ETH Zürich inside: Denken, forschen – umsetzen
In nur 35 Minuten soll der neue Hochgeschwindigkeitszug "Hyperloop" von San Francisco nach Los Angeles sausen. "Technologisch eine tolle Herausforderung, aber ich will nicht der erste Passagier sein", scherzt Johann Walter Kolar. Der Oberösterreicher ist Professor für Leistungselektronik an der Technischen Hochschule ETH Zürich und mischt mit dem Swissloop-Projekt an der Realisierung des Geschwindigkeitstraums von Tesla-Gründer Elon Musk voll mit.
Von der Innovationsfreudigkeit des US-Visionärs seien europäische Firmen meilenweit entfernt, weiß Kolar, dessen Institut zu zwei Dritteln aus Beiträgen der Wirtschaft finanziert wird. Die Unabhängigkeit der Forschung bleibt gewahrt, reine Auftragsforschung gibt es an der Eliteuni nicht. "Wir müssen nicht zu den Firmen gehen, die kommen zu uns", sagt Kolar, Grund sei oft die Unfähigkeit zu Innovationen im eigenen Unternehmen. Ein Alarmsignal, denn Europa drohe den Anschluss zu verlieren, mahnt der Professor: "Wir müssen aufwachen, aus der Komfortzone heraus, uns auf den Hosenboden setzen und arbeiten."
Unternehmergeist
Arbeiten heißt an der ETH nicht nur forschen und lehren, sondern auch umsetzen. Motto: Innovationen sind nur dann Innovationen, wenn sie jemand kauft. Obwohl die Absolventen in der Wirtschaft heiß begehrt sind und keine Jobsorgen haben, wird der Unternehmergeist hoch gehalten – und gefördert. Eigene "Spin-Off-Hubs" bieten mehr als nur Büro- und Labor-Flächen, sie ermöglichen disziplinenübergreifendes Arbeiten und sind eng mit der Schweizer Wirtschafts- und Finanzwelt vernetzt. Erfahrene "Innovations-Sherpas" helfen dem Nachwuchs auf dem Weg in die Selbstständigkeit.
Mit Erfolg. 15 Prozent der Absolventen entscheiden sich fürs Unternehmertum, in Österreich sind es nur fünf Prozent. Seit 1996 gab es 355 Ausgründungen die inzwischen mehr als 2500 Mitarbeiter beschäftigen. Rund 92 Prozent der ETH-Spin-offs überstehen die ersten fünf Jahre. Ihre Überlebensrate ist damit 40 Prozent höher als die anderer Start-ups in der Schweiz.
Kein Wunder, dass Start-ups bei den Eidgenossen eher belächelt werden. Es zählen nachhaltige Geschäftsmodelle "solider Unternehmen", heißt es im Spin-Off-Hub. "Schweizer Investoren haben keine Risiko- ,sondern eine Bankmentalität, die wollen kein Geld verlieren", erläutert Hub-Verantwortlicher Peter Seitz.
Schweiz vs. Österreich
Einen anderen Weg geht die Schweiz auch bei der Forschungsförderung. Es gibt keine direkte Förderung vom Staat an die Betriebe, stattdessen wird der Wissenstransfer von den staatlichen Universitäten in die Wirtschaft unterstützt. Mit durchaus niederschwelligen Angeboten wie das "Nest", das neue "Haus der Zukunft" zeigt (siehe Artikel unten).
Der gute Ruf der ETH als Talenteschmiede lockt immer mehr Österreicher in den Westen. Unter den knapp 20.000 Studierenden sind fast 500 aus Österreich, viele davon aus dem nahen Vorarlberg. Das Betreuungsverhältnis zwischen Professoren und Studenten sei viel besser als auf den Massenunis in Wien, erzählen zwei Elektrotechnik-Studenten dem KURIER, die auf Einladung der Wirtschaftskammer die ETH besuchten. Die Wienerin Franziska Wolff studiert Physik und war "überrascht, dass jeder Schweizer AHS-Maturant programmieren kann." An Österreichs Gymnasien werde "viel zu wenig Wert auf Mathematik" gelegt, meint sie, Mathe sei die Grundlage für alle technischen Disziplinen. Auch selbstständiges Denken komme zu kurz. Später will Wolff in die industrielle Forschung.
WKO-Partnerschaft
Wie die Professoren und Studenten sollen jetzt auch österreichische Betriebe vom Forschungsnetzwerk der ETH profitieren. Wirtschaftskammer-Boss Christoph Leitl unterzeichnete dafür in der Vorwoche eine Innovations-Partnerschaft. 100.000 Euro pro Jahr lässt sich die WKO den erleichterten Zugang zu Unternehmens-Kooperationen und Wissensaustausch mit führenden Forschern wie Professor Kolar kosten. Zielgruppe sind vor allem Klein- und Mittelbetriebe (KMU), für die die WKO Besuche organisiert, um Einblick in aktuelle Forschungsgebiete der ETH zu erhalten. Weitere Kooperationen mit anderen Eliteunis, etwa dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Stanfort University sind geplant.
Nähere Infos zur Innovationsoffensive der WKO finden Sie hier
Wie kann der Wissenstransfer zwischen Forschung und Wirtschaft besser gelingen? Zum Beispiel mit innovativen, niederschwelligen Angeboten wie dem „Nest“ in Dübendorf bei Zürich. Das im Vorjahr eröffnete „Haus der Zukunft“ ist kein gewöhnliches Gebäude, das einmal gebaut unverändert bestehen bleibt, sondern ein Baukasten. Von Dauer ist nur die tragende Stahlbeton-Säule, alles andere kann modulartig jederzeit verändert werden.
Die Idee: Betriebe können gemeinsam mit Forschern der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) neue Technologien in unterschiedlichsten Gebieten von Energie- und Wassermanagement über Baumaterialen bis hin zur intelligenten Lichtsteuerung testen. Sie können auch ganze Etagen oder Räume des Hauses selbst als Testlabor für ihre Produkte mieten. Die ersten „Kunden“ sind bereits eingezogen. So tüftelt beim KURIER-Besuch ein Betrieb gerade an einem mobilen Balkon, der vollautomatisch im Sommer nach draußen schwenken kann.
Ein anderes testet eine ganz neue Abwasser-Wiederaufbereitung, wobei Urin schon in der Toilette mit chemischen Methoden gereinigt werden kann. „Wir bitten Sie, uns etwas abzugeben“, muntert die Wissenschafterin die Besucher zum Gang aufs WC auf. Es sei ja schließlich für die Forschung.
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