Zwischen Schmankerln und Protesten: So verlief der Auftakt der Grünen Woche

Aus Berlin
In der Halle 4 (von 27) in der Messe Berlin herrscht Freitagvormittag bereits Volksfeststimmung. Eine Musikgruppe, bestehend aus vier jungen Männern, stimmt mit Ziehharmonika, Trompete und Gitarre einen Schlager an. Unter den Hunderten Besuchern schunkeln zwei Burschen zur Musik: „Wir sind vom bayerischen Trachtenverband. Wir schauen uns das ganze Mal an, tratschen und schmatzen ein bisserl.“
Im Zeichen der Proteste
Während in den Hallen in ausgelassener Stimmung verkostet wird, umkreisen vor dem Gelände rund 300 Traktoren das Messegelände. „Dieses Land wird nicht regiert, sondern ruiniert“, steht auf einer Traktorschaufel. Die Bauern sind gekommen, um ihren Frust über die geplanten Subventionskürzungen der deutschen Bundesregierung auszudrücken. Ort und Zeit sind keineswegs zufällig ausgewählt: Es ist der Eröffnungstag der 88. Ausgabe der international wichtigsten Agrarmesse „Grüne Woche“ in Berlin.
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Die lautstarke Aktion ist Gesprächsstoff Nummer eins bei Besuchern und Ausstellern. Nur vereinzelt gibt es kritische Stimmen, die Mehrheit zeigt Verständnis: „Ich finde die Bauernproteste völlig in Ordnung“, zeigt sich eine Besucherin solidarisch. Die ältere Frau ist gemeinsam mit ihrem Ehemann hier, um „neue Sachen auszuprobieren“. Ihr Mann hält einen Bierbecher in der Hand. Es ist 11.30 Uhr.

Dresscode Tracht: Zwei Burschen vom Bayrischen Trachtenverein nutzen die Agrarmesse zum Auführen der Lederhose
Alkohol gibt es im Übermaß
Alkohol gibt es auf der Grünen Woche im Übermaß. Und zwar aus aller Welt: Chianti aus Italien, Whisky aus Mallorca und Zirbenschnaps aus Österreich. Wer sich hier durchprobieren will, braucht den sprichwörtlichen „Saumagen“. Apropos Sau: An jedem zweiten Stand werden Salami, Schinken und Speck serviert. Vegetarier wie Antonia, 20, und Aaron, 19, sind hier fehl am Platz: „Es ist sehr fleischlastig hier. Wir hätten gehofft, dass es auch einige innovativere Stände gäben würde“. Beide studieren Ernährungswissenschaften und nehmen im Rahmen einer Exkursion an der Grünen Woche teil.
Wenig Innovation
1.400 Aussteller aus 60 Ländern sind bei der Grünen Woche vertreten. Auch Österreich ist mit allen Bundesländern außer Wien dabei. Nach Verkaufsständen mit alternativem Angebot muss man hier tatsächlich lange suchen. Zwischen all den Käse-, Salami-, und Wein-Ständen bieten zwei junge Männer Insekten zum Verkosten an.
Zwar ist auch das kein brandneues Konzept, Interessierte zieht es dennoch an. Heimchen mit Zimt und Zucker, Mehlwürmer mit Paprikagewürz. „Man kann es essen. Augen zu und durch“,, bringt es eine mutige Verkosterin auf den Punkt. Eine Werbetafel des jungen Unternehmens zeigt, wie ressourcenschonend Insekten als Nahrungsmittel im Vergleich zu Rindern sind.
Wie wichtig der Auftritt des Agrarlands Österreich auf der Grünen Woche in Berlin ist, bestätigt die aktuelle Außenhandelsbilanz der AMA Marketing. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2023 nahm der Wert der Agrarausfuhren von Österreich nach Deutschland gegenüber 2022 um 11,4 Prozent zu. Auch mengenmäßig konnte mit 1,1 Prozent ein leichter Exportzuwachs erzielt werden. Bei Käse, einem wichtigen Exportprodukt Österreichs auf dem deutschen Markt, konnte der Wert gegenüber dem Vorjahr um 4,3 Prozent gesteigert werden.
„Dieses Wachstum resultiert vor allem aus den Preissteigerungen, die bei fast allen tierischen Produkten beobachtet werden konnte“, heißt es von der AMA Marketing. Am deutschen Markt ist 2023 sowohl der Export von Milchprodukten, Fleischzubereitungen und Rindfleisch wertmäßig angestiegen. Im Getreidehandel gab es eine rückläufige Entwicklung. Insgesamt, also mit Einbeziehung der anderen Exportländer, fiel die Außenhandelsbilanz der ersten 3 Quartale 2023 mit einem Minus von 94 Millionen Euro leicht negativ aus.
Klimawandel und Landwirtschaft
Um das Thema Ressourcen geht es auch in einer versteckten Koje beim Österreich-Stand. Hier sitzt der deutsche Agrarökonom Raimund Jehle bei einem „Kamingespräch“. „Der Klimawandel wird die Landwirtschaft nachhaltig beeinflussen“, sagt er und verweist auf Extremwetter und Wasserknappheit sowie damit einhergehende Ernteausfälle.
Das stellt auch Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) am Rande der Grünen Woche nicht infrage. Dennoch ruft er die EU zu einem Kurswechsel auf: „Der Green Deal bringt unsere Bauern an die Grenzen.“ Totschnig fordert von der EU mehr Praxistauglichkeit: „Die hohen Vorgaben in Bezug auf Klima- und Artenschutz sowie Biodiversität beeinträchtigen österreichische Produzenten massiv.“
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