Harte Fronten: Entscheidung über EU-Vorstoß zur Pestizidreduktion vertagt

Harte Fronten: Entscheidung über EU-Vorstoß zur Pestizidreduktion vertagt
EU-Kommission hofft auf Beschluss noch 2023, den Einsatz von „Pflanzenschutzmitteln“ bis 2030 zu halbieren

Von der „grünen“ Euphorie von 2019 ist kaum etwas übrig: Damals gab es welt- und europaweit große Proteste in den Städten für den Klima- und Artenschutz. Eine direkte Folge war der Green Deal der EU, der im Dezember 2019 von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen präsentiert wurde. Neben dem Klimaschutz und der damit verbundenen Treibhausgas-Reduktion ging es um neue Maßnahmen zur Förderung einer Kreislaufwirtschaft und zur Schaffung eines nachhaltigen Lebensmittelsystems.

Am Montag trafen einander die Agrarminister der EU, um eine der zentralen Ideen der EU-Kommission zu verhandeln: Pestizide.

Die Lesart geht so: Die EU-Kommission, gestützt durch die Wissenschaft, sagt, wenn wir in der EU nicht den Pestizideinsatz bis 2030 halbieren, drohen wir unsere Ackerböden so weit kaputt zu machen, dass ab etwa Mitte des Jahrhunderts unsere Böden kaum mehr Erträge haben werden, weil sie erodiert sind.

Die Agrarminister entgegnen, dass eine verpflichtende Reduktion von „Pflanzenschutzmittel“ um die Hälfte bis 2030 die Lebensmittelsicherheit gefährden würde.

Laut der Umweltschutzorganisation Global 2000 wurde zuletzt der Vorschlag der Ratsposition bekannt, der wichtige Maßnahmen zur Pestizidreduktion den Mitgliedstaaten nur zur freiwilligen Umsetzung vorschlägt. "Damit fällt der vom Rat vorgeschlagene Kompromiss sogar hinter die aktuell geltenden Standards der Richtlinie für die nach­haltige Nutzung von Pestiziden zurück. Das ist absolut inakzeptabel und den Zielen des Kommissionsvorschlags diametral entgegengesetzt”, kritisiert Helmut Burtscher-Schaden, GLOBAL 2000 Umweltchemiker. “Es ist jetzt – inmitten von Biodiversitäts- und Klimakrise – dringend nötig, Bauern und Bäuerinnen zu unterstützen, den Einsatz und das Risiko von Pestiziden zu reduzieren. Es braucht EU-weit verbindliche Standards und faire Wettbewerbsbedingungen. Daher fordern wir Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, Umweltministerin Leonore Gewessler und Gesundheitsminister Johannes Rauch in einem Offenen Brief auf, dafür Sorge zu tragen, dass eine verpflichtende Umsetzung des Integrierten Pflanzenschutzes in der neuen Regulierung verankert sein wird.” 

Die EU-Kommission hat am Montag den Agrarministern wie von diesen im Dezember verlangt eine Folgenabschätzung präsentiert, das Dokument liegt dem KURIER vor. Im Kern wird argumentiert, dass Böden eine entscheidende landwirtschaftliche Rolle und für den Schutz vor Klimafolgen (Wasseraufnahme nach Starkregen) haben. Böden beherbergen einen wesentlichen Teil der globalen Biodiversität und sind unerlässlich für die Nahrungskette von Menschen und Tieren.

Die EU-Bodenstrategie hat die Verbesserung der Bodenbiodiversität zum Ziel. Noch sind die intensive Landwirtschaft und der Einsatz von Pestiziden eine Hauptursache für die Bodendegradation: Gemeint ist damit die Verschlechterung der Qualität der Böden und damit der Verlust seiner Produktivitätsfähigkeit durch Erosion, durch Verlust von organischer Substanz und Biodiversität und durch Kontamination durch Schadstoffe.

Pestizide

Auch Pestizidrückstände sind in EU-Bodenproben weit verbreitet, schreibt die EU-Kommission, was die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Reduzierung ihrer Verwendung und zur Verbesserung der Bodengesundheit unterstreiche.

Österreichs Landwirtschaftskammer ist wie auch Österreichs Agrarminister Norbert Totschnig gegen den EU-Vorschlag. „Wir schauen auf unsere Böden, die Humus-Schicht steigt ja“, wundert sich Generalsekretär Ferdinand Lembacher.

Die EU-Agrarminister sind nicht die einzigen, die ihre Position gegenüber der EU-Kommission erst finden müssen. Auch das EU-Parlament streitet noch, eine Entscheidung soll es im Herbst geben.

Fix ist, dass in dieser Frage eine Entscheidung auf EU-Ebene am Ende nur in einem Trilog-Verfahren gefunden wird, wahrscheinlich erst gegen Ende des Jahres. Dieser Trilog ist immer der finale Versuch innerhalb der EU, einen Kompromiss zwischen den Positionen von EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament zu finden. Oft scheitern Trilog-Verfahren, dann ist die EU-Kommission gezwungen, einen neuen Entwurf vorzulegen.

Bernhard Gaul

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