Tausende Betriebe wollen keine Lehrlinge
Im Ausland ein Vorzeigemodell, im Inland bald ein Auslaufmodell? Immer mehr Unternehmen klinken sich aus der dualen Lehrausbildung aus und bilden keinen eigenen Nachwuchs mehr aus. Seit 2008 ist die Zahl der Lehrbetriebe um fast 6000 zurückgegangen, im Vorjahr erreichte die Zahl der betrieblichen Lehrstellen mit 111.000 ein neues Langzeittief.
Und das Engagement der Betriebe dürfte in den nächsten Jahren noch spürbar nachlassen, geht aus einer aktuellen Prognose der Synthesis Forschung im Auftrag des AMS hervor. Demnach wird der Anteil der Betriebe, die Lehrplätze anbieten, bis 2018 auf nur noch 13 Prozent schrumpfen. In einzelnen Branchen, konkret etwa im Tourismus oder in der Industrie, wird der Lehrlingsbestand um mehr als ein Zehntel sinken, so die Prognose. In Wien werden dann nur noch 7,5 Prozent der Firmen ausbilden, in Oberösterreich immerhin noch 18,4 Prozent. Zuletzt war der Rückgang an Lehrplätzen in den eher kleinstrukturierten Wirtschaftsregionen in Kärnten, Steiermark und Burgenland am größten.
Die Ausbildungslücke muss der Staat schließen: "Das Angebot an Lehrstellen wird, trotz rückläufiger Zahl an Jugendlichen, nicht ausreichen, um den Bedarf an Lehrplätzen zu decken. Auch in den kommenden Jahren wird ein Teil der Mädchen und Burschen auf überbetriebliche Lehrplätze angewiesen sein", heißt es in der Synthesis-Prognose. Der Geburtenrückgang bei den 15-Jährigen gilt als Erklärung für das Lehrlingsminus nur bedingt. So fiel im Vorjahr der Rückgang bei den Erst-Lehrlingen mit acht Prozent gleich doppelt so stark aus wie der demografische Rückgang bei den 15-Jährigen.
Ursachen
Die Wirtschaftskammer (WKO) verweist in ihrer Ursachenforschung auf die Nachwehen der Finanz- und Wirtschaftskrise, die Betriebe bei der Neueinstellung von Personal hemmt. Auch die Suche nach geeigneten Jugendlichen erweist sich als immer schwieriger, weil die Auswahl sinkt. Schon 60 Prozent eines Jahrgangs drängt in weiterführende Schulen. "Der Kuchen wird immer kleiner und die Konkurrenz mit den Schulen größer, die müssen schließlich auch ihre Klassen füllen", klagt WKO-Bildungsexpertin Katrin Eichinger-Kniely.
Der Aufwand für Ausbildner wird größer, viele Firmen werfen daher gleich das Handtuch. "Wir überlegen mittlerweile, die Lehrlingsausbildung aufzugeben. Der Suchaufwand wird immer größer und das, was die Lehrlinge an Schulbildung mitbringen, immer weniger", zitiert Synthesis den Chef eines Kleinbetriebes. Auch der Strukturwandel in der Wirtschaft – etwa Zunahme an Ein-Personen-Unternehmen (EPU) oder gestiegene Anforderungen für manche Berufen – wirkt sich negativ auf die Lehrlingszahlen aus.
Auswirkungen
Durch den massiven Rückgang an Berufseinsteigern, verbunden mit einem Anstieg an Berufsaussteigern durch Pensionierungen, kann es schon ab 2016 zu einem "deutlich spürbaren Fachkräftemangel" kommen, warnen die Autoren einer Studie des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw).
Die duale Lehrausbildung müsse daher dringend attraktiver gemacht werden. Die Vorschläge reichen von einer verstärkten Praxisorientierung in Schulen über die Aufwertung der Berufsorientierung zu einem eigenen Unterrichtsgegenstand bis zur Einführung einer Ausbildungspflicht für alle Jugendlichen bis 18 Jahre, um Bildungsabbrüche zu verhindern. Als Herausforderung wird diesbezüglich die Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund gesehen. Diese sind im Lehrlingssystem nach wie vor unterrepräsentiert.
Ausbildungspflicht
Die Gewerkschaft fordert ebenfalls eine Ausbildungspflicht – aber für Betriebe. "Es ist an der Zeit, dass die Privatwirtschaft wieder ihrer Pflicht nachkommt", sagt Stefan Samhaber, Lehrlingsvorsitzender der GPA-djp Wien. Wer nicht ausbildet, soll in einen eigenen Ausbildungsfonds einzahlen müssen. Die bisherige Lehrlingsförderung samt Lockerung des Kündigungsschutzes hält er für gescheitert.
Rund 15.000 Jugendliche fanden im Vorjahr keine betriebliche Lehrstelle und wurden daher vom AMS einem überbetrieblichen Ausbildungsplatz (ÜBA) zugewiesen. Ende 2013 absolvierten dort 8250 Burschen und Mädchen eine Lehre.
Der Staat nimmt für die Auffangnetze viel Steuergeld in die Hand. Laut Modellrechnung des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) kostet der überbetriebliche Lehrling den Steuerzahler 17.270 Euro pro Jahr. Er ist damit mehr als drei Mal so teuer wie ein Lehrling in einem Betrieb. Vom Auffangnetz profitieren vor allem die Bildungsinstitute von Gewerkschaft (bfi) und Wirtschaftskammer (Wifi). Zwar fließt das AMS-Geld an insgesamt rund 50 Träger, doch mit 46 Prozent teilen sich bfi und Wifi fast die Hälfte des Kuchens auf, geht aus der Synthesis-Analyse im Auftrag des AMS hervor. Private Bildungsinstitute üben immer wieder Kritik an der ihrer Meinung nach auf bfi und Wifi zugeschnittenen Ausschreibungen, doch sie tun dies aus Angst vor Auftragsverlusten lieber hinter vorgehaltener Hand.
Unbestritten ist, dass sich die Kosten für die ÜBA bei erfolgreicher Intergration in den Arbeitsmarkt rasch amortisieren, doch dies findet laut WKÖ-Bildungsreferentin Eichinger-Kniely immer seltener statt. „Die ÜBA sollten wieder viel mehr Lehrlinge an reguläre Lehrstellen vermitteln.“ Die Kombination aus Grundausbildung beim Staat und Fachausbildung im Betrieb funktioniert offenbar nicht.
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