Martin Hagleitner: "Es muss ein Ruck durchs Land gehen"

Interview: Austria Email Chef Martin Hagleitner
Der Chef des Wärmepumpenerzeugers Austria Email sieht in Greentech eine Chance. Allerdings dürfe sich Österreich keine Ziele setzen, mit denen es "päpstlicher" als die EU agiert.

Das steirische Unternehmen Austria Email, das zur französischen Groupe Atlantic gehört, lebt von der Energiewende. Aber nicht um jeden Preis, wie Chef Martin Hagleitner im KURIER-Interview festhält.

KURIER: Wie bewerten Sie die Turbulenzen rund um die Wirtschaftskammer?

Martin Hagleitner: Die Unternehmerschaft ist zu Recht empört und fordert weitere Konsequenzen. Die unangemessene Gehaltserhöhung und der Umgang damit attestieren der Kammerspitze Abgehobenheit. Die Kammer und deren Mitarbeiter erbringen schon gewisse Leistungen für Unternehmen; nur darf nicht vergessen werden, dieser Abschluss hat eine Signalwirkung für andere Branchen. In der metalltechnischen Industrie haben überzogene Abschlüsse die Konkurrenzfähigkeit sehr stark reduziert, wodurch zuletzt Arbeitsplätze und nicht mehr Produkte exportiert wurden.

Wie soll es nun in der WKO weitergehen?

Ich danke Ex-Präsident Mahrer, dass er, aber auch die anderen Funktionäre, die an diesem Vorgehen beteiligt sind, nun selbst eine massive Kammerreform und signifikante Senkung der Kammerumlagen auf die Agenda gebracht haben. Auch die Zwangsmitgliedschaft, die in den Verfassungsrang geschmuggelt wurde, ist auf den Prüfstand zu stellen. Ich unterstütze schon, dass es Interessensvertretungen gibt. Aber da sie Gelder treuhändisch bekommen, sind sie verpflichtet, sorgsam damit umzugehen. Es ist höchst an der Zeit, die Sozialpartnerschaft zu reformieren und Lohnnebenkosten sowohl seitens der Wirtschafts- als auch der Arbeiterkammer zu senken.

Für wie realistisch halten Sie das Ende der Zwangsmitgliedschaft?

Da habe ich keine Illusion, das ist ein längerfristiges Projekt. Was kurzfristig möglich sein muss, ist, die Kammerumlagen zu senken und zu überlegen, wieweit Rücklagen aufgelöst werden. Eine Evaluierung der Effizienz der Strukturen muss extern erfolgen. Und bei der Lohnerhöhung bedarf es einer ehrlichen Halbierung.

Wie ist aktuell die Lage der Industrie im Land?

Sie ist nicht nur angespannt. Die Deindustrialisierung ist kein Schreckgespenst mehr, sondern bittere Realität. Sie ist voll im Gange. Die Industrie ist das dritte Jahr in Folge in der Rezession. Das ist der längste Zeitraum in der Nachkriegsgeschichte. In der metalltechnischen Industrie erwartet fast die Hälfte der Betriebe Verluste – auch dieses Jahr. Vernachlässigte Wirtschafts- und Standortpolitik sowie jahrelange Reformverweigerung fordern ihren Zoll.

Wie sieht dieser Zoll aus?

Es wird gerne so dargestellt, dass es sich um europaweite Phänomene handelt, und dabei etwa auf geopolitische Verwerfungen und Krisen verwiesen. Bei Inflation, Konjunktur, der Zunahme der Verschuldung sowie den Energie- und Lohnstückkosten sind wir aber gemeinsam mit Deutschland im Europavergleich Schlusslichter. Wir haben es so weit gebracht, dass Länder, die früher belächelt wurden, etwa in Südeuropa, nun deutlich überlegen sind. Das ist alarmierend. Ebenso, dass Arbeitsplätze, die jetzt verloren gehen oder Produktionen, die verlagert werden, so schnell nicht mehr zurückkommen.

Interview: Austria Email Chef Martin Hagleitner

Wie zufrieden sind Sie mit der Regierung bisher?

Sie ist – als Gegenentwurf und zur Verhinderung einer bürgerlichen Reformkoalition mit FPÖ-Beteiligung – als Regierung der Mitte und des „guten Kompromisses“ angetreten, um es besser als die gescheiterte deutsche Ampel zu machen. Leider sehe ich davon nicht viel. Auch wurde angekündigt, es tue sich ein Zeitfenster auf, weil es bis 2027 keine Wahlen gibt, und daher könnten tiefgreifende Reformen angegangen werden. Aus dem Zeitfenster wurde bisher nicht viel gemacht. Übrigens: viele Reformen wären budgetneutral oder könnten das Wachstum ankurbeln.

Sind Sie optimistisch, dass das noch passiert?

Es schwingt immer die Botschaft mit, jetzt müssen wir zunächst das Budget konsolidieren, und vor 2027 geht gar nichts. Ein spannendes Politikverständnis, mangels noch mehr Geld oder noch höherer Steuern nicht handeln zu können. Und ab 2027 gibt es Landtagswahlen. Und somit wird wieder eine Legislaturperiode vergehen, in der trotz der Dringlichkeit der Situation nicht viel passiert.

Was wäre jetzt zu tun?

Was ganz entscheidend ist: dass es einen Befreiungsschlag gibt. Wir haben bereits eine Staatsquote von fast 57 Prozent. Und während die Arbeitslosigkeit im privaten Bereich steigt, gibt es immer mehr Beschäftigte im Staats- und Verwaltungsapparat. Dabei muss sich der Staat auf die Kernaufgaben zurückziehen und die Eigenverantwortung stärken. Ich bin überzeugt, dass hier die Politik die eigene Bevölkerung bei Weitem unterschätzt.

Inwiefern?

Weil ein Großteil der Menschen weiß, dass die Entwicklung kritisch ist. Sie verstehen auch, dass die Produktivität erhöht werden muss, weil es auf Dauer nicht mehr finanzierbar ist, dass ein immer geringerer Anteil etwas leistet und Steuern zahlt. Es muss ein Ruck durchs Land gehen, und da benötigt es eine Vorbildfunktion seitens der Politik. Und eben kein Aussitzen, keine Lethargie oder auch zu suggerieren, es brauche nur neue Steuern oder eine gerechtere Umverteilung, und alles wird gut.

Was noch?

Es geht nicht an, dass wir die EU bei Standards und Bürokratie überholen, Stichwort Gold Plating. Ich bin ein Verfechter von Klimaschutz und Dekarbonisierung. Der Greentech-Bereich etwa kann einen Impuls für Europa setzen. Nur setze ich praxisnahe und leistbare Regelungen voraus und dass nicht Ziele gesetzt werden, die päpstlicher sind als die europäischen. Und wenn schon das Ziel Klimaneutralität 2040 bleibt, dann muss man deutlich schneller bei Netz- und Infrastrukturausbau sowie bei Genehmigungsverfahren sein und den Gebäudebestand sanieren. Das hätte auch massive Konjunkturimpulse und würde Haushalte bei den Energiekosten entlasten. Nur 1,5 Prozent aller alten Heiz- und Warmwassergeräte werden derzeit getauscht, es bräuchte aber das Doppelte.

Woher soll das Geld dafür kommen, und wie kann es bei Gebäude- und Heizungssanierung schneller gehen?

Das ist nicht primär eine Frage des Geldes, sondern eines umfassenden Reformpaketes und steuerlicher Anreize, die sofort Investitionen auslösen und die Konjunktur beleben würden; und – ganz im Gegensatz zu Eingriffen in den Wohnungsmarkt – auch leistbaren Wohnraum und sinkende Betriebskosten ermöglichen. Ohne konkreten, schrittweisen Ausstiegsplan Richtung erneuerbare Energie wird es aber nicht funktionieren. Davor hat sich schon die letzte Regierung gedrückt. Ohne Reformen und Offensive drohen 6 bis 7 Milliarden Euro an Strafzahlen an die EU.

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