Das tragische Schicksal der vertriebenen Familie Hacker

Das tragische Schicksal der vertriebenen Familie Hacker
Verfolgt, enteignet, ermordet, verjagt. Hans Hacker, einer der letzten Überlebenden einer Wiener Unternehmer-Dynastie, will späte Gerechtigkeit. Er rollt den Fall einer Immobilie in der Innenstadt auf, mit der eine Bank reich wurde.

Erster Bezirk, Hanuschgasse 1/Operngasse 2. In dem repräsentativen, fünfstöckigen Gebäude residieren Tochtergesellschaften der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich. Teile der Bundestheater Holding, eine Anwaltskanzlei und zwei kleinere Geschäfte sind auch eingemietet.

Der 95-jährige Hans Hacker geht oft an der Adresse gegenüber der Staatsoper vorbei. Jedes Jahr fliegt er von Los Angeles, wo er seine zweite Heimat gefunden hat, für zwei Monate nach Österreich, um die Witwe seines verstorbenen Bruders Friedrich Hacker (siehe Artikel unten) zu besuchen. "Es geht nicht nur um diese Immobilie oder um Geld. Das wirklich Entscheidende ist, dass der Staat endlich anerkennt, dass unserer ganzen Familie großes Unrecht geschehen ist. Dass wir zumindest eine Entschuldigung bekommen", sagt der elegante alte Herr. Der Österreich trotz der schrecklichen Erlebnisse in der dunklen Vergangenheit des Landes aus tiefem Herzen liebt.

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Eigentümerin des Gebäudes mit 757 Quadratmetern Grundfläche ist heute die DLC Operngasse, eine Tochter der Raiffeisenlandesbank OÖ.

Einst gehörte die Immobilie der Familie Hacker, die ihr Geld mit der "Metallwarenfabrik Moritz Hacker" verdiente. Leontine Sara Hacker, die Großmutter von Hans Hacker, erbte das Haus gemeinsam mit ihren drei Söhnen von ihrem verstorbenen Mann.

1939 wurde das Gebäude "arisiert". Leontine Hacker musste um 325.000 Reichsmark an die Automobil-Verkehrs-Anstalt (AVA) verkaufen, eine kleine, zur CA-Gruppe gehörende Bank, die zu horrenden Zinsen Kfz-Kredite vergab und Immobiliengeschäfte finanzierte.

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Nach dem Abzug von Verbindlichkeiten und der Reichsfluchtsteuer blieben knapp 44.000 Reichsmark, die der Großmutter in Form einer kleinen Rente den Lebensabend finanzieren sollten.
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Dazu kam es nicht. Im März 1943 wurde Leontine Sara Hacker enteignet, ihr Vermögen wurde zu Gunsten des Reiches eingezogen. Weil die alte Dame "innerhalb der Reichsgrenze abgeschoben" wurde(siehe Faksimile). "Abgeschoben" war die unglaubliche Verharmlosung für die Deportation von Leontine Sara Hacker ins Konzentrationslager Theresienstadt. Wo sie ermordet wurde.

Die Verwaltung der Nazis dokumentierte penibel. Hans Hacker hat viele der damaligen Dokumente noch. Die mit Reichsadler und Hakenkreuz gestempelten Papiere sind die Belege der Bürokratie des Grauens.

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Einer der drei Söhne von Leontine Sara Hacker wurde ebenfalls im KZ umgebracht. Seinen Brüdern gelang die Flucht.Cornel Hacker ging mit seinen Söhnen Hans und Friedrich nach Kalifornien,Erwin Hacker nach Australien.

Im März 1950 kam es zu einem Vergleich mit der AVA Bank. Zuerst wurde Cornel und Erwin Hacker angeboten, die Immobilie zurückzukaufen. Sie sollten also für Vermögen, das ihnen gehört hatte, nochmals bezahlen. "Mit welchem Geld hätten mein Vater und mein Onkel das Haus kaufen sollen? Sie mussten doch wirtschaftlich eine neue Existenz aufbauen", erinnert sich Hans Hacker im KURIER-Gespräch.

Man einigte sich darauf, dass das Gebäude um 647.600 Schilling endgültig ins Eigentum der Bank überging und alle Forderungen der Familie Hacker "ein für allemal erledigt" seien. Die Summe ermöglichte den Hackers wenigstens, zwei andere, kleine Häuser in Wien zurückzukaufen.

Der Vergleich sei nicht fair gewesen, sagt Hans Hacker. Sondern eine Erpressung. "Diese Ungerechtigkeit wurde mit dem Mantel der Legalität zugedeckt. Mein Vater und mein Onkel wurden vor die Wahl gestellt, schnell zuzustimmen, andernfalls würden sie keinen Schilling bekommen."

Seltsam, dass eine Bank für einen sogenannten Vergleich nicht einmal ein Gutachten über den Wert der Immobilie vorlegte. Außerdem muss man sich vorstellen, wie schwierig damals die Kommunikation zwischen Österreich und Übersee war. Die Familienmitglieder, die einen Wiener Anwalt beauftragten, hatten überhaupt erst zwei Jahre später die Mittel für ihre erste Reise zurück nach Österreich.

Die AVA Bank dagegen machte den vermutlich besten Deal ihrer Geschichte. Als die Banker die Immobilie 1981 in eine andere Gesellschaft umschaufelten, wurde das Gebäude intern bereits mit 45 Millionen Schilling bewertet. Im Jänner 1991 verkaufte die AVA Bank das Haus um 300 Millionen Schilling an die IG Immobilien, eine Tochter der Nationalbank. Diese reichte das Eckgebäude im Oktober 2002 für 19,888 Millionen Euro an die Raiffeisen OÖ weiter. Dem KURIER liegen alle Kaufverträge vor.

Zur Veranschaulichung der Größenordnungen: Die 647.600 Schilling, die an die Familie Hacker bezahlt wurden, entsprechen heute laut Wertsicherungs-Berechnung der Statistik Austria 520.421,85 Euro. Ein fairer Preis für eine Top-Immobilie in der Wiener City?

Der Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus lehnte im Mai 2007 den Antrag von Hans Hacker ab. Der Vergleich mit der AVA Bank stelle "keine extreme Ungerechtigkeit" dar. "Wenn eine ökonomische Erpressung keine extreme Ungerechtigkeit ist, was dann?", kann Hacker die Entscheidung nicht verstehen. Er hatte keine Naturalrestitution beantragt, da die Immobilie nicht im Eigentum des Staates war, sondern Entschädigung.

Die Argumentation des Fonds ist durchaus zu hinterfragen. Zwar hätte die Familie Hacker nach dem Dritten Rückstellungsgesetz einen Anspruch auf Restitution der Liegenschaft gehabt, aber zum Zeitpunkt des Vergleichs habe es keine Informationen über deren Wert gegeben. Eben, weil die Bank keine Bewertung vorgelegt hatte.

Eine Einschränkung der Privatautonomie der Hackers wegen ihrer Abwesenheit von Österreich anerkannte der Fonds auch nicht. Weiters wird argumentiert, dass die ehemaligen Eigentümer 1938 den Wert in etwa in Höhe des späteren Arisierungsbetrages angaben. Jüdische Eigentümer waren verständlicherweise bemüht, den Wert ihres Vermögens eher zu niedrig als zu hoch anzugeben. Mit einer Enteignung rechnete die Familie nicht.

Die AVA Bank existiert längst nicht mehr, sie wurde 1997 an den US-Finanzriesen General Electric Capital veräußert. Elf Jahre später übernahm die spanische Banco Santander das Österreich-Geschäft.

Die Nationalbank erklärt dazu, das Gebäude sei an den Verkäufer, die AVA Bank, vermietet gewesen. Man habe über elf Jahre "einen hohen Mietertrag generieren können, welcher deutlich über dem damaligen Marktniveau lag". Als die AVA Bank ankündigte, auszuziehen, wurde an die Raiffeisen OÖ verkauft. Die Vorgeschichte erfuhr die OeNB erst über die Anfrage des KURIER, bis dato sei sie "nicht bekannt" gewesen.

Auch Raiffeisen OÖ war die Historie des Hauses in den 1930er-Jahren "nicht bekannt. Zumal der Erwerb des Gebäudes von einer Anwaltskanzlei begleitet wurde".

Niemand hat etwas gewusst. Daher fühlt sich niemand verantwortlich, weder moralisch und rechtlich schon gar nicht. Obwohl ein Blick ins Grundbuch genügt hätte, um nachdenklich zu werden.

Einer der außergewöhnlichsten und liebenswertesten Menschen, denen ich begegnete, war der Psychiater Friedrich Hacker. Der weltweit als Terror- und Aggressionsforscher anerkannte Arzt verstand es einerseits einem breiten Publikum die kompliziertesten Zusammenhänge des menschlichen Seelenlebens zu erklären, andererseits war er aber auch – und das passt so gar nicht in das Bild, das wir von den „Göttern in Weiß“ haben – ein humorvoller, lebenslustiger Mann, einer, dem der Schalk im Nacken saß. Und er war ein Wiener, wie er im Buche steht.

In Wien zur Welt gekommen, hatte er hier Medizin studiert und noch ein paar Vorlesungen Sigmund Freuds besucht, ehe er nach Amerika emigrierte, wo seine Karriere als Assistent des legendären Dr. Karl Menninger begann. Später gründete und leitete er eine Psychiatrische Klinik in Los Angeles.

Hilfe bei Kriminalfällen

Berühmt wurde Hacker in den sechziger Jahren, als sich mit Aufkommen des internationalen Terrors immer mehr Staaten und Einzelpersonen in ihrer Sicherheit bedroht fühlten. Von den Behörden in spektakulären Kriminalfällen beigezogen, half Hacker den Mord an der Schauspielerin Sharon Tate, den Überfall auf die israelische Olympiamannschaft in München und die Entführung der amerikanischen Verlegerstochter Patricia Hearst aufzuklären. Im Auftrag der österreichischen Regierung verhandelte er mit jenen Terroristen, die 1973 in Marchegg die Passagiere eines Eisenbahnzugs als Geiseln genommen hatten.

Durch Fernsehauftritte im Zusammenhang mit diesen und anderen Kriminalfällen bekannt geworden, sprayten unbekannte Täter einmal die Worte „Kein Massaker ohne Hacker“ an die Mauer einer Wiener Stadtbahnstation. Das gefiel ihm durchaus, denn Hacker hatte ganz und gar nichts dagegen, populär zu sein.

Vater des "Freud-Museums"

Trotz des weltweiten Ruhms, seiner psychiatrischen Klinik in Los Angeles und der unauslöschlichen Erinnerung, wie die Nazis ihn aus seiner Heimat vertrieben hatten, liebte er keine andere Stadt auch nur annähernd wie Wien. Immer wieder kam er, um Freunde zu treffen, zum Heurigen und auf den Fußballplatz zu gehen. Ende der sechziger Jahre ergriff er schließlich die Initiative, in den ehemaligen Wohn- und Ordinationsräumen des „Vaters der Psychoanalyse“ ein Sigmund-Freud-Museum zu errichten. Und mit dieser Großtat ist eine der schönsten Hacker-Geschichten verbunden.

Nachdem es ihm gelungen war, die österreichische Regierung für das Projekt zu gewinnen, schlug Hacker dem damaligen Bundeskanzler Josef Klaus vor, Freuds in London lebende Tochter Anna zur bevorstehenden Eröffnung des Museums in der Wiener Berggasse Nr. 19 einzuladen. Der Regierungschef war sofort einverstanden, bat Hacker jedoch, für ihn den Text des Einladungsbriefes an Anna Freud aufzusetzen, da er selbst nicht recht wüsste, wie die berühmte Tochter eines noch berühmteren Vaters anzusprechen sei und mit welchen Worten eine solche Einladung zu erfolgen hätte.

Geheimer Brieffreund

Professor Hacker, der Anna Freud gut kannte, formulierte den Brief, der dann vom Kanzler unterzeichnet wurde. Eine Woche später läutete Hackers Telefon, am Apparat war Anna Freud. „Stellen Sie sich vor, Doktor Hacker“, sagte sie, „ich habe einen Brief vom österreichischen Bundeskanzler erhalten, in dem er mich zur Eröffnung eines Freud-Museums einlädt. Ich komme natürlich gerne, aber ich habe noch nie einem Bundeskanzler geschrieben, und da wäre meine Bitte an Sie: Könnten Sie so nett sein, für mich das Antwortschreiben aufzusetzen?“

Hacker kam auch dieser Bitte nach. Er antwortete seinem eigenen Brief und Anna Freud unterschrieb. Aus Einladung und Antwort entwickelte sich ein intensiver Schriftverkehr zwischen Josef Klaus und Anna Freud, der sich über mehrere Monate hinzog. Wobei jeder einzelne Brief vom unermüdlichen Friedrich Hacker stammte.

Tod im Fernsehstudio

Zu den Patienten der „Hacker Clinic“ in Los Angeles zählten mehrere Hollywoodstars, die sich vorwiegend mit Alkohol- und Drogenproblemen an den renommierten Psychiater gewandt hatten – unter ihnen Robert Mitchum und Judy Garland sowie Ray Charles.

Als der Wiener Psychiater Dr. Stephan Rudas seinem väterlichen Freund Hacker zum 75. Geburtstag ein Buch mit dem Titel „Die Midlife Crisis“ schenkte, grinste der Jubilar: „Allerweil, ich wär schon so weit.“

Er sollte die Midlife Crisis leider nicht erleben, denn der 75. war sein letzter Geburtstag. Viele seiner Freunde meinten, „Friedl“ Hacker sei so gestorben, wie er selbst es sich gewünscht hätte: in einem Fernsehstudio in Mainz, während einer Live-Diskussion (über den Rechtsaußenpolitiker Schönhuber).

Aus dem Buch: Georg Markus, „Die Enkel der Tante Jolesch“, Amalthea Verlag

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