G20: Ungleicher Zugang zu Impfstoffen befeuert ungleiche Wirtschaftsserholung
Gründe für die Sorge um die Weltwirtschaft sind laut dem deutschen Finanzminister Christian Lindner die hohe Inflation und Lieferkettenprobleme in vielen Branchen. Aber auch geopolitischer Risiken wie der Ukraine-Konflikt haben negative Einflüsse.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte seine Prognose für das globale Wirtschaftswachstum vor drei Wochen auf jetzt noch 4,4 Prozent gesenkt .Seitdem habe sich das Momentum weiter abgeschwächt, sagte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa. Der Kampf gegen die Inflation dürfe nicht zulasten der Konjunkturerholung gehen. Experten befürchten teilweise, dass absehbare Zinserhöhungen in den Industriestaaten größere Kapitalabflüsse in Schwellenländern verursachen könnten - und damit Chaos.
Um Formulierungen gerungen
Auch Stunden nach dem offiziellen Ende des G20-Treffens im indonesischen Jakarta wurde noch an konkreten Formulierungen für die Abschlusserklärung gefeilt, die dann erst deutlich verspätet veröffentlicht wurde. Die Erholung schreite voran, wegen neuer Infektionswellen in der Pandemie aber mit weniger Tempo, heißt es darin.
Die G20-Staaten wollen weiterhin alle Möglichkeiten nutzen, um die Folgen der Corona-Krise abzufedern. Die Spielräume würden aber wahrscheinlich enger. Außerdem warnen die G20 vor einer sehr unterschiedlichen Erholung von Land zu Land, was unter anderem am Zugang zu Corona-Impfstoffen und Medikamenten liegt. "Das globale Umfeld ist herausfordernd", sagte Lindner, der erstmals - virtuell - an G20-Beratungen teilnahm. Zumindest schienen die meisten Ursachen der Inflation temporärer Natur zu sein.
Rhetorische Entschärfung auf Druck Russlands und Chinas
Der Ukraine-Konflikt wird in der Abschlusserklärung nicht direkt erwähnt. Gegenüber früheren Entwürfen wurde eine zuvor in Erwägung gezogene Formulierung zu "aktuellen geopolitischen Spannungen" abgeschwächt - Insidern zufolge auf Druck von Russland und China. Die sieben führenden Industrienationen (G7) hatten dagegen Anfang der Woche Russland noch mit scharfen Sanktionen gedroht, sollte der Konflikt eskalieren.
Deutsch-Französische Allianz für globale Steuerreform
Frankreich und Deutschland drängten unterdessen auf eine schnelle Umsetzung der globalen Steuerreform - planmäßig ab Anfang 2023. "Es ist fraglos ein ambitionierter Zeitplan", sagte Lindner. Die Bundesregierung stehe aber dazu. Es sei ein wichtiges Vorhaben für mehr Steuergerechtigkeit. Ähnlich äußerte sich Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire: Es gebe kein Zurück. "Wir müssen vorangehen."
Der deutsche Industrieverband BDI hatte diese Woche betont, 2024 wäre sinnvoller, um genug Zeit für Vorbereitungen zu haben. Knapp 140 Staaten haben sich unter dem Dach der Industriestaaten-Organisation OECD auf die Steuerreform geeinigt. Kernstück ist eine Mindeststeuer für internationale Konzerne in Höhe von 15 Prozent.
Dies soll die Verlagerung von Aktivitäten in Steueroasen zumindest eingrenzen. Die neuen Regeln sehen auch eine Besserstellung von Schwellenländern vor. Sie sollen deutlich mehr Steuereinnahmen von den größten Konzernen der Welt abbekommen. Allerdings ist offen, ob die US-Regierung von Präsident Joe Biden die Regeln durch den Kongress bringt.
Besonders umstritten war Lindner zufolge das Thema Entschuldung von Staaten. Laut IWF sind rund 60 Prozent der Entwicklungsländer - vor allem aus Afrika - bereits wegen ihrer Schulden in einer Notlage oder davon akut bedroht. Nach Berechnungen der Weltbank müssen 74 Entwicklungsländer dieses Jahr zusammen 35 Milliarden Dollar an ihre Gläubiger zurückzahlen - in einer Zeit, in der die Zinsen wieder steigen und die Finanzierungskosten besonders für riskantere Anlagen teurer werden.
Ganze Länder vor Pleite schützen
In den ersten beiden Corona-Krisenjahren 2020 und 2021 wurden den ärmsten Ländern alle Zins- und Tilgungszahlungen noch gestundet, damit sie Geld haben, gegen die Pandemie anzukämpfen. Diese Hilfen sind mittlerweile ausgelaufen, weswegen der Druck jetzt steigt. Die G20-Länder hatten sich in der Krise auf einen Rahmen (Common Framework) verständigt, wie künftig mit Fällen umgegangen werden soll, wenn ganze Länder vor der Pleite stehen.
China bleibt streng
Insidern zufolge funktionieren die Pläne aber nicht, weil China als größter Gläubiger vieler Staaten in der Praxis keine Schulden erlassen will. Länder wie Sambia, Äthiopien oder der Tschad warten daher trotz Anträgen noch auf Hilfen.
Der IWF will erreichen, dass Entscheidungen schneller gefällt und Zinszahlungen während der Verhandlungen eingefroren werden. Lindner sagte, der Common Framework müsse attraktiver für überschuldete Länder werde. Es brauche zudem mehr Schuldentransparenz. "Hier sind weitere Gespräche nötig."
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