Gesundheitswesen unreformierbar, Chefin gibt auf

Der KURIER recherchierte die größten Baustellen im Gesundheitswesen.
Die Chefin des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Ulrike Rabmer-Koller, tritt vorzeitig zurück. Sie hinterlässt zahlreiche Baustellen.

16 Monate lang hatte Ulrike Rabmer-Koller als Chefin des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger versucht, mehr Effizienz ins österreichische Gesundheitssystem zu bringen. Am Donnerstag warf sie entnervt das Handtuch. "Es fehlt der politische Reformwille", begründete sie ihren überraschenden Rücktritt.

Nur bis ein Nachfolger gefunden ist, will die oberösterreichische Bauunternehmerin, Vize-Präsidentin der Wirtschaftskammer und VP-Wirtschaftsbund-Funktionärin noch an der Spitze des Hauptverbandes verbleiben. Dann will sie mit der Struktur der Gesundheitssystems nichts mehr zu tun haben.

Gesundheitswesen unreformierbar, Chefin gibt auf
Max Wellan, Apothekerkammer-Präsident, Ulrike Rabmer-Koller, Hauptverbands-Präsidentin der WKO, und Dr. Andreas Windischbauer, PHAGO-Präsident im Interview. Wien, 29.01.2016
"Ich bin angetreten, um zügig Reformen umzusetzen, damit die Finanzierung des Gesundheitssystems langfristig gesichert werden kann", betonte sie. Zügig aber scheint in diesem System gar nichts zu gehen: Das Sozialministerium hat laut Rabmer-Koller fast drei Jahre gebraucht, bis es schließlich Ende des Vorjahres überhaupt einmal eine Studie zur Effizienz des Gesundheitswesens in Auftrag gegeben hat. Und der für März versprochene Zwischenbericht liege immer noch nicht vor, beklagte Rabmer-Koller. Durchgeführt wird die Studie von der renommierten London School of Economics.

Schließlich dürfte auch noch der jüngste Rückschlag nach der Einigung mit den Magnetresonanz- und Computertomografie-Insituten über eine Verkürzung der Wartezeiten für Patienten ihre Rücktritts-Entscheidung beschleunigt haben. Denn die Wiener Gebietskrankenkasse ließ Rabmer-Koller per Brief wissen, dass sie diese Einigung sicher nicht umsetzen werde. Das käme zu teuer, so die WGKK.

Kritiker Rabmer-Kollers begründen ihr Scheitern auch mit ihrer Unfähigkeit, Unterstützer für Reformen innerhalb der Sozialversicherungen zu finden. "Sie hätte eben die Bundesländer motivieren und ins Boot holen sollen", heißt es.

Baustellen

An den dringend notwendigen Reformen des Gesundheitswesens wird sich Rabmer-Kollers Nachfolger(in) die Zähne ausbeißen müssen. Die größten Baustellen sind:

Selbstverwaltung Der Hauptverband hat keine Kompetenz, seine Entscheidungen auch umzusetzen. Die Sozialversicherungsträger sind autonom. Die Komplexität des gesamten Systems erschwert strukturelle Veränderungen. Beispiel Vertragsrecht: Es gibt rund 3000 unterschiedliche Dienstverträge im System.

Finanzierung Kanzler Christian Kern will in seinem Plan A Rücklagen der Krankenkassen in Höhe von 2,6 Mrd. Euro für die Gesundheitsversorgung anzapfen. Ein Teil davon ist jedoch gesetzlich gebunden, etwa zur Epidemievorsorge.Heißes Thema sind auch mögliche Selbstbehalte bei Arztbesuchen, wie sie bisher nur bei den Selbstständigen, Beamten und Bauern der Fall sind. Der Wirtschaftsflügel will mit Anreizen wie dem Erreichen von Gesundheitszielen steuern. Die Gebietskrankenkassen lehnen Praxisgebühren aus sozialen Gründen ab.

ELGA Ein Dauerstreit mit den Ärzten ist die flächendeckende Einführung der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA). Ziel von ELGA ist es, Doppeluntersuchungen und Mehrfachverschreibungen zu verhindern, indem Befunde aus dem Spital oder Röntgenlabor überall dort verfügbar sind, wo der Patient gerade ärztlich behandelt wird. Die österreichweite Umsetzung geht schleppend, die Ärzte wollen die Mehrkosten nicht allein schlucken.

Gesundheitszentren Auch bei den Primärversorgungszentren zur Entlastung der Ambulanzen spießt es sich mit den Ärzten. Bis 2020 sind 75 Zentren geplant, der Roll-out-Plan wird gerade erstellt. Ob der Widerstand der Ärztekammer nach der jüngsten Kammerwahl kleiner wird, darf bezweifelt werden. Die Ärzte pochen auf ihre Autonomie und fürchten Einkommenseinbußen.

Leistungsharmonisierung Wegen der föderalen Struktur der Sozialversicherung gibt es unterschiedliche Leistungen bei gleichen Beiträgen. "Das verstehen die Menschen nicht", sagte Rabmer-Koller. Eine Harmonisierung ist ihr nicht gelungen.

Zusammenlegungen 22, fünf oder gar nur drei? Der Streit, wie viele Sozialversicherungsträger am effizientesten sind, schwelt seit Jahren und ist mangels unabhängiger Effizienzstudien rein ideologisch geprägt. Für die Wirtschaftskammer sind fünf Träger genug, sie will das System schrumpfen, um Verwaltungskosten zu sparen. An der unter ihrem Einfluss stehenden Allgemeinen Unfallversicherung (AUVA) will sie festhalten. Die Industriellenvereinigung (IV) will die neun Länder-Krankenkassen auf nur noch drei bis vier Regionen aufteilen und so Kosten sparen. Sie tritt auch für eine klare Trennung von Management der Kassen und politischer Ebene ein.

Einer größeren Fusionitis setzt jedoch das Gesetz Grenzen. Die Selbstverwaltung ist verfassungsrechtlich garantiert, einer Abschaffung würden auch die Kammern zum Opfer fallen, was keine der beiden Regierungsparteien befürworten will.

Unterm Dach des Hauptverbandes sind die 22 Sozialversicherungsträger, darunter 9 Gebietskrankenkassen und die Versicherungsanstalten der gewerblichen Wirtschaft (SVA), Bauern und öffentlicher Dienst zusammenfasst. Der HV hat hier eine Koordinierungsfunktion, die Budgets sind in Selbstverwaltung.

Der Hauptverband schließt Gesamtverträge mit der Pharmabranche ab und soll ferner gesundheitspolitische Konzepte ausarbeiten und umsetzen, wie etwa die Gesundheitsakte (ELGA) oder Primärversorgungszentren.

Kommentare