EZB überholt Fed: Zinsen in Europa sinken früher als in den USA
Traditionellerweise hat sich die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt stets an der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) orientiert und erst dann die Zinsen erhöht oder gesenkt, wenn die Amerikaner den Schritt schon längst vollzogen hatten. Jetzt könnte es erstmals umgekehrt kommen. Was ist da passiert?
Im Gegensatz zu Europa brummt die US-Wirtschaft und die US-Inflation ist überraschend von 3,2 Prozent im Februar auf 3,5 Prozent im März gestiegen. Die länger für das Frühjahr erwartete erste Zinssenkung dürfte sich daher bis September verzögern.
In Europa herrscht Flaute, die Wirtschaft liegt am Boden, Deutschland steckt in der Rezession, Österreich ist davon nicht weit entfernt. Und, mindestens so wichtig: Die Inflation sinkt von Monat zu Monat.
Die klare Mehrheit der Finanzmarktexperten erwartet daher eine erste Zinssenkung um 0,25 Prozent im Juni. Konkret ist die Teuerung in der Eurozone im März bereits auf 2,4 Prozent gefallen, nach 2,6 Prozent im Februar und 2,8 Prozent im Jänner.
Am Donnerstag wurde der Leitzins zwar wie erwartet noch bei 4,5 Prozent belassen, aber EZB-Präsidentin Christine Lagarde und die Chefs der 20 Euro-Notenbanken bereiteten die Märkte bereits auf den Zinsschritt im Juni vor.
Wörtlich hieß es: "Sollte seine aktualisierte Beurteilung der Inflationsaussichten, der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation und der Stärke der geldpolitischen Transmission die Zuversicht des EZB-Rats weiter stärken, dass die Inflation sich nachhaltig dem Zielwert (von zwei Prozent, Anm.) annähert, wäre eine Lockerung der aktuellen geldpolitischen Straffung angemessen."
Waren ursprünglich fünf bis sechs Zinssenkungen in diesem Jahr erwartet worden, sagt Finanzexperte Peter Brezinschek (langjähriger Raiffeisen-Chefanalyst), so erwartet er jetzt nur noch drei Zinssenkungen bis Jahresende.
Die Gefahr, dass die Zinssenkung für Österreich quasi zu früh kommt, weil die Inflationsrate mit 4,2 Prozent noch fast doppelt so hoch ist wie im Durchschnitt der Eurozone, sieht Brezinschek nicht: "Im April und Mai wird auch in Österreich die Inflation aufgrund von Basiseffekten unter vier Prozent sinken. Die Zinssenkung kommt also richtig, auch bei uns zeigt der Inflationstrend nach unten."
Dieser Meinung schließt sich auch Fritz Mostböck, Chefanalyst der Erste Group an. "Die EZB darf nicht sklavisch warten bis die Inflation auf exakt 2,0 Prozent gesunken ist. Die vorherigen zehn Zinsanhebungen seit Juli 2022 wirken ja auch noch im Markt. Wenn die Zinsen im Juni wieder sinken, braucht das ja auch sechs bis neun Monate bis das eine Wirkkung entfalten kann."
Es gehe also um eine "vorausschauende Geldpolitik". Und mit einem ersten Zinsschritt im Juni stärke die EZB ihre Glaubwürdigkeit auf den Märkten. Mostböck: "Sonst wird sie immer nur als Beiwagerl der Fed wahrgenommen."
Die gegenteilige Position nimmt Hanno Lorenz, Ökonom bei der Agenda Austria, ein. Er sieht sehr wohl die gefahr einer zu frühen Zinssenkung, wenn auch aus einem speziellen Grund. "Die EZB sollte darauf bestehen, dass bis dahin alle staatlichen Inflationshilfen auslaufen." Denn erst, wenn die Preise nicht mehr "verzerrt werden", könne die EZB realistisch einschätzen, wie es um die Preisstabilität tatsächlich bestellt ist.
Lorenz: "Zu frühe Zinssenkungen haben die Inflation in der Vergangenheit oft wieder befeuert. Auch heimische Wahlkampfzuckerl könnten die Inflation wieder unnötig anheizen."
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