Die Wahrheit hinter den Tourismus-Zahlen
Im Tourismus gehört gute Laune quasi zum Geschäft – egal, ob beim Wanderführer, Hotelier, Strandbadbetreiber oder Hüttenwirt. Auch wenn die Branchenzahlen veröffentlicht werden, wird gerne über ein Plus an Gästenächtigungen und Ankünften gejubelt. Bei einem genaueren Blick auf die Zahlen ist aber gar nicht so viel Freude angebracht, warnt Egon Smeral, Tourismusexperte von Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO).
Österreichs Urlaubsgäste haben im Zeitraum Mai bis August insgesamt 48,7 Millionen Nächte in heimischen Beherbergungsbetrieben verbracht, so die Zahlen der Statistik Austria. Das entspricht immerhin einem Plus von 2,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Tourismusvertreter klopften sich auf die Schulter und freuten sich über "neue Rekorde", was Nächtigungszahlen und Ankünfte betrifft.
Egon Smeral sieht überhaupt keinen Grund zum Jubeln: "Die Nächtigungszahlen und Gästeankünfte haben überhaupt keine wirtschaftliche Bedeutung", sagt er. "Was zählt, ist was in der Kassa ist." Und da schaut es oft eher mau aus.
Sparkurs
Seit dem Jahr 2000 haben die Tourismusumsätze real um nur drei Prozent zugelegt. "Derzeit befinden wir uns unter dem Niveau von 2008", rechnet Smeral vor. Bei den Urlaubern sitzt das Geld nicht mehr so locker: Sie buchen billigere Unterkünfte, bleiben weniger lang, sparen beim Restaurant-Besuch und beim Shoppen.
In Wien ist das Bettenangebot in den vergangenen Jahren gestiegen, die Nachfrage hinkt dem Angebot hinterher. Viele Hoteliers verschleudern ihre Zimmer. In einem Vier-Stern-Hotel ein Zimmer zum Preis eines 3-Stern-Betriebes zu bekommen, ist keine Seltenheit.
In Wien sind die Zimmerpreise 2009 um fast zehn Prozent eingeknickt, 2010 um weitere 3,8 Prozent. Im Vorjahr zogen die Preise zwar wieder um vier Prozent an, heuer wird aber schon wieder mit einer Stagnation gerechnet.
Die Städte ziehen dank umfangreichem Kulturangebot und Events immer mehr Touristen an – wenn oft auch nur übers Wochenende. Smeral: "Die Nachfrage verschiebt sich vom typischen Ferienaufenthalt hin zum Eventtourismus." Die Urlauber "wollen pausenlos unterhalten werden", sagt der Experte. Ob mit neuen Sportarten, mit Safaris, Konzerten oder beim Wandern mit Lerninhalten. Mit Prognosen für den kommenden Winter hält sich Smeral zurück. Nur so viel: "Es wäre schon günstig, wenn wir das Umsatzniveau des Vorjahres halten könnten." Die verhaltene Wirtschaftsentwicklung werde sich auch im Tourismus niederschlagen. Allerdings erfahrungsgemäß zeitverzögert. "Am Ende des Winters oder spätestens zu Beginn der Sommersaison."
Destinationen: Österreich verliert an Gewicht
Städtetrip, Wellnessurlaub oder mit dem Rucksack auf Abenteuerreise: Die Urlaubsangebote nehmen ständig zu. Nicht nur in Asien, wo ständig neue Resorts entstehen. Auch in Österreichs Nachbarland Deutschland wurde kräftig in die Infrastruktur investiert. 2011 war Deutschland nach Spanien das zweitbeliebteste Reiseziel der Europäer. Und in den ersten sieben Monaten 2012 checkten um knapp acht Prozent mehr ausländische Gäste in Deutschlands Unterkünften ein als im Vorjahreszeitraum.
Auch Spanien hat für den August mit 7,9 Millionen Gästen eine Rekordzahl an ausländischen Urlaubern gemeldet. Laut dem Madrider Tourismusministerium war das die höchste Zahl, die jemals in einem Monat gemessen wurde. Im Vergleich zum August 2011 kamen um fünf Prozent mehr Gäste nach Spanien. Vor allem der Zustrom russischer Touristen nahm mit 47,5 Prozent rapide zu.
Auch Österreich kann hohe Zuwachsraten bei einzelnen Nationen ausweisen. So sind im August um mehr als 300 Prozent mehr Gäste aus dem arabischen Raum angereist. In der Bilanz schlägt sich das allerdings kaum nieder. Mehr als drei Viertel der Nächtigungen entfallen auf Gäste aus Österreich und Deutschland. Österreichs Marktanteil ist – gemessen an den nominellen Tourismusexporten der EU-15 – gesunken (siehe Grafik). Realistisch gesehen sind Zuwächse kaum mehr möglich, sagen Experten. Schon allein deshalb, weil immer mehr Reiseziele um den Gast buhlen. Andererseits können sich auch immer mehr Menschen einen Urlaub leisten. Weltweit werden heuer erstmals mehr als eine Milliarde Menschen auf Reisen sein, schätzt die Welttourismusorganisation UNWTO.
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