Deutschland will Pillenversand einschränken

Rezeptpflichtiges soll nicht mehr versendet werden dürfen
Kehrtwende bei der Liberalisierung des Medikamentenverkaufs sorgt für Kursstürze bei Online-Apotheken. Und für Jubel.

Kommando zurück bei der Liberalisierung des Medikamentenverkaufs in Deutschland: "Um die Apotheken vor Ort zu stärken, setzen wir uns für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein", heißt es im Regierungsprogramm der neuen Großen Koalition in Berlin. Anders als in Österreich und den meisten anderen EU-Ländern dürfen in Deutschland seit 2004 nicht nur rezeptfreie, sondern auch rezeptpflichtige Pillen versendet werden. Für große Versandapotheken gilt das liberale Deutschland daher als goldener Boden.

Hintergrund

Die geplante Drosselung des Online-Handels in Zeiten der Digitalisierung klingt wie eine Retro-Maßnahme, hat aber einen rechtlichen Hintergrund. 2016 hob der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Preisbindung bei rezeptpflichtigen Arzneien für ausländische Versandapotheken auf. Diese dürfen ihre Arzneimittel seither auch mit hohen Rabatten verkaufen, während für die knapp 20.000 niedergelassenen Apotheken weiterhin ein Festpreis gilt.

Besonders in ländlichen Gegenden führte der Konkurrenzdruck bereits zu vielen Schließungen. Allein im Vorjahr gaben 275 Apotheken auf, die Gesamtzahl sank auf dem tiefsten Stand seit 30 Jahren. Entsprechend groß ist der Jubel der deutschen Pharmazeuten. Mit dem Verbot könne die "Schieflage im Wettbewerb unter den Apotheken wieder beseitigt werden", heißt es beim Branchenverband ABDA.

Umsatz bricht weg

Arge Schmerzen bereiten die Pläne den großen Online-Apotheken, denen hohe Millionenumsätze wegbrechen. Die Aktienkurse des Schweizer Versandhandelsriesen "Zur Rose" und der in Frankfurt notierten "Shop-Apotheke Europe" knickten in den vergangenen Tagen um bis zu 25 Prozent ein. "Zur Rose", die in Österreich mit der Drogeriekette dm kooperiert, kündigte "maximalen Widerstand" gegen das Versandverbot an: Man werde im Interesse der Patienten sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene juristische Schritte unternehmen, heißt es in einer Aussendung.

Der DocMorris-Mutterkonzern setzte im Vorjahr allein in Deutschland 420 Mio. Euro um, das ist die Hälfte des Gesamtumsatzes. Auch die in Österreich derzeit massiv werbende "Shop-Apotheke" äußerte verfassungs- und europarechtliche Bedenken. Die nach Eigenangabe am stärksten wachsende Online-Apotheke in Kontinentaleuropa konnte den Deutschland-Umsatz im Vorjahr auf 209 Mio. Euro fast verdoppeln.

Vorsichtiges Österreich

Österreich wagte bisher nur kleine Liberalisierungsschritte. Selbst der Versand von rezeptfreien, aber den Apotheken vorbehaltenen Produkten, wurde erst Mitte 2015 erlaubt. Das Online-Geschäft wandert seither vor allem ins Ausland, Vor-Ort-Apotheken entgeht dadurch margenstarkes Geschäft. Bei den heimischen Apothekern herrscht daher eine gewisse Genugtuung über die deutsche Kehrtwende. "Bei jedem Liberalisierungsschritt müssen auch die Folgen für die Versorgungssicherheit und das Gesundheitssystem miteinbezogen werden", sagt Apothekerkammer-Sprecherin Elisabeth Ort. dm kämpfte bisher vergeblich darum, in ihren Filialen auch rezeptfreie Arzneien verkaufen zu dürfen. Heuer wird ein neuer Versuch beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) gestartet.

In der Schweiz versucht es "Zur Rose" mittlerweile auch stationär. Im Vorjahr wurde in Bern die erste Shop-In-Shop-Apotheke in einem Migros-Warenhaus eröffnet, heuer sollen weitere folgen. Der Versandhandel ist in der Schweiz noch restriktiver als in Österreich. Für den Kauf von apothekenpflichtigen Arzneien ist grundsätzlich ein Rezept nötig.

In Deutschland sind von 1200 Versandapotheken weniger als 30 übrig geblieben. In Österreich haben 45 Apotheken eine Versandlizenz. Die meisten davon versuchen sich in Nischen zu behapten. Der Online-Umsatz entfällt zu über 80 Prozent auf ausländische Versender

Rezeptfrei/pflichtig
In Österreich dürfen nur rezeptfreie, apotheken-pflichtige Arzneimittel (z.B. Husten-, Erkältungs-, Rheuma- oder Schmerzmittel) versendet werden. Nur sieben von 28 EU-Länder, darunter Deutschland, Schweden, Niederlande udn Dänemark, erlauben den Versand von rezeptpflichtigen Produkten.

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