"Gewinnstreben ist wie Kernenergie"

"Gewinnstreben ist wie Kernenergie"
Die Krise lässt sich nicht mit Sparkursen bekämpfen, sagt Ökonom Stephan Schulmeister und hat keine Angst, dass Geld allen Wert verliert.

Die Woche hatte es in sich: Die Börsen weiter auf Talfahrt, auch Frankreichs Top-Bonität im Gerede, Europas Zentralbankchef sieht die "schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg" - nicht nur das Vertrauen der Anleger ist im Keller. Der Ökonom Stephan Schulmeister über berechtigte und unberechtigte Ängste.


KURIER: Die Menschen haben angesichts dessen, was gerade passiert, zunehmend Angst, dass ihr Geld irgendwann einmal einfach nichts mehr wert ist. Berechtigt?
Stephan Schulmeister:
Nein, diese Angst würde ich nicht teilen. Sparguthaben halte ich nicht für gefährdet, bei Aktien und Anleihen ist das natürlich etwas anderes.

Aber die Angst um den Euro ist doch real?
Was sich jetzt abspielt, ist eine systemische Krise, die möglicherweise letzte Etappe in einem Implosionsprozess jener Spielanordnung, die seit 30 Jahren die westlichen Industrieländer prägt.

Das heißt konkret?
Das Gewinnstreben ist die Kernenergie im Kapitalismus. Sie entlädt sich viel zu sehr in der Finanzwirtschaft.

Aber es hat doch lange für Wachstum gesorgt.
Ja, in der ersten Hälfte der Nachkriegszeit wurde das Gewinnstreben systematisch auf die Realwirtschaft gelenkt - wer reich werden wollte, konnte das. Lassen Sie Ihr Geld arbeiten, war das Spiel, das selbst Kleinanleger infizierte. Dann kam der Aktiencrash 2000/2003, dann 2007 die jetzige Krise, in der wir immer noch sind, in der alle Preise fielen - Aktien, Immobilien, Rohstoffe. Die Politik reagierte auf diesen Schock mit Konjunkturpaketen, Bankenrettung et cetera. Aber die systemischen Ursachen wurden nicht angeschaut.

Sie meinen das Streben nach Gewinnmaximierung auf dem Finanzmarkt?
Das hat nicht nur fröhliche Urständ' gefeiert, sondern sich noch ausgeweitet. Spekulationen gegen Staaten hat es vor 2009 nicht gegeben, das ist eine neue Erfindung in diesem Spiel.

Daher noch einmal die Frage: Kann alles den Bach runtergehen in diesem Spiel?
Ausschließen kann man natürlich nichts. Aber es ist nicht klug, eine Eventualität zu beschwören, die nach derzeitigem Wissensstand keinerlei Plausibilität hat. Man soll die Ängste schon ernst nehmen und nicht blöd beruhigen, wie das Politiker gerne mit leeren Phrasen tun, aber das andere Extrem, ständig an 1929 zu erinnern, finde ich übertrieben.

"Sparkurs ist der falsche Weg"

Was ist Ihre Angst?
Dass man in der Wirtschaftspolitik nicht aus den Köpfen bekommt, dass man um jeden Preis sparen muss. Wenn jetzt Italien anfängt, den Beamten die Löhne zu kürzen, dann wird das - siehe Griechenland - nicht wahnsinnig zur Belebung der Wirtschaft beitragen.

Sparen und Eindämmen der Schulden, die die Staaten für Spekulanten angreifbar machen, sind der falsche Weg?
Der Sparkurs ist der falsche Weg, die Eindämmung der Schulden nicht. Aber Eindämmung der Schulden geht immer nur durch Expansion, aus, Ende! Zu glauben, man kann sich gesundschrumpfen, ist ein furchtbarer Denkfehler, den schon Keynes nachgewiesen hat.

Was soll die Politik stattdessen machen?
Wenn man könnte, mit den Reichen reden und sagen: Liebe Leute, wenn ihr jetzt ein bisschen mehr Beiträge zu den Staatsfinanzen leistet und wir dadurch die Wirtschaft ankurbeln können, werdet ihr viel weniger verlieren, als wenn ihr euch gegen jede Art der Beteiligung an der Konsolidierung wehrt -, weil dann kann eurem Finanzvermögen noch einiges passieren.

Das funktioniert nicht, wie der Budgetkompromiss in den USA gezeigt hat: Einschnitte bei den Vermögenden gehen nicht durch, daher lieber mehr Schulden.

(Seufzt). Genau, und der Kurssturz der letzten Tage ist durch genau diesen Kompromiss ausgelöst worden. Sie haben recht: Die Politik wird das nicht so schnell kapieren. Andererseits: Es gibt schon ein Lernen der Eliten.

Beispiel?
Vor zwei Jahren wäre es noch völlig undenkbar gewesen, dass die Europäische Zentralbank Staatsanleihen kauft. Da werden Regeln aus Selbsterhaltungstrieb übertreten, und das ist ganz gut. Auch die Beschlüsse vom Rat in Brüssel vor zwei Wochen waren ein gar nicht kleiner Schritt in die richtige Richtung, weil der Rettungsfonds wird viel mehr können als der Rettungsschirm, der nur eine Feuerwehr war.

Und zwar was?
Der Rettungsfonds macht dasselbe, was die Republik mit den Bankenrettungen gemacht hat. Die Banken bekamen auf dem Markt kein Geld mehr zu normalen Zinsen, also hat der Staat wie eine Bank agiert und ihnen zu niedrigen Zinsen das Geld gegeben. Und ich würde einen Schritt weiter gehen, dass ein Europäischer Währungsfonds das Zinsniveau festsetzt für Papiere aller 17 Euro-Länder. Das ginge ganz schnell, wenn man will -, aber man will halt nicht.

"Wenn Nichtstun zur Leitlinie der Politik wird, ist das fatal"

Aber die Schritte, von denen Sie sprechen, hinken den Ratingagenturen und den Spekulanten immer ein paar Schritt hinterher.
Das ist richtig. Die Lerngeschwindigkeit hält mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Krise noch nicht mit.

Es gibt Experten, die sagen, das ist erst der Anfang, in dem Spiel der Spekulation gegen Staaten kommt irgendwann jedes Land dran. Steht Österreichs Top-Bonität auch irgendwann infrage ?
Wenn die infrage steht, dann wird das Spiel beendet, weil dann auch Deutschland dran ist. Aber man muss schon sagen: Im Verhältnis der Politik zu den Märkten hat sich doch eine ziemlich starke Abkühlung ergeben. Auch wenn sie noch nicht stark genug ist, den neoliberalen Smog aus den Köpfen der Politiker rauszupusten. Aber es stimmt nicht, dass die Märkte stärker sind als die Politik - wir leben schon noch in einer Gesellschaft, wo die Politik die Gesetze macht. Und bevor der Euro wirklich kippt und das ganze europäische Einigungswerk bedroht ist, werden die Politiker auf den Tisch hauen.

Dafür wär's doch höchste Zeit, wenn man sich die irrationale Börsenentwicklung der letzten Tage ansieht.
Vielleicht geht es ja bald schneller. Wenn Frankreich zum Beispiel wirklich ins Visier genommen wird, dann ist absolutes Feuer am Dach.

Geht nicht irgendwann das Geld für weitere Rettungsaktionen aus?
Im Gegenteil. Das weltweite Finanzvermögen weiß nicht mehr, wohin es gehen soll. Man sucht nach Anlagen, wo man zwar weiß, dass man nichts mehr verdient, aber es kann nichts schiefgehen. Warum werden denn die amerikanischen Staatsanleihen so stark gezeichnet? Weil man denkt, wenn die ganze Welt zugrunde geht, das letzte Land, das pleite geht und als Leitwährungsland eigentlich nicht pleite gehen kann, ist die USA.

Was ist gegenwärtig die größte Bedrohung?
In Europa die Spaltung. Wenn die Politiker aufgrund innenpolitischer Präferenzen - und den Populismus gegen Europa gibt es überall - das Gemeinschaftliche hintanstellen, dann ist das eine ganz große Gefahr. Und noch einmal: Die Sparpolitik, die in Europa geradezu identitätsstiftend geworden ist. In Wahrheit ist sparen Nichtstun. Und wenn Nichtstun zur Leitlinie der Politik wird, ist das fatal.

Zur Person

Stephan Schulmeister ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) und beschäftigt sich vor allem mit längerfristigen Wirtschaftsentwicklungen, Finanzmärkten und internationalem Handel. Der erklärte Kritiker des Neoliberalismus war unter anderem Gastprofessor in New York und New Hampshire und zählt zu den renommiertesten, aber wegen seiner betont linken Ausrichtung auch umstrittensten Ökonomen des Landes.

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