Wie es zur Panik an den Ölmärkten kam
Kein Ölhändler oder Finanzexperte hätte sich das vor kurzem vorstellen können: Öl kostet nichts mehr. Wer zu Wochenbeginn in den USA Rohöl kaufen wollte, bekam sogar Geld dafür – eine Situation, die es am internationalen Ölmarkt noch nie gegeben hat. Der KURIER erklärt die Hintergründe.
Wie kam es zu Wochenbeginn zum historischen Absturz der Ölpreise?
Ausgelöst wurde der Absturz vom Finanzmarkt. Da Anleger Öl nicht direkt kaufen können und wollen, wird Öl in Finanzprodukte, etwa ETFs oder Zertifikate verpackt. Händler am Finanzmarkt kaufen dafür Öl-Future-Kontrakte, die üblicherweise zu Ende jedes Monats ablaufen. Das heißt: Zu diesem Zeitpunkt müssen sie verkaufen und den Kontrakt für das nächste Monat kaufen. Wenn der Kontrakt (1.000 Fässer je 159 Liter) billiger ist als der aktuelle, machen sie Gewinne. Am Montag ist folgendes passiert: In den USA standen die Future-Kontrakte für die Lieferung im Mai vor dem Auslaufen. Die Finanzhändler mussten feststellen, dass sie keine Käufer für ihre Kontrakte finden. Denn Öl gibt es wegen des wirtschaftlichen Stillstands im Überfluss. Wenn aber niemand den Kontrakt übernimmt, wird das Öl an den Besitzer der Kontrakte ausgeliefert. Die Finanzexperten wollen das Öl aber gar nicht. Daher mussten sie zahlen, damit ihnen irgendjemand diese Last abnimmt. Der Ölpreis in den USA krachte bis auf minus 40 Dollar je Fass in die Tiefe.
Wird der Ölpreis auch in Europa derart abstürzen?
Für Europa ist der Preis der Nordseeölsorte Brent maßgeblich. Dieser ist nicht unter Null gefallen, doch am Dienstag krachte er um 20 Prozent in die Tiefe. Das Fass Brent-Öl kostete am frühen Nachmittag nur noch 20,90 Dollar – weniger als die Hälfte von Mitte Jänner. Öl-Experte Hannes Loacker von Raiffeisen Capital Management (RCM) betont, dass die Marktregeln für den Ölhandel in Europa anders seien. Der nächste Kontrakt laufe mit Monatsende kommende Woche ab. Findet der Inhaber des Ölkontraktes dann keinen Käufer, muss er nicht wie in den USA tatsächlich Öl übernehmen, sondern kann es über die Börse finanziell abrechnen. Hohe Verluste sind auch dann zu erwarten.
Warum ist die Öl-Nachfrage derart gesunken?
Die Bewegungseinschränkungen wegen des Coronavirus ließen weltweit die Nachfrage nach Treibstoffen und Flugbenzin einbrechen. Die Industrie drosselt die Produktion, Airlines bleiben am Boden. Die Internationale Energie Agentur schätzt, dass mindestens ein Viertel der weltweiten Ölnachfrage von 100 Millionen Fass pro Tag aktuell wegfällt. Die Ölländer aber produzieren weiter Öl.
Warum bremsen die Förderländer die Produktion nicht stärker?
Die OPEC+, das sind die OPEC-Staaten und zehn Nicht-Mitglieder unter der Führung Russlands, haben sich zuletzt unter Mühen auf eine Verringerung ihrer Ölproduktion um ein Viertel geeinigt. Sie sind aber nur für die Hälfte des globalen Ölangebots verantwortlich. Wenn nicht andere wichtige Förderländer wie die USA, Kanada oder Norwegen ebenfalls kräftig auf die Bremse treten, bleibt das Überangebot am Markt. Dazu kommt, dass die Förderkürzung der OPEC+ frühestens im Mai umgesetzt wird. Und dann vielleicht auch nicht in voller Höhe.
Was bedeutet der tiefe Ölpreis für Förderländer?
In den USA heißt das, dass viele kleinere Ölförderunternehmen pleite gehen werden. Ihre Zahl ist zuletzt gesunken. Loacker geht davon aus, dass die USA-Ölförderung in den nächsten Wochen um drei Millionen Fass pro Tag fallen wird. Für Saudi Arabien wiederum bedeutet der tiefe Ölpreis dramatische Einnahmenausfälle. Kronprinz Salem hat für das Budget mit 80 Dollar je Fass Öl gerechnet. Er braucht Geld, um die Bevölkerung mit Sozialleistungen auf seiner Seite zu halten. Russland hat allerdings mit nur 42 Dollar je Fass sein Budget erstellt. Der aktuelle Preis ist auch davon weit entfernt.
Wird jetzt auch Sprit in Österreich viel billiger?
Das ist kaum zu erwarten. Seit Mitte Jänner sind die Preise für Benzin und Diesel um etwa 17 Prozent gefallen. Christoph Capekt vom Fachverband der Mineralölindustrie betont, dass etwa 60 Prozent der Treibstoffpreise in Österreich Steuern und Abgaben seien. Öl sei für nur 14 bis 15 Prozent des Preises verantwortlich. Auch wenn Öl gar nichts mehr koste, müssten Autofahrer für den Sprit etwa 60 Cent je Liter zahlen. Tankstellen hätten dann aber keine Chance mehr zu überleben. Schon jetzt würden die heimischen Tankstellen wegen des tiefen Preises und des zum Teil bis zu 80 Prozent gefallenen Absatzes kämpfen.
Sollen Kunden jetzt Heizöl einlagern?
Aktuell ist sicher ein guter Zeitpunkt für alle, die mit Öl heizen, ihr Lager aufzufüllen. Viel billiger wird es wohl nicht mehr.
Gibt es auch in anderen Bereichen Negativpreise?
Prinzipiell kommt es vor allem dort vor, wo die Produktion nicht auf Knopfdruck gestoppt werden kann und über Börsen ge- und verkauft wird. Zum Beispiel bei Strom. Wind- und Sonnenenergieanlagen produzierne, auch wenn die Nachfrage fehlt.
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