Gelebte EU zeigt sich am Bahnhof

Gelebte EU zeigt sich am Bahnhof
Wie schon zu Kaisers Zeiten verkehren, arbeiten, handeln, begegnen und vermischen sich die Menschen zwischen Wien und Bratislava.

Der Wiener Ostbahnhof um 7 Uhr in der Früh: Jeder überzeugte EU-Kommissar müsste sich hier eigentlich voll bestätigt fühlen. Gut 500 Pendler strömen aus dem Euregio-Zug aus Bratislava Richtung Wiener Innenstadt. Im Gegenzug wollen dann deutlich weniger Wiener nach Bratislava fahren. Allerdings sind es heute viel mehr als noch vor zehn Jahren. Die Vereinigung Europas steht längst nicht mehr nur auf Brüsseler Dekreten. Sie wird hier – im Herzen Europas – von Slowaken und Österreichern täglich gelebt.

 

Liebesbekundung

Der „BratisLover“, er fährt zunächst von Wien-Ost in Richtung Parndorf, ist einzigartig in Europa: 70 Züge verkehren täglich zwischen der österreichischen und der slowakischen Hauptstadt. Seit Einführung des Stundentaktes vor nunmehr zehn Jahren steigen die Fahrgast-Zahlen stetig an (siehe unten).

Mit an Bord ist heute auch Roland Kern, Marketingmanager bei den ÖBB und Miterfinder dieses Triumphzugs. Er ist der BratisLover himself – aus seiner Liebe zu Bratislava hat er eine eigene Werbeschiene kreiert.

So zeitig in der Früh sitzen noch wenige Touristen im Zug. Die fahren erst später. Ab Kittsee steigen Fahrgäste zu, die Slowakisch sprechen. Gar nicht wenige haben sich in Ostösterreich ein Haus gebaut, arbeiten aber weiterhin in ihrer ersten Heimat. Hiesige Schuldirektorinnen und Freiwillige Feuerwerker freut das: Die neuen Nachbarn lassen die Orte an der Grenze wieder prosperieren.

Export-Offensive

Mehr auf der Straße als im Zug unterwegs in Richtung Osten sind heute auch etliche österreichische Unternehmer. Patrick Sagmeister, der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Bratislava, registriert rund 2000 österreichische Firmen, die derzeit in der Slowakei Geschäfte machen. Von den klassischen Zulieferbetrieben für die großen Autowerke in der Westslowakei bis zum burgenländischen Handwerksbetrieb, der von der Euro-Einführung in der Slowakei profitiert.

Die Grenze zwischen Kittsee und dem von weithin sichtbaren Plattenbau-Distrikt Petržalka ist heute praktisch unsichtbar. Zumindest aus dem Zugfenster sieht man sie nicht. „Die Grenze war mehr in den Köpfen“, erinnert sich Lubica Snopeková an die bilateralen Verhandlungen der Eisenbahner, die zum Jahrtausendwechsel begannen. Die gelernte Fahrdienstleiterin, die Eisenbahnwesen an der Universität studiert hat, hat lange für die Slowakischen Staatsbahnen gearbeitet, ehe sie vor vier Jahren zu den ÖBB gewechselt ist. Speziell älteren Kollegen wollte der grenzenlose Grenzverkehr als unerlaubte Grenzüberschreitung erscheinen.

Doch die Visionäre auf beiden Seiten haben sich am Ende durchgesetzt. Das Zugticket gilt längst auch für die kurze Busfahrt vom kleinen Bahnhof Petržalka in die Pressburger Innenstadt.

Schichtwechsel

Jede Stunde fährt auch von der „hlavná stanica“, dem Hauptbahnhof im Stadtkern, ein Zug durchs Marchfeld nach Wien. Mittags traut man seinen Augen kaum: Aus dem Zug, der aus Wien ankommt, steigen gut 200 reifere Frauen mit größeren Rollkoffern aus, und ebenso viele Frauen mit größeren Koffern steigen zu. Eine Mitarbeiterin des Wien-Büros in Bratislava zitiert eine Studie, wonach derzeit 20.000 slowakische Pflegerinnen in Österreich arbeiten. Oft teilen sich zwei Frauen eine Stelle. Alle 14 Tage wechseln sie ihren Wohn- mit ihrem Arbeitsplatz.

Neben ihnen im Zug sitzen auch einige Studenten. Und kein einziger IT-Spezialist. Die Unternehmerin Viera Sandtnerová weiß warum: „Die gut Ausgebildeten müssen nicht nach Österreich. Sie verdienen heute auch in der Slowakei gutes Geld.“

„BratisLover“: Triumphzug ohne Ende

Stundentakt Täglich verkehren zwischen Wien und Bratislava 70 Züge. Dadurch ist von 5 bis 22 Uhr ein Stundentakt auf der Nordstrecke (über Marchegg) und auf der Südstrecke (über Kittsee) möglich. Wem egal ist, wo er in Bratislava ankommt, dem stehen sogar zwei Züge pro Stunde zur Auswahl.

Erfolgsgeschichte Auch wenn es die Österreichischen Bundesbahnen nicht ausposaunen: Der „BratisLover“ (so werden die Euregio-Züge zwischen Wien und Bratislava genannt) ist der erfolgreichste Zug Österreichs. Seit seiner Einführung vor zehn Jahren sind die Fahrgastzahlen um 400 % gestiegen. Alleine im Vorjahr wollten 1,7 Millionen Reisende Bratislover sein.

All inclusive 14 € zahlt man in Wien für eine Fahrkarte hin und retour, die auch für den Stadtverkehr in Bratislava gilt. Im Gegenzug gibt es auch Fahrscheine für die Wiener Linien.

 

Kommentare