Handykunden könnten 500 Mio. Euro rückerstattet bekommen

Mehr als ein Jahr lang haben Vertreter der Mobilfunkbranche und Konsumentenschützer versucht, eine Einigung zur Servicepauschale zu finden. Nun sind die Gespräche offenbar gescheitert. Wie der KURIER erfuhr, brachte am Dienstag die Arbeiterkammer (AK) vor dem Handelsgericht Wien eine Verbandsklage gegen den zu A1 gehörenden Mobilfunk-Diskonter Bob ein. Am Mittwoch folgte Drei, am Donnerstag Magenta.
In allen drei Klagen geht es um die strittige Abgabe, die je nach Betreiber zwischen 25 und 35 Euro jährlich beträgt und von den Mobilfunkern seit mehr als 10 Jahren verrechnet wird. Wofür ist nicht immer klar. Nach Meinung der AK steht der Pauschale keine entsprechende Gegenleistung gegenüber. Seit der Oberste Gerichtshof (OGH) eine solche Abgabe bei Fitnesscentern vor eineinhalb Jahren gekippt hat, steht sie für die Telekombranche zur Diskussion.
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Massive Rückzahlungen
Wird die Servicepauschale von den Gerichten für gesetzwidrig erklärt, könnten auf die Mobilfunker massive Rückzahlungen zukommen. Bis zu 500 Millionen Euro, schätzen Branchenkenner, könnten insgesamt anfallen. Auch laut Gabriele Zgubic, Leiterin der Konsumentenpolitik der AK Wien, könnte es die höchste Summe sein, die jemals in Österreich an Konsumenten zurückbezahlt wurde.
Viele Handy-Kunden würden mit der Servicepauschale für Leistungen bezahlen, die sie gar nicht in Anspruch nehmen. Etwa den Tausch einer SIM-Karte, die mehrmalige Sperre von Mehrwertnummern oder Sperren für mobiles Bezahlen, sagt Zgubic: „Wir sind der Ansicht, dass die Abgabe unzulässig ist.“
„Man sollte über Tarife gut wahrnehmbar informieren und nicht herumtricksen. Das ist intransparent“
AK-Konsumentenschützerin
Bei den Mobilfunkern sieht man das naturgemäß anders. Die Servicepauschale sei über Jahre in Abstimmung mit der Regulierungsbehörde und auf Basis geltender Judikatur mit den Kunden vereinbart worden, sagt ein Sprecher von Drei. Im Gegensatz zu den Fitnesscenter-Entgelten stünden bei den Servicepauschalen der Mobilfunker auch konkrete Leistungen gegenüber, sagt ein A1-Sprecher. Als Beispiele nennt er diverse Sperrmöglichkeiten, um „Schockrechnungen“ zu vermeiden.
Bereits Rückzahlungen
Gerichtsurteile bezüglich der Servicepauschale haben die Mobilfunkbetreiber aber bisher tunlichst versucht zu vermeiden. Klagen, die der Wiener Anwalt Matthias Strohmayer im Namen von Kunden vor mehreren Bezirksgerichten seit Ende 2022 eingebracht hat, wurden von allen drei großen Anbietern ohne viel Aufsehen mit Zahlungen beigelegt. Insgesamt waren es im vergangenen Jahr fast 200.
Die überwiesenen Summen reichen von 27 bis mehr als 450 Euro. In allen Fällen sei die Gebühr samt Zinsen über den kompletten Vertragszeitraum überwiesen worden, sagt Strohmayer.
Nach einer Verbandsklage der Arbeiterkammer erklärte der Oberste Gerichtshof (OGH) Servicepauschalen ohne erkennbare Gegenleistung bei Fitnesscentern im Oktober 2022 für gesetzwidrig.
Wenn man Zusatzentgelte einhebt, müsse eine Gegenleistung vorhanden sein, sagt AK-Konsumentenschützerin Gabriele Zgubic. Das sei die Richtschnur, an dem alles gemessen werde. Auch Anmeldegebühren, Verwaltungskosten und Chipgebühren beanstandeten die Konsumentenschützer und bekamen recht. Findige Betreiber erfanden etwa auch eine „Energiekostenpauschale“ von knapp 30 Euro im Jahr oder kassierten für nicht näher definierte „Zusatzleistungen“ fast 40 Euro. Im Großen und Ganzen hätten Fitnesscenterbetreiber die beanstandeten Praktiken mittlerweile weitgehend eingestellt, heißt es seitens der AK.
900.000 Euro zurückbezahlt
Im vergangenen Jahr wurde eine Rückzahlungsaktion für zu Unrecht bezahlte Beträge gestartet. Betroffene Konsumenten konnten sich dazu über ein Formular anmelden. 20.000 Leute haben das nach Angaben der Interessensvertretung auch getan. Rund die Hälfte davon hat ihr Geld auch bereits zurückbekommen. Insgesamt seien bisher 900.000 Euro ausbezahlt worden. Der Rest sei noch offen. heißt es. Man habe es mit einer Vielzahl von Betreibern zu tun, die einen seien gut aufgestellt und würden schnell zurückzahlen, bei anderen dauere es etwas länger, sagt Zgubic.
Die AK hat aber auch weitere Branchen wegen solcher Pauschalen im Visier. Fragen stelle man sich etwa beim Bankenbereich, bei Finanzdienstleistungen, aber auch bei Essenslieferanten.
Man habe gerichtlich geltend gemachte Rückzahlungsansprüche aus Kosten- und Effizienzgründen teils mit Zahlungen bereinigt, sagt ein Drei-Sprecher. Ein Magenta-Sprecher teilt mit, dass man „an Lösungen bei Kundenstreitigkeiten außerhalb von Gerichten“ glaube.
Die durch die Fitnesscenterentscheidungen entstandene Rechtsunsicherheit würde auch von Rechtsanwälten und Prozessfinanzierern genutzt, um aggressiv ein neues Geschäftsfeld zu erschließen. Gemeint ist damit offenbar auch die Prozessfinanzierungsgesellschaft Advofin, die Ende 2022 eine Sammelklage wegen der Servicepauschale startete – der KURIER berichtete.
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Die Verbandsklagen der AK sind ein ganz anderes Kaliber. Abhängig ist die Summe der möglichen Rückzahlungen auch davon, welche Verjährungsfrist der OGH im Falle einer Gesetzeswidrigkeit der Abgabe ansetzt. „Wir nehmen an, dass es zum Höchstgericht gehen wird“, sagt Zgubic. Erwirken will man mit der Klage auch eine Verpflichtung für die Mobilfunkbetreiber, unzulässig eingezahlte Beträge ohne weitere Aufforderung zurückzuzahlen.
Bei der AK geht man davon aus, dass die Mobilfunker künftig statt der Einhebung der Pauschale die monatlichen Grundtarife erhöhen werden. Damit hat man auch kein Problem. „Man sollte einfach gut wahrnehmbar für den Konsumenten informieren und nicht herumtricksen“, so Zgubic. Das sei intransparent und ergebe kein ganzes Bild hinsichtlich der tatsächlichen Kosten.
Der Mobilfunkbetreiber Magenta verzichtet bei neuen Tarifen bereits auf die Servicepauschale. Auch Drei hat bei seinem Mobilfunk-Abo Up3 bereits Tarife ohne die umstrittene Servicepauschale im Angebot.
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