Das Ende der Gaskraftwerke

Das Ende der Gaskraftwerke
Verbund schließt fünf Kraftwerke. Gesamte Gaskraftwerks-Branche in Europa in der Krise.

Gaskraftwerken wurde noch vor wenigen Jahren eine große Zukunft vorausgesagt. Sie sollten die große Stütze der Energiewende werden. Wenn kein Wind bläst und keine Sonne scheint, sollten Gaskraftwerke Strom liefern. Die großen Versorger in Europa haben daher wie wild Gaskraftwerke gebaut und die Produktion des geförderten Ökostroms anderen überlassen. Nun stellt sich heraus: Sie haben aufs falsche Pferd gesetzt. Die Konzerne sitzen auf Verlusten, die Ökostrombetreiber sacken die subventionierten Gewinne ein. Der KURIER erklärt, was schiefgelaufen ist.

Warum schließt der Verbund Gaskraftwerke?

Für den Verbund ist es ein Befreiungsschlag: Er sperrt all seine Gaskraftwerke – eines in Mellach bei Graz und zwei in Frankreich – zu. Und er nimmt seinen Teil des Kohlekraftwerks Dürnrohr sowie das Ölkraftwerk Werndorf vom Netz. Damit hat er seine Verlustbringer los. Auch in Deutschland sperren Versorger wie RWE oder E.ON ihre Gaskraftwerke oder fordern staatliche Subvention für den Weiterbetrieb.

Betreiben die anderen österreichischen Versorger ihre Gaskraftwerke weiter?

Die niederösterreichische EVN hat den Großteil ihres Gaskraftwerks Theiss bei Krems und des Kraftwerks Korneuburg noch für zwei Jahre als Notfallreserve an Deutschland vermietet. Auch die Energie AG Oberösterreich stellt ihr Gaskraftwerk Timelkam den Deutschen zur Verfügung. Den EVN-Teil des Kohlekraftwerks Dürnrohr wollen die Niederösterreicher weiterbetreiben. Der Verbund fährt das Steinkohlekraftwerk, das neben dem Gaskraftwerk in Mellach steht, nur weiter, weil daran die Fernwärmeversorgung von Graz hängt.

Wird die Stromversorgung in Österreich unsicherer?

Derzeit gibt es genügend Kraftwerke. Und zwar nicht nur in Österreich sondern in ganz Mitteleuropa. Österreich importiert auch zunehmend Strom. Die EVN allerdings betont, dass sie ihren Anteil am Kohlekraftwerk Dürnrohr weiterbetreiben will , um die Versorgung zu sichern. Daher könne die EVN nie Billiganbieter sein.

Warum ist Gas so teuer?

Die Versorger schreiben mit jeder Kilowattstunde Strom, die sie in Gaskraftwerken erzeugen, Verluste. Das Erdgas wird nämlich über sehr langfristige Bezugsverträge (meist 20 Jahre) von der russischen Gazprom oder der norwegischen Statoil eingekauft. Die Einkaufspreise richten sich nicht nach dem Markt, also Angebot und Nachfrage, sondern hängen am Ölpreis. Dieser ist seit 2008 zwar gesunken, aber der Strompreis ist noch viel mehr gesunken. Damit ist der Einsatz von Gas zur Stromerzeugung unwirtschaftlich geworden.

Wenn Gaskraftwerke zusperren, sinkt die Gasnachfrage. Muss dann nicht auch der Gaspreis fallen?

Der Gaspreis am freien Markt in Europa ist viel niedriger als der Importpreis von Russland oder Norwegen. Die Gaskonzerne beider Länder haben zwar schon Rabatte zugestanden, diese sind aber zu gering, um die Gaskraftwerke wieder wirtschaftlich zu machen. Die Gaslieferanten haben eine starke Marktposition: Die Gasmengen, die Europa und damit auch Österreich von Russland und Norwegen beziehen, sind kurzfristig nicht aus anderen Quellen zu decken.

Warum ist der Strompreis so niedrig?

Im europäischen Großhandel kostet die Megawattstunde Strom derzeit zwischen 35 und 40 Euro. 2008 kostete sie noch 80 Euro. Zwei Gründe gibt es für den Preisverfall: Das enorme Angebot an Ökostrom und die schwache Stromnachfrage der Industrie.

Wann wird der Preis wieder steigen?

Der Verbund erwartet, dass bis 2016/’17 so viele Kraftwerke vom Netz sind, dass das Angebot knapp wird. Dann sollte Strom wieder teurer werden.

Das Ende der Gaskraftwerke

Insgesamt fünf Kraftwerke schließt Österreichs größter Stromerzeuger Verbund: Das Gas-Kombikraftwerk in Mellach bei Graz und die beiden Gaskraftwerke in Pont-sur-Sambre sowie in Toul in Frankreich werden vorübergehend zumindest auf vier bis fünf Jahre vom Netz genommen. Der Verbund-Block im Kohlekraftwerk Dürnrohr wird dauerhaft geschlossen, ebenso das Ölkraftwerk in Neudorf/Werndorf in der Steiermark. Weiter betrieben wird nur noch das Kohlekraftwerk in Mellach, an dem auch die Fernwärmeversorgung von Graz hängt. Der Verbund wird damit zu fast 100 Prozent ein Wasserkraft-Konzern. Zudem betreibt er Windräder.

Das Gas- und Dampfkraftwerk Mellach südlich von Graz hat sich für den Verbund als finanzielles Fiasko herausgestellt. Die 832-MW-Anlage für rund 550 Mio. Euro ist seit 2011 fertig, hat aber bisher nur marginal Elektrizität geliefert. Schuld ist der Verfall der Strom-Großhandelspreise durch die deutsche "Energiewende" bei weiter hohen Gasbezugspreisen.

Wichtige Stationen der Mellach-Geschichte:

2003 werden erstmals Pläne für ein neues Gaskraftwerk Mellach in der Öffentlichkeit bekannt, noch unter Verbund-Generaldirektor Hans Haider.

Ende 2005 reicht der Verbund Mellach-Unterlagen für Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ein.

Juli 2006: Das Strom-Wärme-Kraftwerk Mellach ist umweltverträglich, ergibt die vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung durchgeführte UVP. Die Kosten für das Vorhaben gibt der Verbund mit 400 Mio. Euro an.

November 2007: Der unabhängige Umweltsenat bestätigt nach 16 Monaten Prüfung den positiven UVP-Bescheid der steirischen Landesregierung. Die Gesamtkosten für Mellach werden jetzt vom Verbund mit 500 Mio. Euro beziffert.

Mai 2008: Gremien von Verbund und ihrer Tochter Austrian Thermal Power (ATP) geben grünes Licht für den Bau des Gas- und Dampfkraftwerks. Als Gesamtinvestitionskosten werden weiterhin rund 500 Mio. Euro genannt, das Kraftwerk solle plangemäß im Herbst 2011 ans Netz gehen, heißt es.

Juli 2008: Verbund-ATP unterschreibt den Vertrag mit dem Mellach-Anlagenlieferanten Siemens Österreich. Die Kosten werden nun, mittlerweile unter Generaldirektor Michael Pistauer, mit 550 Mio. Euro avisiert, der Baustart für Anfang 2009. Nach Inbetriebnahme 2011 soll Mellach jährlich mehr als 5 Mrd. kWh Strom und rund 800 Mio. kWh Fernwärme liefern, wird festgestellt.

Oktober 2008: Feierlicher Spatenstich für das Gas-Dampf-Kombikraftwerk Mellach durch Verbund-Chef Michael Pistauer und den steirischen Landeshauptmann Franz Voves. Ab Jänner 2009 soll der volle Baubetrieb laufen, wird erklärt.

Februar 2009: Seit Mitte des Monats brummen die ersten Bagger auf der seinerzeit größten Baustelle in der Steiermark. In Spitzenzeiten sind dort bis zu 600 Menschen beschäftigt, nach späteren Angaben sogar bis zu 1.200 Fachkräfte gleichzeitig. In Summe wurden dabei mehr als drei Millionen Arbeitsstunden geleistet.

Juli 2010: Die erste von zwei Gasturbinen wird angeliefert, sie wurde von Siemens in Berlin gefertigt, ist 13 Meter lang und wiegt mehr als 300 Tonnen.

März 2011: Schweres Reaktorunglück von Fukushima in Japan nach einem Tsunami infolge eines Erdbebens. Der AKW-Unfall löst ein Umdenken in der europäischen Energiepolitik aus, Deutschland beschließt in der Folge ein schrittweises Aus für seine Kernkraftwerke bis 2022 - der Zeitplan dafür wird von der Regierung bis Ende Mai 2011 fixiert. Der Bundestag segnet das AKW-Aus bis Ende Juni ab, der Bundesrat im Juli 2011. Im Gegenzug steigert Deutschland die Ökostrom-Förderung stark. Dadurch verfallen die Strom-Großhandelspreise in Europa, Gaskraftwerke rechnen sich immer weniger.

Juli 2011: "Österreichs modernstes Wärmekraftwerk steht vor der Inbetriebnahme", jubelte der Verbund noch anlässlich der Aufnahme des Probebetriebs; Mellach liefere bereits Strom ins Netz. Die neue Anlage ersetze fünf stillgelegte thermische und spare so 2 Mio. t CO2 jährlich ein. Der reguläre Betrieb solle planmäßig Ende 2011/Anfang 2012 erfolgen, wird Ende des Monats auch im Halbjahrespressegespräch erklärt.

August 2011: Der Verbund bietet für die erste Winter-Stromhilfe für Deutschland, an der sich auch die EVN beteiligt, noch die Möglichkeit von Elektrizität auch aus Mellach an, geht aus Unterlagen der deutschen Bundesnetzagentur hervor.

September 2011: Der Verbund räumt Nachverhandlungen zu den teuren Mellach-Langzeit-Gasverträgen mit seinen Lieferanten ein. Vom Ergebnis dieser Gespräche hänge es ab, ob Mellach eine Belastung werde oder ob es nur wenig Ertrag bringe, so Vorstandschef Wolfgang Anzengruber.

Ende September 2011: Probleme beim Mellach-Probebetrieb werden bekannt: Ein Wicklungsschluss beim ersten Generator könne die Inbetriebnahme um mehrere Wochen verzögern; vermutet wird, dass der gleiche Produktionsfehler auch beim zweiten Generator vorliegt. Für Mellach räumt der Verbund erneut die Möglichkeit einer eingeschränkten Profitabilität ein; es gebe auf jeden Fall nicht den beabsichtigten Gewinn.

Oktober 2011: Damit sich Investitionen in Gaskraftwerke rentieren, müssten die Erdgas-Lieferverträge überarbeitet und anders gestaltet sein, betont der Verbund-Chef.

Februar 2012: Umweltfreundliche Fernwärmeproduktion für Graz im neuen Verbund-Wärmekraftwerk Mellach ist angelaufen, rechtzeitig zu den extremen Minus-Temperaturen.

Jänner 2013: Verbund-Chef Anzengruber übt heftige Kritik an der deutschen Energiewende und sieht diese "kurz vor dem Scheitern". Nur bei einem großen Umbau im EEG-Ökostrom-Regime würden sich auch Anlagen wie Mellach wieder rechnen.

März 2013: Im Jahr 2012 wurde für Mellach eine Wertminderung von 53,7 Mio. Euro vorgenommen, wird im Geschäftsbericht erklärt. 2012 habe Mellach 1.048 GWh Strom erzeugt, um 617 GWh weniger als 2011.

Mai 2013: Verbund bringt zum EconGas-Liefervertrag, der Zwangsabnahmemengen und eine ölpreisgebundene Preisformel vorsieht, beim Kartellgericht einen "Antrag auf Abstellung eines kartellrechtswidrigen Verhaltens" ein. Eine Entscheidung des Kartellgerichts steht noch aus.

Juni 2013: Der Verbund stellt sein Gas-Kombikraftwerk Mellach offiziell auf den Prüfstand, eine Entscheidung solle im 4. Quartal fallen, erklärt Anzengruber. Bis dahin prüfe man "alle Optionen" bis hin zu einmotten, verkaufen oder stilllegen.

Juli 2013: Die 550 Mio. Euro teure Anlage ist in mehreren Schritten schon auf 141 Mio. Euro Restwert abgeschrieben worden, gibt der Verbund mit seinem Halbjahresbericht bekannt; allein heuer machte die Wertminderung rund 270 Mio. Euro aus.

September 2013: Anzengruber fordert bei einer Verbund-Tagung erneut, bei der deutschen Energiewende angesichts der dadurch ausgelösten Verzerrungen am Strommarkt rasch das Ruder herumzureißen. Zur avisierten Mellach-Entscheidung äußert er sich kryptisch: "Was immer dabei herauskommt, ist ein europäisches Phänomen und kein Verbund-Phänomen."

Dezember 2013: Der Verbund trifft für Mellach - entgegen früheren Ankündigungen - vorerst doch noch keine Entscheidung. Eine Komplettlösung werde noch Zeit benötigen, heißt es, wiewohl "Gaskraftwerke aufgrund der Rahmenbedingungen am Energiemarkt aktuell nicht wirtschaftlich zu betreiben" seien.

Mai 2014: Die temporäre Schließung von Mellach (Steiermark) und der französischen Gas-Kombikraftwerke in Pont-sur-Sambre und Toul wird bekannt gegeben. Endgültig geschlossen werden das Steinkohlekraftwerk Dürnrohr (NÖ) und das ölbefeuerte Fernheizkraftwerk Neudorf/Werndorf II (Steiermark).

Kommentare