Droht neue Finanzkrise? "Jetzt ist nicht die Zeit für Deregulierung"
FMA-Vorstand Ettl im Gespräch mit KURIER-Redakteur Bachner
KURIER: Sie sind 2008 Vorstand in der Finanzmarktaufsicht (FMA) geworden. 2008 begann mit der Lehman-Pleite auch die globale Finanzkrise. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass es wieder zu einer Finanzkrise kommen könnte?
Ettl: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Finanzkrise von 2008 wiederholt, ist eher gering. Wir haben uns nach 2008 sehr gut aufgestellt. Und Dämme gebaut, die nicht so einfach einzureißen sind durch so eine Flut an toxischen Themen, wie sie damals über den Atlantik gekommen sind.
Es wird vor dem Platzen der KI-Blase an den Börsen gewarnt, vor den geopolitischen Risiken und vielem mehr. Das sorgt sie nicht?
Ich sehe vor allem drei potenziell gefährliche Themen. Einerseits Finanzierungen, die außerhalb des klassischen regulierten Finanzsystems passieren. Da werden Milliarden bewegt, da wird mit hochkomplexen Derivaten gezockt und da kann man davon ausgehen, dass hier nicht nur Eigenkapital eingesetzt wird. Wir schauen da ganz genau, wo das Geld herkommt und wie weit das in den Banken und auch der Versicherungssektor hinein wirkt – also auf die Querverbindungen. Dazu kommt der ganze Bereich Kryptos, Stablecoins etc. und drittens die großen IT-Serviceprovider für die Finanzindustrie, die mittlerweile selbst systemrelevant sind.
Klingt nicht wirklich beruhigend ...
Der zentrale Unterschied zu 2008 ist, dass wir heute von einem durchschnittlichen harten Kernkapital bei den Banken von 15 Prozent und mehr reden. Das ist weit mehr als das doppelte von dem, was wir 2008 hatten, und das Kapital ist auch von weit höherer Qualität. Heute haben wir in Österreich 50 Banken mit einer Rate an notleidenden Krediten von fünf Prozent. Mit einem Kernkapital wie damals hätten wir heute bereits wieder massive Verwerfungen, etliche Banken wären schon verschwunden.
Die Dämme aus teuren Kapitalpuffern sind unter Beschuss. In den USA lobbyieren die Banken massiv für eine Deregulierung, Trump will sie „entfesseln“. Wie stark ist der Druck, den Banken in Europa für eine Deregulierung machen?
Die Banken lobbyieren stark. Einige glauben, dass jetzt genau die Zeit für Deregulierungen ist. Auch mit dem Argument, dass es einen Konkurrenzkampf zwischen amerikanischen Banken und europäischen Banken geben würde.
Die US-Institute verdienen nun einmal ein Vielfaches ...
Aber die US-amerikanischen Banken sind sicher nicht die Hauptkonkurrenz für EU-Banken. Die Konkurrenz spielt sich auf dem EU-Binnenmarkt ab, hier spielt die Musik. Und ich kann nur davor warnen, was da in den USA passiert. Jetzt ist nicht die Zeit für Deregulierung. Die Erfolge der Reformen seit der Finanzkrise zeigen sich gerade jetzt, wo die Banken die Dauerkrise der Wirtschaft in den vergangenen Jahren recht gut verdaut haben. Diese Erfolge dürfen nicht in Frage gestellt werden.
Sehen das alle in Europa so? Der deutsche Kanzler hat sich schon mehrmals für eine Deregulierung der Banken ausgesprochen. Friedrich Merz sieht die zu starke Banken-Regulierung als Teil des europäischen Wachstumsproblems.
Auf der Expertenebene, glaube ich, gibt es kaum jemanden, der hier einer Deregulierung und einer Absenkung des Schutzniveaus auf der Kapitalseite das Wort redet. Eines darf man nicht vergessen. Es wächst jetzt eine jüngere Generation nach, die war bei der Finanzkrise vor 17 Jahren noch in der Volksschule. Das Erfahrungswissen geht also langsam verloren und für die Jungen ist die Finanzkrise schon wieder eine eher theoretische Geschichte. Die waren nicht dabei und haben den Stress nicht körperlich gespürt. Aber alle, die da mit am Tisch gesessen sind, haben implizit den Generalschwur abgegeben: Nie wieder.
Ihr Ansatz lautet Deregulierung nein, Entbürokratisierung ja. Was verstehen Sie darunter?
Man kann das Regelwerk vereinfachen, man kann es effizienter gestalten, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die Kapitalvorschriften müssen bleiben. Aber die Zahl und die Komplexität der Vorschriften kann man deutlich zurückfahren. Wir haben dafür in der Europäischen Bankenaufsicht EBA in Paris verschiedenste Potenziale identifiziert, wo man als Aufsicht sehr rasch etwas bewegen kann, ohne den langwierigen EU-Gesetzwerdungsprozess durchlaufen zu müssen.
Heißt konkret?
Ein Beispiel sind die Melde- und Berichtspflichten der Banken, also im Grunde unendlich lange Listen, die heute auszufüllen sind. Zum Beispiel die riesigen Datensammlungen zum Vergleich von Kreditrisikomodellen, die jährlich angefordert werden. Wenn man das einstellt, spart man sich rund 20 Prozent des gesamten Daten-Aufwands. Und das ist nicht nur ein Thema der Vereinfachungen für kleinere Banken, sondern auch für die ganz, ganz Großen. Der Gedanke dahinter ist, wir Aufseher müssen nicht immer 100 Prozent erheben, oft reichen auch 80 Prozent. Dafür wollen wir in Zukunft viel öfter risikoorientiert vorgehen. Also dort genauer hinschauen, wo mehr Risiko schlummern könnte. Wenn man jedes Aufsichtserfordernis für jede unserer 400 Banken in Österreich umsetzt, wird man nie fertig.
Es zeigt sich, dass oft bei kleineren Banken mehr Risiko schlummert, wenn ich an Fälle wie Hypo Alpe Adria, Meinl Bank, Constantia oder die Commerzialbank denke, bei der auch sie leidvolle Erfahrungen gemacht haben.
Stimmt, auch die Kleinen bis fünf Milliarden Bilanzsumme können große Probleme bereiten, das ist sicherlich eine Erkenntnis. Wir glauben, dass man auch unseren Ansatz der Proportionalität risikoorientiert einsetzen muss, also die Kleinen nicht prinzipiell von allem ausnehmen kann. Da unterscheiden wir uns ein wenig von den deutschen Vorschlägen, die wollen kleine Banken in eine eigene, praktisch nicht regulierte Klasse stecken.
Wenn bei der Entbürokratisierung des EU-Finanzsystems die Kommission in Brüssel, die EZB in Frankfurt, die EBA in Paris, alle nationalen Aufseher und Euro-Notenbanken und noch ein paar Institutionen mehr mitreden, kann da vor 2050 irgendetwas gelingen?
Auf jeden Fall! Einen Big Bang wird es nicht geben, aber die 21 Vorschläge, die jetzt in der EBA ausgearbeitet wurden, können relativ rasch abgearbeitet werden, ohne dass der europäische Gesetzgeber etwas machen muss. Das liegt in unserem eigenen Bereich.
Kann das einen substanziellen Beitrag leisten? Europa ist ja insgesamt gegenüber den USA ziemlich ins Hintertreffen geraten.
Europa ist weit besser, als einige Wirtschaftskapitäne in Europa im Moment glauben machen. Also was man bei uns in Europa alles vorfindet, ist in erster Linie positiv. Nämlich eine super Infrastruktur, ein super qualifizierter Arbeitsmarkt und super Wachstumschancen eigentlich. Ich finde, man soll sich keinesfalls zu sehr von amerikanischen Entwicklungen beeindrucken lassen, weil das, was dort aktuell passiert, ist für den Finanzmarkt brandgefährlich.
Sie sind Vize in der EBA in Paris. Der Vorsitzende, José Manuel Campa, hat seinen Rücktritt erklärt. Bewerben sie sich um die Nachfolge?
Nein, wir suchen gerade mögliche Nachfolger. Es wird einen Dreier-Vorschlag an Rat und Parlament geben. Campa geht Ende Jänner. Wenn wir nicht rechtzeitig einen Nachfolger finden, werde ich interimistisch übernehmen, aber darauf schauen, dass diese Phase so kurz wie möglich dauert.
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