Hafen Rotterdam: Europas Tor zur Welt
Mächtige Wellen peitschen gegen die Hafenmole, aber sonst bewegt sich wenig am neuen, riesigen Containerterminal "Maasvlakte". Ein Sturmtief hat den Schiffsverkehr weitgehend lahmgelegt, das vollautomatisierte Be- und Entladen ist ins Stocken geraten. Wieder einmal. Europas größter Seelogistik-Hub kämpft schon seit längerer Zeit gegen Dauer-Verspätungen der Übersee-Container-Schiffe, die Verzögerungen bei der Waren-Abfertigung am Terminal und damit auch beim Weitertransport quer durch Europa nach sich ziehen.
Zu allem Überdruss legte Ende Juni ein Hackerangriff auf die größte Container-Reederei Maersk die Terminals lahm. Die Frage, wem gehört diese Ware und wo geht sie hin, war plötzlich nicht mehr in Sekundenschnelle zu eruieren, wird erzählt. Die Systeme mussten heruntergefahren werden, zum Teil wurden Riesenschiffe sogar wie früher per Hand entladen. Insgesamt waren 76 Häfen und Umschlagplätze weltweit von der Computerattacke betroffen.
Vollautomatisiert
Vollautomatische Systeme sind eben verwundbar. Es dauerte gut zwei Wochen, bis der gewohnte Ablauf wieder halbwegs funktionierte. "Die Digitalisierung hat auch Nachteile", sagt Peter ten Broek, Business-Manager beim Hafenbetreiber HbR. Verspätungen gibt er unumwunden zu: "Der Weitertransport der Waren ins Hinterland funktioniert noch nicht reibungslos, da müssen wir besser werden", sagt er beim Hafen-Besuch österreichischer Unternehmerinnen (Frau in der Wirtschaft), die der KURIER begleiten durfte.
Der Tiefseehafen muss auch seinem enormen Wachstumstempo Tribut zollen. Erst vor zwei Jahren wurde das Hafengebiet im Westen der Stadt um 20 Prozent erweitert, die Fläche weit hinaus ins Meer gebaut. Die nächste Erweiterung ist schon geplant: "Wenn es so weitergeht, sind wir bald in England drüben", scherzt Broek. Heute kann Rotterdam, eigentlich bekannt als größter Umschlagplatz für Mineralölprodukte, drei Mal so viele Container abfertigen als vorher. Der Container-Anteil von rund 29 Prozent soll weiter gesteigert werden. Damit sagt Rotterdam vor allem dem Hamburger Hafen den Kampf an.
Nach einigen Anlaufschwierigkeiten im Vorjahr gab es im ersten Halbjahr ein Plus im Container-Verkehr von 9,3 Prozent. Broek betont die Vorteile gegenüber anderen europäischen Häfen: "Maasvlakte" ermöglicht Schiffen bis zu 20 Metern Tiefgang die Hafeneinfahrt. Dadurch können auch die ganz großen "Pötte" bequem anlegen, und zwar jederzeit und nicht nur bei Flut. Die Ware kann binnen 24 Stunden auf kleinere Container-Schiffe, Bahn oder Lkw verladen werden. Nirgendwo sonst erfolgt die Be- und Entladung von Riesenschiffen so rasch wie in Rotterdam – sofern alles reibungslos funktioniert. Das Hafengelände sei im Prinzip "ein riesiger Logistik-Cluster" samt Lagerhallen, Kühlhäusern und eigenem Shuttle-Zug zwischen den Terminals.
Schneller in Österreich
Waren nach Österreich würden um zwei Tage früher als von Hamburg aus ankommen, behauptet der Hafen-Manager, das wiederum helfe österreichischen Firmen im Export nach Übersee. Besonders für schwere Güter wie Maschinen und Anlagen ist Rotterdam zentraler Hub nach Übersee. Aber auch die Häfen Hamburg und Koper/Slowenien stehen bei den heimischen Exporteuren hoch im Kurs.
Auf den Import und Export spezialisiert hat sich der niederösterreichische Logistiker Cargo-Partner, der einen wichtigen Standort in Rotterdam hat. Seefracht-Verantwortlicher Erich Schatz ist mit dem Übersee-Geschäft zufrieden: "Der große Einbruch nach der Wahl von Trump hat nicht stattgefunden, es läuft bestens mit den USA", bestätigt er dem KURIER. Dank anziehender Weltkonjunktur gab es im ersten Halbjahr ein deutliches Plus bei der Seefracht. Nach der Reederei-Pleite von Hanjin im Vorjahr habe sich die Branche wieder etwas erholt. "Die Zeiten, wo die Seefracht fast nichts gekostet hat, sind jetzt vorbei", sagt Schatz. Die Bedeutung der Container-Schifffahrt werde in den nächsten Jahren trotzdem zunehmen, glaubt er. Grund dafür sind immer größere Schiffe. Das größte Containerschiff der Welt, die 400 Meter lange "OOCL Hong Kong", bringt in ihrem Bauch 20.000 Standardcontainer (TEU) unter. Gut ein Dutzend weiterer Mega-Schiffe würden schon gebaut.
Hauptproblem im Reederei-Geschäft sei nach wie vor die "Unpaarigkeit der Verkehre" , erläutert Schatz. Soll heißen, es werde nicht gleich viel importiert wie exportiert, weshalb die Beladung ungleich sei. Die Digitalisierung soll in nächster Zeit auch dieses Problem lösen.
Drehkreuz
Rotterdam ist mit einem Güterumschlag von 461 Mio. Tonnen (2016) der größte Hafen Europas und weltweit auf Rang 9.
Container
Im Vorjahr wurden 7,4 Mio. Container umgeschlagen.
Bedeutung
Der Hafen beschäftigt 175.000 Menschen. Die Wertschöpfung beträgt 21 Mrd. Euro bzw. 3,1 Prozent des niederländischen BIP.
Der Großraum Amsterdam will vom Austritt Großbritanniens aus der EU Kapital schlagen. Die Stadt konkurriert gegen Wien um die Ansiedelung der Arzneimittelagentur EMA und positioniert sich quasi als das neue London, als zentraler EU-Standort für ausländische Konzerne. "Wir haben konkret zehn Fokusländer im Visier, um die wir aktiv werben", erläutert Mustafa Tanriverdi von "Business Amsterdam", der Ansiedelungsagentur der Stadt. USA und Japan zählen dazu, aber auch Indien und Brasilien.
Anzubieten hat die Region, die sich selbst zur Logistik-Metropole Großraum Amsterdam mit 2,4 Mio. Einwohnern aufwertet, sehr viel: Einen für die Finanzbranche wichtigen zentralen Internet-Knotenpunkt, den zweitgrößten Flughafen Europas und natürlich den größten Tiefseehafen Europas im nahegelegenen Rotterdam. Und kaum wo in Europa würden so viele Menschen perfekt Englisch sprechen. 3000 ausländische Unternehmen haben sich hier niedergelassen, viele davon aus steuerlichen Gründen. Als Steuerhafen will Tanriverdi seine Stadt nicht mehr anpreisen, die Unternehmenssteuern seien aber geringer als in Österreich. Die KÖSt beträgt zwischen 20 und 25 Prozent, für Expats gibt’s großzügige Regelungen. Für Österreich sind die Niederlande der vierzehntwichtigste Exportmarkt und das achtwichtigste Lieferland. Im ersten Halbjahr gab es ein Importplus von 16,8 Prozent. Die Exporte legten um 12,2 Prozent zu. Die größten Zuwächse gab es übrigens beim Wein.
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