Das heiße Eisen Stahlindustrie

Die europäische Stahlbranche droht bis 2030 halbiert zu werden.
Die Stahlkocher in Europa kämpfen gegen Billig-Importe, Überkapazitäten und Umweltauflagen.

Europas Stahlindustrie kämpft mit steigenden Importen zu Tiefstpreisen aus China und auch aus Russland. Die EU hat bereits einige Produkte mit Strafzöllen belegt, am Freitag leitete sie weitere Verfahren ein. Der Stahlbranche ist das zu wenig. Sie leidet unter massiven Überkapazitäten und befürchtet, dass die Sparte bis 2030 halbiert wird und massiv Personal abbauen muss.

Warum drängt China so massiv auf den europäischen Stahlmarkt?

Der Bauboom in China in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat zu einem gigantischen Ausbau der Stahlkapazitäten geführt, um von teuren Importen unabhängig zu werden. Heute ist China mit mehr als 800 Millionen Tonnen – das ist die Hälfte der weltweiten Produktion – der mit Abstand größte Stahlhersteller. Durch den Wachstumsknick im eigenen Land hat China laut Expertenschätzungen rund 200 Millionen Tonnen Überkapazität.

Warum trifft das die europäische Stahlindustrie so stark?

Sie leidet ebenfalls unter massiven Überkapazitäten. Von der Gesamtkapazität von 210 Millionen Tonnen werden laut voestalpine-Chef Wolfgang Eder – der derzeit Präsident des Weltstahlverbandes ist – etwa 40 Millionen Tonnen nicht benötigt. Das zweite große Problem: Als Folge des Verfalls der Rohstoffpreise (Erz, Kohle), der Billigimporte und der schwachen Konjunktur rasselten auch die Stahlpreise in den Keller. Zusätzlich lässt die schwache Konjunktur vor allem im Baubereich den Stahlverbrauch zurückgehen.

Wie bekämpft die EU die Dumpingpreise?

Auf Importe von Stahlstangen für Stahlbeton aus China werden seit Ende Jänner Strafzölle von bis zu 13 Prozent eingehoben. Gegen drei weitere Stahlsorten bzw. -produkte wurden am vergangenen Freitag Untersuchungen eingeleitet. Unter "Dumping" sind Preise für Produkte gemeint, die deutlich unter den Preisen am eigenen Inlandsmarkt liegen.

Wann dürfen Strafzölle verhängt werden?

Die Richtlinien der Welthandelsorganisation WTO erlauben es Staaten, Maßnahmen gegen Dumping und gezielte Subventionen anderer Länder zu ergreifen, wenn diese der eigenen Wirtschaft empfindlichen Schaden zufügen. China ist bereits seit Dezember 2001 Mitglied der WTO, wird allerdings nicht als vollwertige Marktwirtschaft anerkannt. Dies erleichtert es der EU, Strafzölle zu verhängen.

Bleibt es so einfach, Strafzölle zu verhängen?

Nein. China pocht auf die Anerkennung als Marktwirtschaft und beruft sich dazu auf WTO-Verträge. Die EU hat zugesagt, bis Dezember eine Entscheidung zu treffen. Eine zumindest schrittweise Anerkennung schien bisher wahrscheinlich, weil die EU das geplante Investitionsabkommen mit China nicht gefährden will. Die Stahlindustrie und andere Interessenverbände warnen allerdings vor diesem Schritt. Sie fürchten den Verlust von Arbeitsplätzen in Europa, wenn der Markt gegenüber China vollständig geöffnet wird. Die EU-Entscheidung wird auch davon abhängen, wie China in Sachen Stahl-Exporte agiert.

Sind mit der Beseitigung der Dumping-Preise die Probleme in der europäischen Stahlindustrie gelöst?

Nein, noch lange nicht. Die Branche muss auch nach dem Wegfall von Billigimporten ihre Überkapazitäten rasch abbauen. Vor allem bei Standardprodukten wie einfachen Baustählen, deren Produktion in europäischen Hochlohnländern zu teuer ist. Experten schätzen, dass sich Europa in den nächsten 20 Jahren von zwei Dritteln seiner jetzigen Stahlproduktion verabschieden muss. In Europa sind dann nur noch hochpreisige Spezialprodukte rentabel, so genannte Commodities werden in Niedriglohn-Länder ausgelagert.

Gibt es Pläne für den Kapazitätsabbau in Europa?

Kaum. Zwar ist vielen Unternehmen klar, dass es diese Bereinigung zur Bewältigung der Krise geben muss. Aber als wichtiger Arbeitgeber mit europaweit rund 350.000 Beschäftigten steht die Branche vor dem Hintergrund ohnehin hoher Arbeitslosenraten auch unter dem politischen Druck, Arbeitsplätze halten zu müssen. Daher geht die Anpassung nur sehr mühsam von sich.

Wie schwer würde der Kapazitätsabbau die voestalpine treffen?

Kaum. Der österreichische Stahlkonzern hat seine Produktion in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf hochwertige Produkte für die Automobil–, Bahn- und Energieindustrie umgestellt. Simplen Baustahl gibt es praktisch nicht mehr. Die voestalpine gehört dank dieser Strategie heute zu den bestverdienenden Stahlunternehmen weltweit. Allerdings könnte die Voest wegen steigender Auflagen für den CO2-Ausstoß die so genannte "Flüssigphase" – also etwa die Hochöfen – bald an billigere Standorte mit niedrigen Energiepreisen auslagern.

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