EZB macht bald Schluss mit Anleihekäufen, Weg frei für Zinserhöhung

FILE PHOTO: ECB President Christine Lagarde holds news conference following Governing Council's monetary meeting, in Frankfurt
Laut EZB-Präsidentin Christine Lagarde sollen negative Zinsen bis Ende September Geschichte sein.

Die Europäische Zentralbank (EZB) wird Experten zufolge nächste Woche den Boden bereiten für die erste Zinsanhebung seit elf Jahren. Als wichtige Voraussetzung dafür dürfte auf der auswärtigen EZB-Sitzung in Amsterdam am Donnerstag das Aus für das milliardenschwere Anleihen-Ankaufprogramms APP besiegelt werden. Dies gilt als Vorstufe der Zinserhöhung, die dann im Juli folgen dürfte.

Negativzinsen bald Geschichte

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat signalisiert, dass negative Zinsen bis Ende September Geschichte sein werden. "Eine erste Zinserhöhung im Juli ist nun fast eine ausgemachte Sache, wobei sich die eigentliche Frage auf das Ausmaß der Zinsanhebung konzentriert," meint Matthew Ryan, Analyst beim Finanzdienstleister Ebury.

Die Französin an der Spitze der EZB will die Anleihenkäufe zum Beginn des dritten Quartals eingestellt sehen: "Ob es nun genau der 30. Juni oder einige Tage später sein wird, ist letztlich irrelevant. Relevant ist nur, dass sie beendet werden und der Weg für eine Zinserhöhung auf der Juli-Sitzung frei ist", meint Commerzbank-Experte Michael Schubert. Das APP-Programm, mit dem den Finanzmärkten auch nach Auslaufen des großen Pandemie-Notprogramms PEPP Liquidität zugeführt wurde, ist bereits erheblich eingedampft worden - auf ein Ankaufvolumen von nur noch monatlich 20 Milliarden Euro.

Einige Währungshüter im EZB-Rat scharren mit Blick auf die erste Zinserhöhung bereits mit den Hufen: "Wir werden diesen Schritt im Juli gehen. Die Zeit des Wartens und Zögerns ist vorbei", sagt etwa der slowakische Notenbank-Chef Peter Kazimir. Die EZB steht unter Zugzwang angesichts einer auf das Rekordhoch von 8,1 Prozent gestiegenen Inflation. Auf der Juni-Sitzung müsse ein deutliches Signal kommen, wohin die Reise gehe, fordert Bundesbank-Chef Joachim Nagel. Einer ersten Zinsanhebung im Juli sollten weitere in der zweiten Jahreshälfte folgen.

Bewusstsein vorhanden

Auf der anderen Seite des Atlantiks hat die US-Notenbank die Zinswende bereits im März vollzogen. Anfang Mai unternahm die Federal Reserve sogar den größten Zinsschritt seit 22 Jahren und hob den Leitzins um einen halben Punkt auf die neue Spanne von 0,75 bis 1,0 Prozent an. Für die nächsten Sitzungen wurden Erhöhungen im selben Umfang angedeutet.

"Die EZB ist sich bewusst, dass sie angesichts der aktuell sehr hohen Inflationsraten die Zinswende einleiten muss", erläutert Commerzbank-Experte Schubert. Sonst verliere man die Kontrolle über die Inflationserwartungen. Viele Volkswirte gehen von einer ganzen Serie von Schritten aus. "Wir erwarten, dass die EZB die Netto-Anleihenkäufe im Juni beendet und die Zinsen im Juli, September und Dezember und auch im März 2023 um 25 Basispunkte erhöht," schreiben die Experten der Citigroup.

Die zur Zinssitzung am Donnerstag vorliegenden neuen Wirtschaftsprognosen der EZB-Ökonomen könnten weitere Argumente für eine Zinswende liefern. Nach Einschätzung von Ulrike Kastens, Europa-Volkswirtin bei der Fondsgesellschaft DWS, dürften diese ein schwächeres Wachstum und einen deutlichen Anstieg der Inflationsraten anzeigen.

In ihren jüngsten Projektionen vom März hatten die EZB-Volkswirte die Inflation heuer noch bei 5,1 Prozent gesehen, für 2023 wurden 2,1 Prozent veranschlagt. Aus Sicht von Frederik Ducrozet, Chefkonjunkturanalyst beim Schweizer Vermögensverwalter Pictet steht die Inflationsprognose für 2024 besonders im Fokus. Diese könnte Ducrozet zufolge nun von bisher 1,9 Prozent auf über 2 Prozent angehoben werden. Das EZB-Inflationsziel von zwei Prozent wäre damit übertroffen.

Nicht alle Mittel ausschöpfen

Auch wenn die Hüter des Euro im Juli die erste Zinsanhebung seit 2011 beschließen, bedeutet das wohl nicht, dass sie gleich an allen drei Zinsschrauben drehen werden. Als wahrscheinlicher gilt, dass zunächst nur der Einlagesatz neu justiert wird: Er liegt derzeit bei minus 0,5 Prozent und könnte zunächst um einen Viertelprozentpunkt erhöht werden. Damit müssten die Geschäftsbanken weniger Gebühren zahlen, wenn sie überschüssige Gelder bei der EZB parken. Das heißt jedoch nicht, dass auch der Hauptrefinanzierungssatz angehoben wird.

Dieser im Fachjargon als MRO bekannte Leitzins liegt derzeit bei 0,00 Prozent. Dies bedeutet, dass sich Banken bei der EZB Geld praktisch zum Nulltarif leihen können. Falls sie dies über Nacht tun, wird der Spitzenrefinanzierungssatz von 0,25 Prozent fällig. "Meine Prognose ist, dass die EZB bei einer ersten Zinserhöhung im Juli nur den Einlagesatz um 25 Basispunkte erhöhen wird", meint Geldpolitik-Experte Schubert.

Dann entstehe ein relativ enger Korridor der drei Leitzinsen, der zugleich den Vorteil habe, dass man den Geldmarkt wegen der relativ engen Spanne besser steuern könne. Aber auch wenn der Nullzins beim MRO im September angehoben werden sollte, bleibe der Einlagesatz der wichtigste Leitzins: "Das liegt daran, dass die Überschussliquidität ja weiterhin enorm hoch ist. Solange das so ist, hängt quasi der Geldmarktzins am Einlagesatz", erläuterte Schubert.

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