Die vielen Väter des Finanz-Casinos

Geschichte einer Krise: Gierige Banker und Hedgefonds-Manager gelten als Auslöser der Finanzkrise. Diese geben den Staaten die Schuld.

Wie ist es möglich, dass die relativ kleine US-Börsenfirma Knight Capital an der Wall Street aufgrund eines Computerfehlers ungebremst Aktien kauft und binnen Stunden einen Wertpapierberg von sieben Milliarden Dollar anhäuft? Wie konnte US-Großbank J.P. Morgan Chase innerhalb weniger Wochen mit Spekulationsgeschäften mehrere Milliarden Dollar verlieren?

Über die Antworten auf diese Fragen streiten sich die Experten. Die einen meinen: Es sind die weltweit liberalisierten Finanzmärkte, auf denen das Kapital in Sekundenschnelle grenzenlos transferiert werden kann. Aufseher haben da das Nachsehen. Sie kommen mit dem Tempo, in dem das Geld von den Finanzakteuren um die Welt bewegt wird, nicht mehr mit.

Die anderen sagen: Die Aufseher und die Notenbanken sind schuld. Sie hätten über viele Jahre die Märkte mit Liquidität überschwemmt und damit für extrem tiefe Zinsen gesorgt. Banken seien auf Druck der Anleger gezwungen gewesen, Finanzprodukte mit höheren Renditen auf den Markt zu bringen.

Einen der vielen Grundsteine für das globale Finanz-Casino legten die USA schon vor fast genau 41 Jahren: Am 15. August 1971 verkündete Präsident Richard Nixon das Ende der festen Wechselkursbindung des Dollar an die anderen Weltwährungen. Damit eröffnete er das Spiel für die Finanzmärkte. Es dauerte mehr als ein Jahrzehnt, bis diese neue Freiheit nach Kontinentaleuropa überschwappte und auch hier die Banken begannen, kreative Finanzprodukte wie Optionen und Derivate zu entwickeln. Die Politik begleitete die Banker willig mit dem Niederreißen von Kapitalverkehrsgrenzen und dem Aus von Regulierungen.

In den 1990er-Jahren trieb die EU die Liberalisierung der Finanzmärkte Schritt für Schritt voran. Banken mit Lizenz in einem EU-Land durften in allen Mitgliedsstaaten tätig sein. Zusehends komplexere und undurchschaubarere Finanzprodukte (Derivate auf Derivate von Derivaten) wurden auf den Markt gebracht. Hedgefonds (siehe Lexikon unten) , die vor allem auf Pump spekulierten, kamen in Mode und beglückten Investoren mit zweistelligen Jahres-Renditen. Über Risiken sprach niemand – bis zum großen Crash 2008. An dessen Folgen wir in Form einer Staatsschuldenkrise in Europa heute mehr denn je herumlaborieren.

Ausgangspunkt

Sind die globalisierten und liberalisierten Finanzmärkte also Schuld an der Krise? Für den Ex-Chef von Attac, Christian Felber, lautet die Antwort eindeutig Ja. "Die Finanzmärkte unterliegen keinerlei Regulierung. Das ist wie Autobahnfahren ohne Straßenverkehrsordnung. Das ist gefährlich", sagt Felber zum KURIER. Dass die freien Finanzsysteme einen Mehrwert für die Volkswirtschaften gebracht hätten, sei nicht bekannt, meint Felber. Vielmehr destabilisierten die Finanzmärkte die Wirtschaft. Zudem seien die Finanzinstitute dank Deregulierung derart mächtig geworden, dass ihnen die Politiker gehorchten. "Die Politik macht nicht mehr das, was die Bevölkerung braucht, sondern das, was den Bankern passt", kritisiert Felber.

Radikalkur

Er würde die Banken mit einer Radikalkur in die Schranken weisen. "Die Versorgung der Wirtschaft mit Geld ist eigentlich eine zentrale Daseinsvorsorge. Diese müsste unter strenger Aufsicht ohne Gewinnmaximierung erfolgen", sagt Felber. So sei es in den Ursprüngen von Sparkassen und Genossenschaftsbanken auch gewesen.

Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International sieht in den freien Finanzmärkten dagegen keineswegs das Grundübel, aus dem die Krise hervorgegangen ist. "Der Krisenauslöser liegt in der Verantwortung der US-Notenbank und der Europäischen Zentralbank", ist er überzeugt. Mit ihrer Tiefzinspolitik hätten sie nicht nur für das Entstehen vieler neuer Finanzprodukte gesorgt, sondern auch dafür, dass sich die Staaten billig finanzieren konnten und so ihre Defizite ausweiteten.

Selbstregulierung

Davon hätten viele Menschen profitiert – etwa die Beschäftigten in der boomenden spanischen Bauwirtschaft vor dem Crash. Doch irgendwann sei Zahltag, die Geldgeber wollten ihr Geld zurück. Mit der Krise aber hätten die Märkte sich selbst reguliert. Denn die Zinsen, die die Notenbanken zuvor unrealistisch niedrig angesetzt hatten, seien auf das richtige Maß zurückgeschnellt.

Zusätzliche Regulierung hält Brezinschek für kontraproduktiv. Denn damit würde wieder die Willkür der Politik einziehen. Denn unter Staatseinfluss seien Vorschriften noch nie konsequent angewendet worden, betont er. Banken jedenfalls seien ausreichend reguliert. Schaden angerichtet hätten viel mehr jene Quasi-Banken, die außerhalb des Finanzkorridors ihre Tätigkeiten angeboten hätten. Dazu zählen Hedgefonds und spezielle Finanzgesellschaften.

Allerdings haben gerade diese Schattenbanken in der Krise an Bedeutung gewonnen. Denn sie übernehmen Risiken, die die Banken aus ihren Büchern streichen und gar nicht mehr eingehen wollen. Während die Aufsicht die Schattenbanken als gefährlich einstuft und eine Umgehung ihrer Vorschriften vermutet, lobt Martin Rauchenwald, Partner der Vermögensverwaltungs- und Beratungsgesellschaft ithuba capital, ihre Tätigkeit. "Schattenbanken liefern Alternativen zur Kreditaufnahme und eröffnen neue Perspektiven für Geldanlage", betont er.

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