Sie einen Wein-Weihnachtstipp?

Wenig und gut. Jeder Wein hat seinen Moment und seinen Ort. Ein Tipp: der leistbare Wachauer Spitzenwein.

Sind die Menschen sparsamer geworden?

Das weiß ich nicht. Was ich aber schon weiß: Wir sind seit 30 Jahren dabei, zu verarmen. Ich könnte mir heute mein Haus nicht mehr leisten. Als ich mit dem Studium fertig war, habe ich 5000 Schilling bekommen und für 1000 Schilling eine wunderschöne 140-Quadratmeter-Altbau-Wohnung im Zentrum mieten können. Heute kriegt ein Junger 2500 Euro, was netto 1700 sind. Und die Wohnung kostet auch so viel. Der Dümmste kann sich ausrechnen, dass sich da nichts mehr ausgeht. Wir verarmen. Alles wird teurer und die Gehälter niedriger. Weil die Erträge weniger werden.

Auch Ihre?

Mich dürfen Sie nach Erträgen überhaupt nicht mehr fragen. Wir haben drei Jahre nur investiert.

Keine Gewinnorientierung?

Wir machen drei, maximal fünf Prozent Gewinn vom Umsatz. Ich brauche ja nichts. Schon gar keine Riesengewinne. Die muss man ohnehin nur versteuern. Wir müssen so viel verdienen, dass wir uns das alles leisten können.

Wollen oder wollten Sie das Unternehmen je verkaufen?

Das dachte ich früher: Irgendwann werde ich mich zurückziehen und alles verkaufen. Aber diese Entscheidung ist gefallen: Nichts wird verkauft! Was mache ich mit dem Geld? Es ist viel gescheiter, eine gute Firma zu haben.

Das heißt: Sie sind glücklich, wieder der Chef zu sein?

Na ja, glücklich. Nicht durchgehend, aber immer öfter. Ich habe jetzt einen Geschäftsführer, der meine Ideen bewertet und umsetzt.

Wenn Sie nochmals neu anfangen könnten, würden Sie ein Weingut kaufen oder wieder Händler werden?

Ein Weingut, geh bitte! Ich bin immer ein Händler. Der Handel ist ungemein spannend. Gerade vollkommen im Umbruch. Ein unknown territory, jeder Tag ist neu.

Natural Wines sind gerade Trend. Was kommt danach?

Jetzt muss man diesen Trend mal durchbringen. Den Weinen eilt nämlich der Ruf voraus: G’sund, aber nicht besonders gut. Das stimmt natürlich nicht. Bei Natural Wines gibt es viele Varianten. Es muss ja nicht gleich Orange Wine sein.

Für wie viel Euro kriegt man heute einen guten Wein?

Eine gefährliche Frage. Es ist wie beim Champagner: die Markt- und Marketing-Kraft kauft man mit. Eine starke Marke kann einen höheren Preis durchsetzen. Aber: Man kriegt um 20 Euro einen ausreichend guten Wein. Natürlich gibt es aber auch Weine um 1000 Euro. Das ist deshalb so, weil es für 40.000 Flaschen 100.000 Käufer gibt.

Heinz Kammerer, Jahrgang 1948, studierte Welthandel und verdiente mit 24 Jahren seine erste Million mit dem Verkauf von Teppichen. Er gründete das Fliesen- und Sanitärhaus Ikera (mit r), das er 1998 verkaufte. Künftig wollte er nur noch etwas machen, das ihm emotional näher ist. Der Weinsammler eröffnete 1993 die erste Wein&Co-Filiale in Wien. 2012 übergab er das Unternehmen an Geschäftsführer und zog sich zurück.

Das hielt er nicht lange durch. Seit Februar 2015 ist Heinz Kammerer operativ zurück: Langjährige Wegbegleiter und das Management hat er gekündigt, seither arbeitet er mit „jungen, frischen Leute mit neuen Ideen.“

Die Wein&Co.-Filiale in der Jasomirgottstraße in 1010 Wien wird seit Mai komplett umgebaut. Die Fläche wurde fast verdoppelt (jetzt: 800 Quadratmeter), das Lokal komplett ausgehöhlt und neu errichtet. Das Architekturkonzept kommt von Armin Ebner (BEHF).
Die neue Filiale wird rund 100 Sitzplätze haben, eine große Bar und ein völlig neues Essenskonzept (erdacht von Gastronomieleiter Martin Kammlander, die Köche sind ehemalige Petz-Schüler). Die Wände sind mit Götterbildern dekoriert, inmitten des Flagship-Stores verbindet eine riesige Wendeltreppe die Stockwerke. Im Untergeschoß befindet sich der Shop mit rund 2400 Weinen und Schaumweinen, 150 Destillaten, 350 Feinkostartikeln und 170 Accessoire-Produkten. Geöffnet ist an 363 Tagen im Jahr, von 8 Uhr früh bis 2 Uhr früh.

Die Wein-Kette

Mit 20 Filialen (davon sieben mit einer Bar) und rund 280 Mitarbeitern erwirtschaftete Wein&Co. im Geschäftsjahr 2015/’16 rund 53 Millionen Euro Umsatz.
Der ehemalige Merkur-Vorstand Klaus Pollhammer ist Finanzchef, Wolfgang Frühbauer operativer Geschäftsführer (COO). Die stationäre Expansion und Franchise sind für Inhaber Heinz Kammerer „kein Thema“. Im Gegenteil: seit seiner Rückkehr an die Spitze des Unternehmens vor nunmehr 1,5 Jahren hat Heinz Kammerer einige Filialen zugesperrt. Vor allem jene in den Merkur-Supermärkten. Die Zukunft sieht er im Onlinehandel, den er massiv ausbauen will. Vor allem in Deutschland sieht er großes Potenzial. 70 Prozent des Umsatzes komme aktuell aus den Shops, 15 Prozent aus den Bars und 15 Prozent über den Onlinehandel.
Wein&Co. hat rund 650 Lieferanten und 480.000 registrierte VinoCard-Kunden. Davon sind zwei Drittel Männer, nur ein Drittel Frauen.


Ein Blick zurück

„Die Demokratisierung des Weinhandels“ lautete 1993 das Ziel, als der Handelsspezialist und Weinsammler Kammerer mit 15 Sommeliers die ersten Shops in Wien, Linz und Graz eröffnete. Kurze Zeit später wurde mit Salzburg und Bregenz der Westen erschlossen. 1998 folgte der Online-Shop. 1999 eröffnete die erste Wein&Co.-Bar am Wiener Naschmarkt.


MondoVino

Wein&Co. ist jährlicher Veranstalter des größten heimischen Weinfestivals „MondoVino“. 220 nationale und internationale Winzer schenken am 18. und 19. November in Wiener MAK mehr als 1000 Weine, Champagner, Edelbrände, Grappa, Whisky und Cognacs persönlich ein. Eintrittspreis: ab 40 Euro pro Tag. Infos unter: www.mondovino.at

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