"Arme brauchen oft mehr Energie"

"Arme brauchen oft mehr Energie"
Wie Caritas-Chef Landau und Verbund-General Anzengruber sozial Schwache unterstützen.

KURIER: Der Verbund fördert den Stromhilfefonds der Caritas mit jährlich einem Euro für jeden seiner 266.000 Privatkunden. Für ein Großunternehmen sehr bescheiden. Klingt ein bissl nach einer Alibi-Aktion.

Wolfgang Anzengruber: Wenn es nur das wäre, ja. Aber unser Sozialsponsoring läuft auf drei Schienen. Neben dem Stromhilfefonds haben wir mit der Diakonie ein Projekt für Schwerbehinderte, die nicht kommunizieren können und wir unterstützen die Kinderdörfer.

Michael Landau: Wir sehen in unserer täglichen Arbeit in den Sozialberatungsstellen, dass Energie und Heizen immer mehr Menschen beschäftigt. Mehr als 260.000 Menschen leben in Wohnungen, die sie nicht angemessen warm halten können. Der Stromhilfefonds basiert auf drei Säulen. Energieberatungen, Gratis-Gerätetausch und finanzielle Überbrückungshilfe für Stromrechnungen. 90 Prozent der Haushalte setzen die Energiesparmaßnahmen auch um, die durchschnittliche Einsparung beträgt 300 Euro im Jahr. Damit ist den Familien geholfen und die Aktion ist ökologisch sinnvoll. Wir stehen mit unserer Kernkompetenz dahinter. Die Caritas sorgt für Menschen in Not, der Verbund für Energie. Wir ergänzen uns wunderbar.

Wie vielen Haushalten wurde bisher geholfen?

Landau: Es wurden etwa 2100 Haushalte erreicht, 1400 Energieberatungen durchgeführt und rund 950 Elektrogeräte getauscht.

"Arme brauchen oft mehr Energie"
Anzengruber: Wir wollen nicht nur einmal spenden, sondern Hilfe zur Selbsthilfe, die nachhaltig wirkt. Sozial schwache Bevölkerungsgruppen brauchen oft mehr Energie. Wer arbeitslos ist, ist meist mehr zu Hause. Die Infrastruktur ist oft schlecht und die Geräte sind alte Stromfresser.

Landau: Genau das ist der Kernpunkt. Sozial schwache Haushalte haben oft einen überproportional hohen Energieverbrauch. Aber nicht, weil die Menschen verantwortungslos mit Energie umgehen und Energie leichtfertig verschwenden. Die Wohnungen sind entweder unterm Dach, im Erdgeschoß oder im Keller. Meist schlecht isoliert mit undichten Türen und Fenstern und alten Geräten. Wenn die Regierung über Energiesparen nachdenkt, muss sie auch über Effizienzmaßnahmen und einen Energiesparfonds für einkommensschwache Haushalte nachdenken. Und über eine Abschaltprävention, zumindest im Winter.

Wer seine Rechnung nicht bezahlt, dem dürfen Strom und Gas nicht abgedreht werden. Was sagt der Verbund-Chef dazu?

Anzengruber: Wir sind kein Netzbetreiber, daher können wir nicht abschalten. Die Kunden werden gemahnt und dann Zahlungsziele vereinbart. Wir haben jedenfalls noch zu keinem Netzbetreiber gesagt, dass er abschalten soll. Aber nicht jeder, der nicht zahlt, ist ein Bedürftiger.

Landau: Das ist oft keine Frage des Bezahlen-Wollens, sondern des Bezahlen-Könnens. 70 bis 80 Prozent der einkommensschwachen Haushalte fürchten sich vor den Energie-Rechnungen. Die Unternehmen müssten die Kunden stärker kontaktieren, außerdem wären monatliche Rechnungen besser als alle zwei Monate. Es muss sichergestellt werden, dass niemandem im Winter Strom und Gas abgeschaltet werden.

Anzengruber: Das ist der worst case. Das will doch jeder vermeiden. Energie ist ein Grundbedürfnis der Menschen.

Landau: Energie-Armut wird zunehmend Realität. Gezielte Hilfe bestehend aus Entlastung, Effizienzsteigerung und Energiesparen ist besser als das Gießkannen-Prinzip.

Anzengruber: Das Nachhaltigkeitsinstitut evaluiert derzeit die Wirksamkeit des Stromhilfefonds. Vielleicht wäre der Fonds auch ein Modell für andere Energieversorger.

Die thermische Sanierung wird vom Staat zwar gefördert, aber ist für arme Haushalte vermutlich trotzdem zu teuer.

Landau:Diese Instrumente müssen so ausgestaltet werden, dass die Menschen, die Hilfe brauchen, erreicht werden. Die thermische Sanierung erreicht nur oder in erster Linie die Hauseigentümer.

"Arme brauchen oft mehr Energie"
Anzengruber: Warum nicht einen Fonds auf Bundesebene schaffen, in den alle Energieversorger einzahlen? Wir könnten die positiven Erfahrungen unseres Modells einbringen. Wenn man das Modell auf ganz Österreich ausdehnt, könnten wir 75.000 Menschen erreichen.

Landau: Das Thema "leistbare Energie" rückt zunehmend ins öffentliche Bewusstsein. Die Ombudsstellen der Wien Energie zum Beispiel entwickeln sich gut. Das Ziel ist, dass Menschen unabhängig von Hilfe auf eigenen Beinen stehen.

Hat nicht jeder Mensch ohnehin ein Grundrecht auf Energie?

Anzengruber: Jeder muss einen Anschluss bekommen und versorgt werden.

Heißt das auch, dass jeder Haushalt mit Strom beliefert werden muss?

Anzengruber: Wenn er bezahlt, ja.

"Arme brauchen oft mehr Energie"
Landau: Der Zugang zu Energie ist ein Grundgut der Daseinsvorsorge. Ich bin froh, dass über Energie-Effizienz und Energie-Wende diskutiert wird. Das ist nicht nur eine technische und ökologische Aufgabe, sondern hat auch eine wesentliche soziale Dimension. Für Menschen, die ohnehin am Limit leben, ist die Bezahlung der Energierechnung oft sehr belastend. In Österreich soll im Winter niemand in einer kalten Wohnung leben müssen.

Anzengruber: Es gibt eine volkswirtschaftliche und eine betriebswirtschaftliche Aufgabe. Wir sind eine Aktiengesellschaft und kein Non-profit-Unternehmen.

Landau: Aber ein Unternehmen, das soziale Verantwortung übernimmt. Ich hoffe, dass das Beispiel des Verbund auch andere Unternehmen ermutigt. Armutsbekämpfung hat in Österreich nicht den Stellenwert, den sie haben sollte. Es gibt alte Menschen, die in ihrer Wohnung den Mantel nicht ausziehen. Und es gibt Kinder, deren Wohnungen zu kalt zum Lernen sind. Unser Beitrag entlässt die Politik aber nicht aus ihrer Verantwortung. Die politisch Verantwortlichen können sich nicht zurücklehnen und diese Aufgabe den Unternehmen und der Caritas überlassen.

Herr Dr. Landau, werden kleine Einkommen nicht unverhältnismäßig hoch besteuert? 36,5 Prozent Eingangssteuersatz bei der Lohnsteuer.

Landau: Der Eingangssteuersatz ist extrem hoch. Wenn man einkommensschwache Haushalte gezielt entlasten will, muss dieser hohe Steuersatz reduziert werden. Das ist eine Frage der sozialpolitischen Einstellung.

Nachhaltige Hilfe: Verbund und Caritas

Energiefalle: Rund 263.000 Menschen in Österreich können ihre Wohnungen nicht angemessen heizen. Die Caritas und der Verbund, Österreichs größter Stromkonzern, gründeten 2009 den Verbund-Stromhilfefonds. Die in Europa einzigartige Initiative hilft sozial schwachen Menschen aus der Energiefalle – überdurchschnittlicher Energieverbrauch bei unterdurchschnittlichem Einkommen.

Drei-Säulen-Modell: Energieberater betreuen die Klienten aus den 36 Caritas-Sozialberatungsstellen. Sie erfassen die Energiefallen, geben Tipps zum Energiesparen und erheben den Bedarf an neuen Elektrogeräten. Der Fonds bietet den Gratistausch alter, nicht effizienter Geräte. Bosch-Siemens-Neff unterstützt als Kooperationspartner den Gerätetausch. Außerdem hilft der Fonds bei offenen Stromrechnungen.

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