Geht es nach IV-Präsident Georg Knill, ist die Deindustrialisierung Europas schon in vollem Gange. „Unternehmen transferieren ihre Kapazitäten, vor allem aus energieintensiven Bereichen. Das sehen wir in Europa schon jetzt. Es betrifft auch Investitionsentscheidungen.“
Genannt werden Beispiele wie der Papierfabrikant Norske Skog, der in Bruck/Mur im März 2022 wegen der hohen Energiepreise seine Maschinen abgestellt hat. Oder der Chemiekonzern BASF, der mit einer Auslagerung von Produktionsbereichen nach China droht, auch die Abwanderungsgedanken von Arcelor Mittal oder Heidelberg Materials werden angeführt.
Johannes Schneider und Eva Poglitsch, Industrieexperten vom Beratungsunternehmen PwC Österreich, sehen die Lage trotz allem differenzierter. Die hohen Energiekosten haben europaweit einen starken Einfluss auf alle Industriezweige, die Kostensteigerungen liegen zwischen 15 und 50 Prozent, sagt Schneider.
„Das wirkt sich direkt auf die Gewinnmargen der Unternehmen aus, die dadurch um ein paar Prozentpunkte gedrückt werden können“, sagt Poglitsch. Nur Unternehmen, die in Nischen unterwegs sind oder Produkte mit hoher Qualität anbieten – dazu zählen viele österreichische Unternehmen – könnten die Preise weitergeben.
Doch die hohen Energiekosten sind nicht die einzigen Herausforderungen, denen sich die Industrie stellen muss. Es sind „Permakrisen“, mit der sich die Unternehmen herumschlagen, ein Problem folgt dem anderen. War der Sektor vor der Corona-Pandemie von Krisen, wie der Flüchtlingskrise, wenig betroffen, so ist das seit der Pandemie anders, und das sorgt für Unsicherheit, sagen die PwC-Experten.
Krisenresistent
Neben der Gas- und Energiekrise wurde oder wird die Industrie durch die stockenden Lieferketten, den Fachkräftemangel, die Stagnation sowie von Cyber- und IT-Attacken durchgeschüttelt.
Trotz all dieser Krisen ist die Industrie aber dennoch gewachsen. Der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt ist in den vergangenen 45 Jahren in Österreich zwar von 22 auf 17 Prozent gesunken, wie Arnold Schuh, Direktor des Kompetenzzentrums für Emerging Markets und Mittel- und Osteuropa an der Wirtschaftsuniversität Wien, berichtet.
Eine etablierte Volkswirtschaft entwickle eher die Tendenz hin zum Dienstleistungssektor, während sich die Industriewertschöpfung zunehmend global verteile.
Die Zahl der Mitarbeiter ist laut Arbeitsministerium aber binnen zehn Jahren von 583.000 auf 623.000 gestiegen. Weltweit beschäftigt Österreichs Industrie sogar 800.000 Menschen. Im Jahr 2021 erwirtschaftete die Industrie in Österreich einen Umsatz von rund 280 Milliarden Euro.
Im Vergleich zum Vorjahr ist dies eine Steigerung von 27,8 Prozent. 2021 trug die Industrie 28,7 Prozent zur heimischen Bruttowertschöpfung bei – das ist ein Zehn-Jahres-Rekordwert. Der scheinbare Widerspruch ist laut Experten leicht erklärt: Die heimische Industrie wächst, aber andere Sektoren wachsen eben schneller.
In Deutschland gibt es die selbe Diskussion, für den deutschen Ökonomen Marcel Fratzscher ist das reine Panikmache: „Es ist letztlich ein Schreckgespenst, das aufgebaut wird, um der Politik Geld aus den Rippen zu leiern“, sagte Fratzscher zur Augsburger Allgemeinen.
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