Deutsche Wirtschaft befindet sich auf Rekordniveau
Trotz Lieferengpässe und weiter lauernder Coronagefahr wächst die deutsche Wirtschaft im Rekordtempo. Sie sei im Juli "weiter auf der Überholspur", sagte Ökonom Phil Smith am Freitag zu den Umfrageergebnissen seines Instituts IHS Markit unter Hunderten Firmen. Der daraus berechnete Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft stieg im laufenden Monat um 2,4 auf 62,5 Punkte - der höchste Wert seit Beginn der Statistik 1998. Das Barometer signalisiert ab 50 ein Wachstum.
Ökonomen hatten nur mit einem leichten Anstieg auf 60,8 Zähler gerechnet. Die Erholung von der Coronakrise ist damit noch etwas kräftiger als erwartet, was sich auch in der Eurozone insgesamt bemerkbar macht.
Zweifel: Lieferkettenstörungen und Einschränkungen
Dazu trugen vor allem die deutschen Dienstleister bei, die vom Wegfall der meisten Coronabeschränkungen profitieren. Deren Einkaufsmanagerindex kletterte um 4,7 Zähler auf ein Rekordhoch von 62,2 Punkten, während der für die Industrie um 0,4 auf 65,6 Zähler zulegte. "Bei den Geschäftsaussichten binnen Jahresfrist sind die Unternehmen momentan weniger zuversichtlich", sagte Smith. Dies deute auch auf Sorgen hinsichtlich der Unterbrechung von Lieferketten und Zweifel daran hin, wie schnell die verbleibenden Einschränkungen aufgehoben werden könnten.
Laut LBBW-Ökonom Elmar Völker mahnt die jüngste Entwicklung der Corona-Inzidenzen zur Vorsicht vor zu viel Euphorie. Er verweist auf Frankreich, wo sich die Infektionslage zuletzt deutlich stärker verschlechtert hat als in Deutschland. Dies schlug sich auch in den Einkaufsmanagerindizes nieder, die im Juli bereits leicht auf dem Rückzug waren: "Die heutige positive Botschaft kommt daher zugleich mit einem Warnsignal, die Pandemie nicht voreilig für beendet zu erklären", so der Ökonom.
Eurozone auf sommerlichem Wachstumskurs
Trotz des Dämpfers in Frankreich hat die Wirtschaft der Eurozone im Juli jedoch das höchste Wachstumstempo seit 21 Jahren hingelegt. Der Einkaufsmanagerindex stieg auf 60,6 Zähler von 59,5 Punkten im Juni. "Angesichts der Lockerungen der Coronarestriktionen genießt die Eurozone einen sommerlichen Wachstumsschub", so Markit-Chefökonom Chris Williamson. Die Geschäfte im Servicesektor liefen so gut wie zuletzt vor fünfzehn Jahren. Doch trüben die weiter lauernden Gefahren durch die Delta-Variante die Aussichten: "Weitere Viruswellen auf der ganzen Welt könnten zu neuen Verzögerungen in den globalen Lieferketten und damit zu immer höheren Preisen führen."
Im EU-Aussteigerland Großbritannien hat die Virusvariante bereits dazu geführt, dass sich der Aufschwung verlangsamt. Das Markit-Barometer für die Privatwirtschaft rutschte um 4,5 auf 57,7 Punkte ab - der niedrigste Wert seit März. Die Regierung hatte erst am Montag fast alle Coronabeschränkungen aufgehoben. Kritikern geht das zu weit, zumal die Zahl der Neuinfektionen in den vergangenen Wochen kräftig stieg. Nach offiziellen Coronawarnungen für Hunderttausende Mitarbeiter im Einzel- und Großhandel sich zu isolieren, sind viele Regale in Supermärkten leer geblieben.
Delta für Euroraum (noch) unbelastend
Laut dem Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel, ist die Delta-Variante bisher für die Wirtschaft im Euroraum zwar noch keine größere Belastung: "Doch so schön die Wachstumsparty derzeit ist, alles hat einmal ein Ende. Der Einkaufsmanagerindex für den Juli dürfte wohl das vorläufige Hoch bilden." Mit einem abrupten Abbruch der wirtschaftlichen Erholung sei aber selbst im vierten Quartal nicht zu rechnen.
Die EU-Kommission hatte erst kürzlich ihre Wachstumsprognose für die Eurozone in diesem Jahr um 0,5 Prozentpunkte auf 4,8 Prozent angehoben. Laut EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni kann der Euroraum nun bereits in den letzten drei Monaten dieses Jahres und somit ein Quartal früher als gedacht zum Vorkrisenniveau zurückfinden.
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