Gleichheitsforscher: "Großkonzerne nutzen Teuerung, um Gewinne zu maximieren"
Mit dem Gleichheitsforscher Altzinger sprach der KURIER auch über die Ursachen der Inflation, Übergewinne und den Polit-Einfluss der Reichen.
KURIER: Wir stolpern seit nunmehr bald drei Jahren von einer Krise in die nächste. Corona, Ukraine-Krieg, Teuerung, Energie. Wie sehr verschärft das die Ungleichheit in unserer Gesellschaft?
Wilfried Altzinger: Die Ungleichheit in unserer Gesellschaft, insbesondere in der Vermögensverteilung, hat unabhängig von der jetzigen Situation schon Ausmaße angenommen, die leider höchst bedenklich sind. Zur heutigen Einkommens- und Vermögenskonzentration kam es vor allem durch die Globalisierung der Weltwirtschaft. Weltweit wird heute 90 Prozent des Handels von multinationalen Konzernen betrieben und auch die Konzentration in der Industrieproduktion ist extrem hoch. Die Weltwirtschaft wird dominiert von Oligopolen, d. h. in jeder Branche gibt es nur einige wenige Anbieter, die den Großteil des Marktes beherrschen und dem entsprechend großen Preisgestaltungsspielraum haben.
Das heißt konkret?
Wenn Sie das jüngste Interview mit dem Spar-Vorstand Markus Kaser gehört haben, so spricht er dieses Problem klar an. Er hat sich offen darüber beschwert, dass jetzt im Zuge der Inflationsentwicklung, die sicher in erster Linie durch den Krieg und den Gaspreis entstanden ist, die großen Lebensmittelfirmen wie Danone, Nestle, Unilever und Co. offenbar eine Preispolitik betreiben, die alles andere als gerecht ist. Sie maximieren sozusagen als Trittbrettfahrer der Teuerung ihre Gewinne und schrauben für ihre Eigentümer mit Margen von 15 bis 20 Prozent den Shareholder Value hinauf. Die Rechnung dafür bezahlen wir Konsumenten. Derartige Gewinnmargen hat es in Friedenszeiten nie gegeben. Über diesen Teil der Inflation wird aber nur sehr wenig gesprochen.
Sie sprechen den relativ neuen Begriff der „Greedflation“ an, was soviel wie Teuerung aus Gier bedeutet. Wenn das Phänomen breiter Schule macht, müsste die jetzige Rekordinflation auch eine große Umverteilungsaktion von unten nach oben darstellen.
Ja, das ist auch mit Sicherheit der Fall, wobei das natürlich je nach Branche unterschiedlich ist. Bei Energiekonzernen sind die Spielräume aktuell wohl am größten, aber auch in der Lebensmittelbranche oder in Märkten mit wenigen großen Anbietern wie in der Automobilindustrie, ist es offensichtlich, dass die Unternehmen aufgrund der hohen Marktkonzentration großen Spielraum bei der Preisgestaltung haben. Und diese Preispolitik ist nicht ausschließlich kostengetrieben.
Wie ist es um die Vermögensverteilung in Österreich konkret bestellt?
Die unteren 50 Prozent der Haushalte haben de facto kein Vermögen. Sie leiden unter der Inflation besonders, weil sie auf so gut wie keine Ersparnisse zurückgreifen können. Die weiteren 40 Prozent der Haushalte haben nahezu ausschließlich Immobilienbesitz, also Eigentumswohnungen oder Einfamilienhäusern, aber auch nur unzureichende Geld-Ersparnisse. Die vermögendsten zehn Prozent der Haushalte besitzen dem gegenüber 60 Prozent des Gesamtvermögens. Dies ist vor allem Finanzvermögen und der Besitz von Unternehmen. Wobei das ganz oben noch einmal extrem konzentriert ist. In Österreich besitzen allein die hundert vermögendsten Familien mehr als zehn Prozent des Gesamtvermögens. Da reden wir dann von Mateschitz, Benko & Co.
Die Superreichen gab es immer, aber sie wurden seit Corona aber noch reicher ...
Die extrem ungleiche Verteilung der Vermögen ist zumindest mitverantwortlich für die politischen Zustände. Mir kommt da immer der Chat von Kabinettschef Thomas Schmid in den Sinn, der einem Kollegen im Finanzressort schrieb: „Vergiss nicht – du hackelst im ÖVP Kabinett!! Du bist die Hure für dich Reichen!“ Dass solche Aussagen bei einer Regierungspartei möglich sind, lässt mich immer wieder an unserer demokratischen Grundordnung zweifeln.
Sollten Übergewinne abgeschöpft werden?
Ja, selbstverständlich. Das ist aber ein Spezifikum im Strommarkt und in der Umsetzung komplex. Das müsste tatsächlich auf EU-Ebene gemacht werden, weil die Preisgestaltung nicht ausschließlich eine österreichische Angelegenheit ist. Aber es hat auch Kommissionspräsidentin von der Leyen gesagt, dass es hier Änderungen geben muss.
Tut die Politik genug, um Ängste zu nehmen? Stichwort: Wien Energie
Je mehr Angst in der Bevölkerung vorherrscht, desto mehr entmutigt werden Bürger und Bürgerinnen. Leider wird Angst zum Teil auch gemacht von der Politik und leider teilweise auch von den Medien, weil sich schlechte Nachrichten offenbar besser verkaufen lassen. Um größeren Handlungsspielräume zu erschließen, bräuchte es auch einen breiteren Diskurs zwischen Wissenschaft und Politik.
Wären in der aktuellen Krise, die ja auch eine Vertrauenskrise in den Staat, in die Politik und seine Institutionen ist, neue Steuern auf Erbschaften, auf Grund und Boden, also Vermögenssteuern und höhere Konzernsteuern sinnvoll zur Rettung des Budgets oder würde das nur die Unsicherheit in der Bevölkerung erhöhen?
Es ist immer riskant in Sondersituationen Sondersteuern einzuführen. Die Übergewinne sind jetzt eine eigene Geschichte. Aber ansonsten sollte die Steuerpolitik nach generellen Grundsätzen ausgerichtet sein, unabhängig davon ob wir wie derzeit einen Krieg in der Ukraine haben oder nicht. Und da ist klar, was uns OECD seit vielen Jahren bestätigt, dass bei uns die Besteuerung von Arbeit extrem hoch und die Besteuerung von Vermögen de facto nicht existent ist. Hier gibt es viel Luft nach oben.
Wird die jetzige Krise schlimmer als Corona? 2020 erlitten wir den schärfsten Wirtschaftseinbruch seit 1945…
Schwer zu sagen. Der Destabilisierungsprozess, wie ich das gerne nenne, läuft schon die letzten 30 Jahre. Er geht einher mit der Globalisierung der Wirtschaft. Dadurch wird eine gerechte Besteuerung zunehmend komplizierter. Für die multinationalen Unternehmen gibt es immer mehr Steuerfluchtmöglichkeiten. Ich bin aber kein Apokalyptiker. Ich bin davon überzeugt, dass gegen die zunehmenden Regulierungsprobleme auf globaler Ebene etwas getan werden kann und der Handlungsdruck auf die Politik angesichts der leeren Kassen und immer höherer Schuldenberge stark zunimmt.
Zum Abschluss eine persönliche Frage: Überall wird jetzt versucht Gas und Strom zu sparen. Haben Sie schon diesbezügliche Schritte in ihrem Haushalt gesetzt?
Ja, wenn ich am Wochenende fortfahre, schalte ich bis auf den Kühlschrank alles ab. Das habe ich bisher so noch nie getan.
Zur Person:
Wilfried Altzinger (63), geboren in Linz, ist gemeinsam mit Karin Heitzmann Co-Leiter des „Instituts für Verteilungsökonomie“ an der WU Wien (www.ineq.at).
Er lehrt und forscht in den Bereichen Wirtschafts- und Finanzpolitik mit den Schwerpunkten Vermögens- und Einkommensverteilung. Altzinger ist Mitglied des Vorstandes der Nationalökonomischen Gesellschaft Österreichs und war Gastforscher sowie Gastprofessor an der Curtin University of Technology (Australien), University of Mauritius, Institute for New Economic Thinking (Oxford, UK) sowie an der FU Berlin.
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