ÖBB: Geld zurück auch bei höherer Gewalt
Viele Bahnkunden wissen es noch immer nicht: Ist ein Zug mehr als eine Stunde verspätet, dann gibt es Geld zurück. Im besten Fall sogar 50 Prozent des Fahrpreises. Knapp 21.000 ÖBB-Gäste nahmen davon im Vorjahr Gebrauch und erhielten fast 358.000 Euro zurück.
Heuer werden es weit mehr sein. Durch das Hochwasser im Juni gibt es laut Insidern so viele Anträge wie noch niemals zuvor. Offizielle Zahlen werden noch nicht veröffentlicht, aber es dürfte ein weit höherer Betrag werden als in den Jahren zuvor.
„Höhere Gewalt“
Eigentlich wollten die ÖBB die Kunden, die wegen höherer Gewalt zu spät kamen, nicht entschädigen. Wie bei allen Bahnunternehmen Europas hieß es, bei unverschuldeten Ereignissen müsse man nicht zahlen. Doch die Schienen-Control, die heimische Schlichtungsstelle, sah das anders und verdonnerte die ÖBB im Jahre 2010 dazu, auch bei Streiks, Unwettern oder Schneefall zu bezahlen. Der heimische Bahnbetreiber zahlte deshalb seit 2011 auch bei höherer Gewalt, berief aber dagegen umgehend beim österreichischen Verwaltungsgerichtshof.
Der Fall ging schließlich bis zum Europäischen Gerichtshof hinauf. Der finnische Generalanwalt (entspricht in etwa dem Staatsanwalt) Nilo Jääskinen meinte in seinem Schlussantrag, dass Umweltkatastrophen alle paar Jahre auftreten und deren Auswirkungen somit im Ticketpreis kalkulierbar sind. Das sah jedenfalls auch der EuGH so und stärkte in der Rechtssache C-509/11 der Schienen-Control sowie den Fahrgästen den Rücken. Der entsprechende Beschluss wurde am gestrigen Donnerstag veröffentlicht.
Für uns hat das Urteil keine Auswirkungen, wir zahlen seit 2011 in solchen Fällen aus“, erklärt Sarah Nettl von den ÖBB. Gewaltige Auswirkungen hat das Urteil allerdings für alle anderen Bahnbetreiber in der Europäischen Union. Alle Klauseln in deren Beförderungsbedingungen, die Entschädigungen bei höherer Gewalt ausschließen, sind nun ebenfalls ungültig. Der Beschluss fand dementsprechend in Europa in allen Medien Widerhall.
Die Deutsche Bahn etwa hat bereits angekündigt, das Urteil ab sofort in die Tat umzusetzen. Die private Westbahn beteuert, seit Beginn des Betriebes schon jetzt alle Entschädigungen auch bei höherer Gewalt ausbezahlt zu haben.
Flugverkehr ist anders
Im Flug-, Schiffs- und Busverkehr ist die Regelung übrigens genau andersrum. Da haften die Unternehmen nicht bei höherer Gewalt. Der EuGH begründet das so: Da die verschiedenen Beförderungsformen hinsichtlich ihrer Nutzungsbedingungen nicht austauschbar sind, ist die Situation der in den verschiedenen Beförderungssektoren tätigen Unternehmen nicht vergleichbar.
Erst am Dienstag gab es in Deutschland ein Urteil des Bundesgerichtshofes, das bestätigt. Wenn Vögel das Triebwerk eines Jets beschädigen, haben die Passagiere kein Anrecht auf eine Ausgleichszahlung. Fliegen die Vögel hingegen in das Fenster ein Lokomotive und legen einen Zug lahm, muss künftig ein Teil des Ticketpreises zurückbezahlt werden.
Ende Mai kam Jubelstimmung im Zug von Wien nach Hamburg auf. Eine Dame freute sich lautstark darüber, dass der Nachtzug „Hans Albers“ 121 Minuten Verspätung hatte. Denn ab 120 Minuten gibt es den halben Fahrpreis zurück. „Bei der Deutschen Bahn geht das rasch, bei den ÖBB ist es mühsam“, meinte sie.
So startete der Selbstversuch des KURIER-Reporters. Immerhin ging es um zwei Tickets für den Schlafwagen und ein Auto im Reisezug. Nach fünfzehnminütiger Suche war das entsprechende Formular für die Fahrkostenrückerstattung auf der ÖBB-Homepage gefunden. Also rasch die Tickets kopiert, das Formular ausgedruckt und in 15-minütiger Arbeit ausgefüllt. Jetzt sollte alles seinen Lauf nehmen.
Nach sechs Wochen kam die Aufforderung, das Originalticket zu schicken oder die Kopie bei einem Kartenschalter beglaubigen zu lassen. Aus Zeitmangel wurde das Originalticket geschickt, wenn auch mit etwas Bauchweh – geht es verloren, ist das Spiel rasch zu Ende. Nach weiteren fünf Wochen kam schließlich die knappe Antwort der ÖBB, dass man nun Geld zurückbekomme. Kein Wort, wie viel und welcher Teil genau zurückerstattet wird. Zwei Wochen später waren rund 120 Euro auf der Kreditkartenabrechnung zu finden, die dazugebucht wurden. Ob die Summe stimmt, kann der Kunde so schwer beurteilen.
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