Griechenland drängt auf Aufschub für Sparziele
Sieger war Antonis Samaras schon einmal – und hatte am Tag eins nach der Wahl vor sechs Wochen alles hingeworfen. Dieses Mal will es der Chef der konservativen Nea Dimokratia anders machen und möglichst rasch eine neue Regierung für Griechenland präsentieren. Bereits am Montag begann Samaras mit Sondierungsgesprächen – erst mit der zweitplatzierten, ultralinken SYRIZA-Partei, dann mit der sozialistischen PASOK.
Deren Chef Evangelos Venizelos erklärte sich grundsätzlich zu einer Koalition bereit: "Das Land muss bis morgen Abend eine Regierung haben." Gemeinsam haben Konservative und Sozialisten 162 der 300 Sitze im Parlament. Sie wollen aber weitere Partner an Bord holen.
"Letzte Chance"
Die Zeit drängt für den Pleitestaat. Nur bis 20. Juli hat das Land noch Geld in der Staatskasse. Kommt bis dahin keine neue Hilfe aus Europa, können Staatsbedienstete und Pensionisten nicht mehr bezahlt werden. "Dies ist unsere letzte Chance, Griechenland zu stabilisieren", zeigt sich der Athener Politologe Kostas Ifantis über das Wahlergebnis erleichtert. "Je breiter die Regierung aufgestellt ist, also je mehr Parteien mitmachen, umso größer wird ihre Legitimation in der Bevölkerung sein, all die schwierigen Maßnahmen, die jetzt noch kommen, auch durchzusetzen. "Dass Griechenlands radikaler Senkrechtstarter Alexis Tsipras sich an der Regierung beteiligen wird, schloss der SYRIZA-Chef noch am Wahlabend kategorisch aus. Im Gegenteil, "der Kampf geht weiter", kündigte er an. Er werde eine starke Opposition anführen gegen eine Koalition, die für die Fortsetzung des Spar- und Kreditpaketes eintritt.
Die Skepsis bleibt
Während Europa nach dem Ergebnis der griechischen Wahlen aufatmet, überwiegt in Athen weitgehend die Skepsis. "Auch wenn wir jetzt endlich eine Regierung kriegen, wird deshalb auch nichts so schnell besser werden", brummt Kostas Kavadias. "Ich traue keinem von unseren Politikern mehr. Die haben uns da hineingeritten und ausgerechnet die sollen uns jetzt da wieder rausholen?" Sein Geschäft sei zwar nicht so schlecht gelaufen, gibt der Fleischhauer zu, "essen muss man doch immer, oder?", doch fast alle seine Kunden drehten jetzt jeden Euro drei Mal um, bevor sie in Athens zentralem Fleischmarkt ihre Wahl treffen.
Auch sein Monatseinkommen sei im Schnitt um ein Zehntel gesunken, erzählt Kavadias. Womit der Metzger noch deutlich über dem griechischen Schnitt liegt – eine durchschnittliche griechische Familie hat in den vergangenen zwei Jahren durch Lohnkürzungen und Steuererhöhungen mindestens ein Fünftel ihres Einkommens verloren. Bei manchen Staatsbediensteten liegen die Einbußen gar bei 50 Prozent.
Und dennoch reicht es immer noch nicht. Die von der EU und dem IWF vorgegebene Sparmaßnahmen haben die Wirtschaft abgewürgt, die Investitionen zu einem Stillstand gebracht und die Arbeitslosigkeit auf 22 Prozent schnellen lassen. Erste Priorität der neue Regierung wird es deshalb sein, mit Brüssel Erleichterungen der Sparvorgaben auszuhandeln. "Wir müssen Wachstumsimpulse setzen, nur so können wir die Wirtschaft wieder in Gang bringen, Investoren ins Land holen, privatisieren und unsere Reformen umsetzen. Aber dafür brauchen wir mehr Zeit", weiß auch Wirtschaftsexperte Agelos Tsaganicos vom griechischen Wirtschaftsforschungsinstitut IOBE. "Ein zusätzliches Jahr, das uns Brüssel zugestehen müsste, würde schon reichen."
Herkulesaufgabe
Eine Herkulesaufgabe wartet auf Griechenlands neue Koalition: Verkrustete Wirtschaftsstrukturen müssen aufgebrochen, Kartelle – etwa jene der Anwälte, Apotheker und Taxiunternehmer – geöffnet, der Staatsdienst modernisiert und alte Privilegien gekappt werden. Zusätzlich braucht es Maßnahmen im öffentlichen Sektor, wo Tausende Beamte abgebaut werden sollen, was aber heftigen Widerstand erwarten lässt.
Dennoch erwartet Wirtschaftsexperte Tsaganicos keine neuen Massenstreiks und Blockaden: „Wenn wir eine Regierung haben, die ihre Ziele wirklich durchsetzen will und die Notwendigkeit dieser Reformen auch kommunizieren kann, werden dies früher oder später alle Teile der Gesellschaft einsehen müssen. Alles, was wir jetzt brauchen, ist politische Stabilität.“
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