"Online-Riesen bauen Netz von Sklaven auf"
Die Online-Riesen bauen sich ein Netz von Sklaven für die Distribution auf, aus Handelsangestellten werden wieder Arbeiter mit allen Schlechterstellungen, fürchtet Handelsprofessor Peter Schnedlitz. Die Macht von Amazon werde noch größer werden als jene von Walmart – dem größten Einzelhändler der Welt, der sogar beeinflusst, ob Labels wie Sony Hip-Hop oder Country-Musik produzieren.
KURIER: Nerven Sie die alljährlichen Umfragen zu den Weihnachtseinkäufen?
Peter Schnedlitz: Ich finde sie amüsant. Ein Berater hat veröffentlicht, dass die Händler heuer zu Weihnachten um 1,7 Prozent mehr einnehmen werden als im Vorjahr. Wenn man weiß, dass die Schwankungsbreite solcher Prognosen bei Plus/Minus drei Prozent liegt, ist das schon eine lustige Aussage. Besser gesagt keine Aussage.
Und Sie wissen besser, wie das Geschäft laufen wird?
Es wird laufen wie im Vorjahr. Wir haben keine großartigen Innovationen am Markt und keine geburtenstarken Jahrgänge. Warum sollte also mehr gekauft werden? Solche Umfragen sollen mobilisieren. Da wird gesagt, dass heuer alle 349 Euro ausgeben und alle, die weniger eingeplant haben, sollen gefälligst denken, sie seien geizig und müssen deshalb auch mehr ausgeben.
Viele tun sich das Gedränge in den Einkaufsstraßen aber nicht an. Müssen sich die Händler wegen des Kaufkraftabflusses ins Ausland fürchten – Stichwort Onlinehandel?
Nach den Pleiten und Verkäufen von österreichischen Familienunternehmen sind viele in einer Schockstarre. Österreichs Handelsunternehmen scheiden tatsächlich in allen Produktivitätskennzahlen schlechter ab als deutsche Konkurrenten.
Warum?
Weil wir viel zu viele Standorte haben. Und der Internethandel ist fest in Händen von großen Konzernen – von Amazon bis Zalando. Die meisten österreichischen Webshops machen keine 100.000 Euro Jahresumsatz. Die Marktmacht der großen wird viel gravierendere Auswirkungen haben als die Dominanz von Großkonzernen wie Walmart (Anm.: der weltweit größte Einzelhändler mit 482 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz).
Was meinen Sie konkret?
Walmart hat mit 11.500 Standorten eine unglaubliche Macht. Wissen Sie, was passiert ist, als Walmart beschlossen hat, dass in seinen Filialen keine Musik mehr verkauft wird, in der ordinäre Texte vorkommen?
Sie werden es verraten ...
Plattenlabels wie Sony Music und Warner Music haben daraufhin weniger Hip-Hop-Alben produziert, wegen der ordinären Text-Passagen. Sie haben lieber mehr Country-Musik auf den Markt gebracht, weil sie solche Alben an die Tausenden Läden von Walmart liefern konnten, sprich: weil dort bessere Verkaufsaussichten bestanden. Die neuen Internetgiganten werden ganz andere Bewegungen bringen.
Am Arbeitsmarkt?
Zum Beispiel. Sie machen aus Handelsangestellten Lagerarbeiter. Und damit aus Angestellten Arbeiter mit allen Schlechterstellungen. Da ist eine Proletarisierung im Gange.
Nicht nur in den Lagern, oder?
Natürlich nicht. Das geht bis zur Auslieferung der Ware, die ein Einpersonenunternehmen übernimmt, das mit viel Selbstausbeutung grad und grad über die Runden kommt. Solche Zusteller bekommen fünf Euro gezahlt und sollen davon Versicherungen, Benzin und ihr Leben finanzieren. Aus heutiger Sicht ist es unvorstellbar, dass Lkw-Fahrer vom Konsum immer einen Kollegen neben sich sitzen hatten. Das hatte die Gewerkschaft damals durchgesetzt, mit dem Argument, dem Fahrer könnte ja schlecht werden.
Was wird der nächste Schritt werden?
Jetzt fängt Amazon schon damit an, Händler an ihre Plattform anzuschließen, die dann die Auslieferung der Ware übernehmen müssen.
Man könnte es positiv sehen und sagen, Händler haben so ein zusätzliches Geschäft ...
Oder man könnte sagen, dass sich die Online-Riesen ein Netz von Sklaven für die Distribution aufbauen. Und dann parken sie ihren Gewinn in einer Steueroase.
Ein anderes Thema sind die Preise, die Amazon mehrmals am Tag ändern kann. Kommt das auch in den Läden? Mit digitalen Preisschildern wäre das ja auf Knopfdruck möglich ...
Elektronische Etiketten hat es schon 1985 in den USA gegeben. Sie haben sich aber nicht durchgesetzt, wegen dem Kabelsalat hinter den Regalen.
Der wird sich in der Zwischenzeit aber gelichtet haben, oder?
Schon, aber die Kosten sind mit zwei Euro pro Schild noch immer hoch. Es gibt ja in jeder Filiale mehr als 1000 Artikel, konkret bis zu 20.000, und die Handelsketten haben mehr als 1000 Filialen.
Trotzdem hat zum Beispiel der Lebensmittelhändler Spar solche Preisschilder gerade in einem Shop eingeführt.
Sie glauben also, das wird sich in den Einkaufsstraßen nicht so schnell durchsetzen?
Nein, weil Einkaufen ja auch immer ein Erfolgserlebnis sein muss. Es gibt nichts Schlimmeres, als einen Artikel, den man gerade gekauft hat, 300 Meter weiter um den halben Preis zu sehen. Sich heute schon mit der Zukunft zu beschäftigen und Experimente zu wagen, ist für den Handel aber trotzdem sehr wichtig.
Der gebürtige Steirer (61) ist seit 1992 Vorstand des Instituts „ Handel und Marketing“ an der Wirtschaftsuniversität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Handelsmarketing und -forschung sowie Marketingkonzeption im Handel. Schnedlitz ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.
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