Experte: "Sie überlassen Amazon das Feld"
KURIER: Der Kunde ist König. Stimmt das?
Gerrit Heinemann: Nein. Der Kunde ist Kaiser und Papst zugleich. Das Internet hat ihn emanzipiert. Er ist heute nicht mehr auf den Verkäufer angewiesen, weil er oft besser informiert ist als dieser. Er muss nicht einmal mehr bei ihm einkaufen. Er kann online bestellen. In Großbritannien gibt es schon Leute, die mit dem Smartphone durchs Geschäft gehen und dann Online bestellen. Einfach, weil sie keine Lust haben, schlecht gelaunte und aus ihrer Sicht überflüssige Verkäufer zu treffen.
Händler schimpfen aber über Beratungsdiebstahl und über Onlinehändler, die sie preislich unterbieten. Mitleid?
Der Leidensdruck vieler Händler ist offensichtlich nicht groß genug, dass sie etwas unternehmen. Das ist gefährlich. Der Mensch neigt dazu, erst zu reagieren, wenn es zu spät ist. Shoppingcenter-Betreiber glauben, mit ein paar Lokalen mehr und ab und zu einer Veranstaltung können sie die Frequenz steigern. Sorry, solche Ansätze haben sich abgenutzt.
Bessere Vorschläge?
In München eröffnet MFI ein Vier-Stern-Shoppingcenter, mit Schuhputzservice, jemandem, der dir die Wagentür zum Aussteigen öffnet und das Auto in die Garage fährt. Luxus-Shoppingcenter nach dem Konzept von Luxus-Hotels. Das ist ein spannender neuer Ansatz.
Aber nicht massentauglich. Oder glauben Sie, dass viele solche Dienstleistungen in Anspruch nehmen wollen?
Das Konzept könnte auch in die andere Richtung funktionieren. Laut Prognosen wird die Armut in Europa in den nächsten 10 Jahren zunehmen. Man könnte sich einen Diskontansatz überlegen. Ein Shoppingcenter ohne Schnickschnack.
Wie soll das aussehen?
Man könnte etwa auf das Marketing-Etat verzichten oder nicht jeden, sondern nur jeden zweiten Tag putzen und auch Marmor könnte günstigeren Materialien weichen.
Und dann? Deswegen werden die Handelsketten doch die Preise nicht senken?
Nein, aber die Shoppingcenter-Betreiber ihre Mieten reduzieren und damit die zukünftige Existenz der an Umsatzschwund leidenden Mieter sichern.
Es wird jedenfalls mehr online gekauft. Es gibt Prognosen, dass die Handelsflächen bis 2020 um bis zu 20 Prozent zurückgehen werden. Ist das realistisch?
Ja. Die Umsätze, die online gemacht werden, gehen in den Geschäften ab. Deswegen müssen die stationären Händler Kosten reduzieren. Ich denke, der Onlinehandel ist der zweite große Umbruch in der Branche seit 1938. Damals wurde die Selbstbedienung eingeführt. Heute gilt auf bis zu 70 Prozent der Einzelhandelsflächen mehr oder weniger Selbstbedienung. Ich könnte mir ein ähnliches Ausmaß in der Verflechtung mit der Digitalisierung bzw. eCommerce vorstellen.
Klingt nach Zukunftsmusik. Werden uns Roboter bedienen?
Der US-Bekleidungshändler Hointer hat Geschäfte eröffnet, in denen das schon funktioniert. Der Kunde scannt mit seinem Smartphone die Jeans, die ihm gefällt. Via App wird die gewünschte Größe und Farbe abgefragt und ein Roboter bringt das Teil in eine Umkleidekabine. Der Kunde bekommt eine Nachricht, in welcher Kabine er die Jeans probieren kann.
Aber wollen die Leute das?
Sie fragen nach dem sozialen Aspekt? Dann frage ich Sie, wann Sie zuletzt wegen dem sozialen Kontakt mit dem Verkäufer bei Lidl oder Hofer waren. Der Amazon-Chef meint, dass ein Computer immer besser arbeitet als ein mittelmäßiger Mitarbeiter. Im Top-Segment ist das anders.
Der Handel hat zu wenig Top-Leute?
Definitiv. Sie denken, dass jeder ganz unten am Regal anfangen muss und sich dann hocharbeiten kann. Für Highpotentials klingt das nicht attraktiv. Die Karriereaussichten sind auch überschaubar. Online-Händler ticken anders. Sie haben eine hohe Akademikerquote und sind für Highpotentials ein attraktiver Arbeitgeber.
Was machen Händler falsch?
Sie überlassen Amazon kampflos das Feld. Amazon investiert jährlich rund vier Milliarden Dollar in Systeme, die stationären Händler weiter in unprofitable Flächen. Sie haben eher kein visionäres Investitionsverhalten. Sie glauben, sie können die digitale Welt aufhalten und den Kunden umkehren.
Was meinen Sie damit?
Manche installieren zum Beispiel Störsender und erteilen Smartphoneverbot. Meine 15-jährige Tochter hat neulich in einem Textilgeschäft ein Foto von einem Kleid gemacht, um es einer Freundin zu schicken. Sie wurde aus dem Geschäft verwiesen. Das kommt einem Hausverbot gleich. Es kann in Zeiten von Facebook nicht sein, dass die digitale Welt an der Ladentüre endet.
Klingt, als wäre der Kunde doch nicht Kaiser und Papst.
Im Kaufhaus KaDeWe in Berlin gibt es um die 500.000 Artikel, bei Amazon im deutschsprachigen Raum 56 Millionen. Der Kunde ist verwöhnt und hat die Wahl. Und Händler sitzen in der Falle. MediaMarkt hat sich als Bestpreis-Anbieter positioniert. Dann kam das Internet und hat für alle transparent gemacht, dass das gar nicht stimmt. Deshalb bieten sie auch nur ein Rumpfsortiment online an. Sich als Bestpreisanbieter zu positionieren ist im Internetzeitalter gefährlich. Es sei denn, man hat nur Handelsmarken und ist damit nicht vergleichbar.
Heinemann hat 2010 das eWeb Research Center an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach gegründet. Vorige Woche war der Autor mehrerer Bücher zum Thema eCommerce Gastredner beim Shoppingcenter-Symposium in Wien. Der BWL-Professor war vor seiner wissenschaftlichen Laufbahn bei Kaufhof und Douglas tätig. Als stellvertretender Aufsichtsratschef der buch.de- internetstores ist er der Douglas-Gruppe weiterhin verbunden. Er ist Vater von drei Töchtern.
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