Gute Geschäfte mit der Nostalgie
Ein Sommer wie damals. Damals, als die Oma im Freibad ein paar Schilling für den "Plattfuß" spendierte, als im TV Don Johnson in Espadrilles für "Miami Vice" ermittelte und die ersten Hip-Hopper in Adidas "Superstars" herumhüpften. Ein Stück Nostalgie, das sich gut vermarkten lässt. Die Retro-Welle rollt wie nie. Je unsicherer und schnelllebiger die Zeiten, desto größer die Sehnsucht der Menschen nach den guten Produkten von damals, die oft cool und selten so kompliziert wie die von heute waren.
Auf Retro setzen vor allem Branchen, die sonst gerne mit neuen Technologien verbunden werden, wie Elektrogeräte- oder Autobauer. VW legte mit dem "Beetle" den legendären Käfer neu auf, Fiat setzte heuer auf den Fiat 500er- Retro-Trend noch eins drauf und brachte eine limitierte Vintage-Edition 1957 in klassischem Pastellblau auf den Markt. "Obwohl wir erst seit April für das Auto werben, ist die Hälfte der Stückzahl bereits verkauft", freut sich Fiat-Sprecher Andreas Blecha über die rege Nachfrage insbesondere von Frauen zwischen 40 und 50 Jahren . Der Fiat 500 sei für viele der "Inbegriff des italienischen Lebensgefühls", das komme sehr gut an.
Nostalgie allein ist zu wenig. "Damit auch die Jungen zugreifen, müssen Retro-Produkte über zeitgemäßes Design und heutige Technologie verfügen", weiß Gerhard Hrebicek, Experte für Markenbewertungen bei Eurobrand. Der Retro-Boom sei nichts Besonderes – "so etwas gibt es zu jeder Zeit" – sondern schlicht wirtschaftliches Kalkül: "Es ist günstiger, auf eine bekannte und früher erfolgreiche Marke zu setzen, als eine neue erst mühsam aufbauen zu müssen." Motto: Was sich schon einmal gut verkauft hat, funktioniert wahrscheinlich ein zweites Mal.
In zeitgemäßem Look und mit neuen Materialien feiern heuer Espadrilles ihr großes Comeback. Die flachen Stoffschuhe mit der geflochtenen Sohle sind seit den 1980er-Jahren ein Kultsommerschuh. Im Gegensatz zu früher kosten die neuen Espadrilles allerdings deutlich mehr – "Nostalgie-Aufschlag" nennen das die Experten. Kult kostet eben, schließlich wird er zumeist auch von Stars beworben, wie im Falle von Sneakers. So legte Adidas seinen einstigen Basketball-Schuh "Superstar", der 1969 kreiert und in den 1980er-Jahren zum Megaseller wurde, neu auf. Als Werbeträger fungieren nicht nur Pop-Stars wie Rihanna, sondern kürzlich auch 800 freiwillige Helfer beim Eurovision Song Contest in Wien.
Bewährtes neu aufgelegt klappt auch beim Eis. Eskimo-Erzeuger Unilever freut sich über einen "sensationellen Verkaufsstart" der 1980er-Jahre-Sorte Plattfuß. Sie liegt im Handel bereits auf Platz Vier aller dort verkauften Eisschlecker und reiht sich unter die Besteller Twinni, Magnum Mandel und Jolly ein. "Mit Jolly oder Plattfuß holt man sich ein Stück Kindheit zurück und die Österreicher sind besondere Retro-Fans", erzählt Rebecca Widerin, die den Bereich Eiscreme bei Unilever Austria leitet.
Dass sich Klassiker innerhalb der Familie quasi weitervererben, zeigt die österreichische Getränkemarke Dreh und Trink. Das seit 1973 von der Firma Klosterquell Hofer GmbH in Gutenstein/NÖ abgefüllte Kindergetränk erlebt gerade ein Revival. Im Vorjahr konnte der Umsatz um zwölf Prozent gesteigert werden, auch im Ausland kommt die Marke gut an. "Dreh und Trink ist pure Emotion", meint Geschäftsführer Kurt Hofer. Das Getränk rufe frühe Kindheitserinnerungen wach.
Ein Stück Nostalgie wird auch mit der Schallplatte mitverkauft. Im Vorjahr ist der Umsatz in Österreich um 60 Prozent auf 4 Mio. Euro gestiegen. Kein Wunder, Vinyl gilt als sexy. Eine große schwarze Scheibe in einem Plattencover. Dazu der Sound. Vinyl-Freunde sind überzeugt, dass der runde und warme Klang der Schallplatte durch nichts ersetzt werden kann.
Irgendwann kommt alles wieder. Auch die peinliche Wohnzimmercouch, die in den 1970er-Jahren – in orange-braun und auf dünnen Holzbeinchen – bei Oma und Opa gestanden ist. Sie drängt zurück ins Wohnzimmer – durch die Hintertür sündteurer Designer, die den Stil der 60er-Jahre plötzlich als "klassisch-elegant" anpreisen. Natürlich just, nachdem man die Klassiker endgültig entrümpelt hat.
Solche Retro-Wellen einfach konsequent auszublenden, kann teuer werden. Einen Retro-Verweigerer erkennt man an seinem entsetzten Gesicht am Flohmarkt. Etwa, wenn er mit weit aufgerissenen Augen zuschaut,wie ein Hipster ohne zu murren 90 Euro für eine Zuckerdose der Marke Lilienporzellan zahlt und sich auch noch über das Schnäppchen freut. Grund für das Entsetzen des Retro-Verweigerers sind oft Erinnerungen an Polterabende. Jene, bei denen er "genau so eine Milchkanne in blassrosa" gemeinsam mit dem ganzen achtteiligen Service aus der Verlassenschaft auf den Boden geknallt hat und auch noch froh war, das Tafelgeschirr der 1970er-Jahre endlich los zu sein.
Alles auf den Dachboden zu tragen, ist auch keine Lösung. Weil Trendsetter nicht fad sind, kommt Altes ja meist als Fake in geänderter Version wieder. Die Retro-Digitaluhr von Casio schaut irgendwie doch anders aus als die aus der Jugendzeit und die alte Cordhose sitzt auch nicht mehr. Wer auf der Retro-Welle mitsurft, kann ganz schön viel falsch machen.
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