Die größte Wettermaschine der Welt

Die größte Wettermaschine der Welt
In Wien-Floridsdorf werden Fahrzeuge bei Temperaturen zwischen minus 45 und plus 60 Grad getestet. Der KURIER war dabei.

So muss sich wohl Beamen anfühlen: Man geht an einem sonnigen Herbsttag mit angenehmen Temperaturen durch eine Tür und befindet sich plötzlich in finsterer Nacht auf einem schneeverwehten und vereisten Bahnsteig wieder. Möglich ist das in Wien Floridsdorf. Dort betreibt das Test- und Forschungsinstitut Rail Tec Arsenal (RTA) zwei Klimakanäle.

Der Längere ist 100 und der Kürzere 30 Meter lang, damit sind sie die größte und zweitgrößte Einrichtung dieser Art weltweit. Auf ihre Wettertauglichkeit getestet werden Züge, Straßenbahnen, U-Bahnen, aber auch Autos, Nutzfahrzeuge und Hubschrauber. Simuliert werden Luftfeuchtigkeit, Sonne, Regen, Schnee, Eis und Eisregen, es werden Temperaturen zwischen minus 45 und plus 60 Grad erreicht.

Ein riesiges Gebläse mit 4,7 Megawatt Leistung – was in etwa jener einer Lokomotive entspricht – sorgt für Windgeschwindigkeiten von bis zu 250 km/h. Eine Beregnungsanlage sorgt für Schnee, Regen und Vereisung. Sonnenlicht wird durch hunderte Gasentladungslampen, die auf einer Seite des Tunnels befestigt sind und das natürliche Sonnenlicht am besten nachbilden, simuliert.

Sonnencreme und Eis

"Unsere Mitarbeiter müssen manchmal mit Sonnenbrille und Sonnenschutzcreme arbeiten, damit sie keinen Sonnenbrand bekommen", sagt Gabriel Haller, technischer und wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer von Rail Tec Arsenal. "So gesehen sind wir das längste Solarium der Welt", scherzt der Wissenschaftler.

Nicht nur Wettersituationen, auch Auswirkungen des menschlichen Körpers werden nachgeahmt. 120 Watt gibt der Mensch durch Wärme an seine Umgebung ab. Das und die Transpiration durch die Atemluft wird innerhalb der Fahrzeuge simuliert. "Wir sind weltweit die einzigen, die ein laufendes Flugzeug-Triebwerk auf minus 30 Grad vereisen können", sagt Haller. Damit wird das Durchfliegen einer Wolke nachempfunden.

Auch Skispringer testen

Zimperlich ist man bei RTA nicht, der eine oder andere Motor wurde schon zerstört. Auch die österreichischen Skispringer haben in seinen Kanälen neue Materialien getestet. Der Energieverbrauch der gesamten Anlage ist mit jenem eines 2500-Einwohner-Dorfes vergleichbar. In 24 Stunden betragen die Energiekosten bis zu 5500 Euro. Vor allem hohe Windgeschwindigkeiten und tiefe Temperaturen gehen ins Geld, die Kosten für Regen und Eis sind laut Haller überschaubarer. Heute ließen sich Testbedingungen wesentlich einfacher herstellen, vor 20 Jahren sei zum Beispiel noch mit Schneekanonen gearbeitet worden.

Enorme Belastungen

Zurzeit hat RTA einen Zug des Schweizer Herstellers Stadler Rail auf seinem Testgelände. Der Zug wird auf seine Alltagstauglichkeit getestet, indem Stationsaufenthalte, Beschleunigung und Abbremsen überprüft werden. Die Belastungen, denen Züge ausgesetzt sind, sind enorm. "Zum Beispiel, wenn ein Zug in den Gotthardtunnel einfährt", sagt Thomas Legler, Leiter Technik Fernverkehr bei Stadler.

In dem 57 Kilometer langen Tunnel herrschen während des ganzen Jahres wegen der Bergwärme sommerliche Temperaturen von 35 Grad, die Außentemperatur kann im Winter minus 20 Grad oder weniger betragen. Gröbere Vereisungen tauen im Tunnel auf, verlässt der Zug die Röhre wieder, kommt es zu einem abrupten Gefrieren. Neue Modelle müssen daher auf ihre Sicherheit, Zuverlässigkeit und Energieeffizienz getestet werden. Und das gehe sogar in der Schweiz nicht so gut wie in den Windkanälen in Wien- Floridsdorf.

Anfänge beim Arsenal
RTA hat 32 Mitarbeiter, wurde 1961 gegründet und war früher beim Wiener Arsenal beheimatet. Seit 14 Jahren ist das Institut in Floridsdorf. Es hat 65 Millionen Euro gekostet und ist im Eigentum der Republik Österreich sowie weiterer Eigentümer und Betreiber wie Bombardier, Alstom, Siemens, Hitachi, Rail Italy und dem Austrian Institut of Technology.

Dritt-Kunden
Jährlich müssen acht Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet werden, um keinen Verlust zu schreiben. Neben den Eigentümern tragen dazu auch Dritt-Kunden bei.

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