Ministerin Gewessler und ÖBB-Chef Matthä über Corona-Krise, Klimaschutz, Transit, den Ausbau des Güterverkehrs auf der Schiene, die „Sklaven der Autobahn“ und das 1-2-3-Ticket
Die grüne Verkehrs- und Klimaministerin Leonore Gewessler und der SPÖ-nahe ÖBB-Chef Andres Matthä wirken wie ein bereits gut eingespieltes Duo. Das soll so bleiben, der Vorstandsvertrag des Bahnbosses wird verlängert.
KURIER: Frau Ministerin Gewessler, wir sitzen heute zu dritt hier. Ein klares Signal, dass Herr Matthä, dessen Vertrag Mitte 2021 ausläuft, ÖBB-Chef bleibt?
Gewessler: Vor allem ein Zeichen einer sehr guten Zusammenarbeit in einem außergewöhnlich herausfordernden Jahr. Wir zwei arbeiten wirklich gut zusammen und das freut mich sehr. Aber die Entscheidung über den Vorstandsvertrag liegt beim Aufsichtsrat.
Es gibt noch einen zweiten Vorstand, den blauen Manager Arnold Schiefer. Wie man hört, hat er nicht gerade die Sympathien der Grünen, werden Sie ihn vorzeitig austauschen?
Gewessler: Es gibt einen aufrechten Vertrag und der Vorstand arbeitet aktuell gut zusammen.
Herr Matthä, wie kommen die ÖBB durch die Corona-Krise?
Matthä: Wir rechnen für das Gesamtjahr mit einem Impact von 750 Millionen Euro, das meiste davon im Personenverkehr. Gleichzeitig müssen wir Österreich am Laufen halten. Dazu braucht es ein ausreichendes Angebot mit ausreichend Platz für Pendler. Die kritische Infrastruktur, von Ärzten bis zur Polizei, muss aufrecht erhalten bleiben. Im ersten Lockdown hatten wir um bis zu 90 Prozent weniger Fahrgäste, mit der zweiten Welle sind es im Fernverkehr 70 Prozent und 60 Prozent bei der Schnellbahn. Jetzt hoffen wir auf die Öffnung der Schulen. Zugfahren ist nicht nur sicher und bequem, durch erhöhte Reinigung und entsprechende Wartung der Klimaanlagen und das Tragen von Masken ist die Ansteckungsgefahr äußerst gering. Von unseren 1.300 Zugbegleitern erkrankten nur 13 an Corona, und die haben sich privat angesteckt.
Gewessler: Ein großes Danke an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Bahn durch die Krise navigieren. Die Bahn ist das Rückgrat der öffentlichen Mobilität. Sie bringt die Ärztin ins Krankenhaus und den Mitarbeiter zur Arbeitsstelle. Es ist so wichtig, dass die Mobilität auch im zweiten Lockdown aufrecht bleibt. Daher haben wir die Verkehrsdienstverträge angepasst und Notvergaben auf der Weststrecke gemacht.
Von welchen Summen reden wir da?
Gewessler: Die erste Notvergabe auf der Weststrecke umfasste 53,7 Millionen Euro, die zweite bis 7. Februar circa 45 Millionen. Die Anpassung der Verkehrsdienstverträge für den Fernverkehr kostet rund 73,5 Millionen Euro. Der Eigenkapitalzuschuss für die Rail Cargo, den Güterverkehr, sei der Vollständigkeit halber auch noch erwähnt.
Matthä: Wir konnten auch den Güterverkehr am Laufen halten. Wir haben im ersten Lockdown gesehen, dass viele Lieferketten zerrissen sind. Jetzt erleben wir ein Zwischenhoch, die Lager werden offenbar aufgefüllt und wir liegen aktuell leicht besser als im Vorjahr.
Aber grundsätzlich haben die ÖBB im Cargo-Verkehr viel aufzuholen.
Gewessler: Der Verkehr ist das Sorgenkind der Klimabilanz. Österreich ist das Land, das die Bahn und den Güterverkehr am nachhaltigsten unterstützt. Mit der ökologischen Steuerreform wird die Steuer auf Bahnstrom gesenkt, das bringt rund 33 Millionen Euro und ist ein guter Impuls für den Wettbewerb zwischen Schiene und Straße. Der Schienengüterverkehr ist eine der wichtigsten Bereiche im Klimaschutz. Ohne Verlagerung werden die Klimaziele nicht erreichen.
Aber die Straße hat im Güterverkehr die Schiene doch längst überholt. Tendenz weiter steigend.
Gewessler: Österreich hat beim Güterverkehr einen Bahnanteil von 30 Prozent, das ist der höchste Wert in der EU.
Matthä: In der EU liegt der Anteil bei 17 Prozent. Aber es stimmt, der Transit mit dem Lkw wächst schneller als auf der Schiene. Von den fünf größten Alpentransitrouten führen vier durch Österreich: Brenner, Semmering, Schoberpass, Tauern und dann kommt erst St. Gotthard.
Gewessler: Wir starten eine starke, klimapolitische Aufholjagd. Im neuen Rahmenplan für die Bahn sind Investitionen über 17,5 Milliarden Euro vorgesehen, acht Milliarden davon für neue Projekte in den nächsten Jahren. Das ist ein Meilenstein. Wir brauchen die Infrastruktur, das Angebot und ein leistbares, bequemes Ticket.
Frau Ministerin, bevor wir zu Ihrem Lieblingsthema, dem 1-2-3 Ticket kommen – welches Ziel haben Sie in Ihrem Businessplan für den Transitanteil der Schiene?
Gewessler: Österreich hat als Ziel schon lange 40 Prozent. 2021 starten wir mit dem Mobilitäts-Masterplan für die Infrastruktur bis 2040. Jeder will und muss mobil sein, aber das muss so klimafreundlich wie möglich funktionieren und bedeutet auch eine bessere Vernetzung von Schiene und Straße.
Matthä: Im Güterverkehr hat das auch viel mit Sozialstandards zu tun. Die Cowboys der Landstraße sind heute die Sklaven der Autobahn. Die Lkw-Fahrer werden ständig überwacht, von der Fahrzeit bis zur Motordrehzahl und kriegen 600 Euro im Monat. Es braucht grenzüberschreitende Regeln und Sozialstandards zum Schutz der Mitarbeiter, es geht um die Kostenwahrheit zwischen den Verkehrsträgern.
Muss die Lkw-Maut teurer werden?
Gewessler: Wir müssen alle Hebel nutzen und schauen uns auch die Ökologisierung der Lkw-Maut an. Ebenso den Tanktourismus. Es geht ja nicht nur um Klimaschutz, sondern auch um die Lebensqualität der Menschen. Wir sind an der Belastungsgrenze. Jetzt haben wir mit dem Ökosteuer-Paket im Nationalrat den ersten Schritt gemacht. Drittstaats-Lkw, die in Österreich tanken, erhalten die Umsatzsteuer nicht mehr rückvergütet. Viele Frächter fahren Umwege wegen der niedrigeren Spritkosten bei uns. Ich bin da in engem Austausch mit meinem deutschen Kollegen.
Wagen Sie schon eine neue Zeitprognose für den Brenner-Basistunnel?
Matthä: Ursprünglich war die Fertigstellung des Gesamtprojekts in den 2030-er Jahren geplant. Der Zeitplan wird gerade aktualisiert. Zum 1-2-3 Ticket. Der größte Gewinner sind die ÖBB, klagen die Länder und die Verkehrsverbünde.
Matthä: Schön wär’s.
Gewessler: Die größten Gewinner sind die Menschen, die das Ticket nutzen. Nur zur Verdeutlichung: Sie können mit einem Ticket in ganz Österreich jeden Bus, jeden Zug, jede U-Bahn und jede Straßenbahn nutzen. Das ist wirklich eine Revolution im öffentlichen Verkehr.
Sie starten ausgerechnet mit dem österreichweiten 3er-Ticket. Kommen Sie mit den budgetierten 240 Millionen Euro überhaupt aus und sehen Sie tatsächlich so einen großen Bedarf?
Gewessler: Der Bund übernimmt für das 3-er Ticket die vollständige Finanzierung. Im Bundesfinanzrahmen sind über die 240 Millionen hinaus für 2023 und 2024 noch weitere 330 Millionen fix abgesichert. Und ja, ich sehe einen großen Bedarf. Das 3er-Ticket ist mit 1.100 Euro im Jahr wesentlich günstiger als derzeit eine Jahreskarte über zwei Bundesländern, z. B. von Mödling nach Wien.
Aber das große Problem ist doch, dass der öffentliche Verkehr in den Ländern sehr unterschiedlich entwickelt ist. Was nützt das Ticket, wenn es zu wenig Angebot gibt?
Gewessler: Parallel zum 3er-Ticket arbeiten wir an 1 und 2. Diese Stufen sind mir genauso wichtig, da bin ich mit den Ländern einig. Bis zum Ende der Legislaturperiode sollen alle drei Stufen stehen. Dafür hat die Bundesregierung Verantwortung übernommen. Und ja, wir brauchen auch noch viel Ausbau des öffentlichen Verkehrs.
Heißt, der Bund muss zahlen. So stellen es sich die Landeshauptleute vor.
Gewessler: Wir investieren derzeit so viel Geld wie nie zuvor in den öffentlichen Verkehr. Gerade im Großraum Wien. Wir müssen zusammenarbeiten, um die Klima-Ziele zu erreichen.
Eingespieltes Duo
Der Bahn-Chef
Andreas Matthä ist Vorstandsvorsitzender der ÖBB-Holding AG. Er bekleidet diese Position seit Ende Mai 2016, als er seinen Vorgänger Christian Kern beerbte. Er ist seit 1982 in verschiedenen Positionen für die Österreichischen Bundesbahnen tätig
Die Ministerin
Leonore Gewessler ist seit Jänner dieses Jahres Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Die gebürtige Grazerin war zuvor Geschäftsführerin der Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000
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