China: Zeit der Billigstlöhne ist vorbei

China: Zeit der Billigstlöhne ist vorbei
Der wirtschaftliche Strategiewechsel der Regierung in Peking könnte bessere Arbeitsbedingungen in China bringen.

China ist die Werkbank der Welt, davon profitieren Konzerne wie Konsumenten gleichermaßen: Die einen verdienen sich mit günstiger Produktion in der Volksrepublik eine goldene Nase, die anderen können sich zuhauf mit Technik-Spielereien eindecken. Das Nachsehen hatten bisher die Arbeiter an Ort und Stelle. Es galt die Formel: China = Niedrigstlöhne + katastrophale Sozialstandards.

Doch diese Binsenweisheit verliert ihre Gültigkeit. Ein eindeutiges Indiz hierfür ist das jüngste Abkommen des US-Computerkonzerns Apple mit seinem wichtigsten Produzenten über bessere Arbeitsbedingungen. Zwar verhöhnen Kritiker die Initiative als reine Imagepflege des wertvollsten Unternehmens der Welt. Es spricht aber einiges dafür, dass sie ein Anzeichen für einen tiefgreifenden Wandel ist.

"Das ganze Land befindet sich an einem Wendepunkt", sagt Wirtschaftsprofessor Zhigang Tao von der Universität Hongkong. Er verweist auf den wirtschaftlichen Strategiewechsel der Regierung, die die Binnennachfrage auf Kosten der Exporte stärken will. Dazu gehört auch die Zusicherung, die Löhne von Wanderarbeitern anzuheben, um das Wohlstandsgefälle im Land zu verringern. Die treibenden Kräfte für diesen Wandel seien nicht mehr US-Gewerkschaften, die Hungerlöhne in China anprangern, sondern kämen aus China selbst: "Der steigende Yuan, das Bedürfnis nach sozialem Frieden und die Umverteilung von Vermögen".

Skepsis

Aktivistengruppen wie die in Hongkong ansässige Organisation Schüler & Studenten gegen Fehlverhalten von Unternehmen (SACOM) sind allerdings weiter skeptisch. Die Vorwürfe gegen Apple seien lange bekanntgewesen, gibt SACOM-Vertreterin Debby Chan zu bedenken. Doch der US-Konzern habe erst nach einem öffentlichen Aufschrei reagiert, nachdem vergangenes Jahr eine Selbstmordreihe von Mitarbeitern des Apple-Zulieferers  Foxconn bekanntwurde. Apple-Chef Tim Cook verkündete im März auf einer China-Reise weitreichende Verbesserungsmaßnahmen: Foxconn werde Zehntausende neue Arbeiter einstellen, illegalen Überstunden einen Riegel vorschieben, Sicherheitskontrollen verstärken und die Unterbringung der Angestellten verbessern. In den 1990er Jahren hatte bereits der US-Sportartikelhersteller Nike nach ähnlicher Kritik bei den Produktionsbedingungen erhebliche Zugeständnisse gemacht.

Für die Neuerungen in China wird Apple einiges zahlen müssen. Doch Analyst Ming Chi Kuo von KGI Securities hält dies für eine sinnvolle Investition in die Pflege des Renommees. "Es sind wie Marketing-Kosten für Apple", sagt er. Allerdings, so betont der Experte zugleich, ist der öffentliche Druck auf kleinere Fertigungsbetriebe in China, die nicht im Rampenlicht stehen, wesentlich geringer. Zudem ist auch bei den internationalen Topkonzernen abzuwarten, ob sie den wohltönenden Reden von sozialer Verantwortung Taten folgen lassen. "In der Vergangenheit gab es einen kurzen Augenblick der Bloßstellung und der Empörung über die Enthüllungen, da wurden Versprechen gegeben", sagt Thea Lee von der US-Gewerkschaftergruppe AFL-CIO. "Dann jedoch geht alles wie gewohnt weiter."

Mehrkosten durch bessere Arbeitsbedingungen

Werden also Apple, Dell, Hewlett-Packard (HP) und Sony, die alle auf die lukrativen Dienste von Foxconn zurückgreifen, am Ende bereit sein, dauerhaft Gewinneinbußen hinzunehmen, um die chinesischen Arbeiter besserzustellen? "Wenn die Arbeitskosten von Foxconn nach oben gehen, wird dies ein branchenweites Phänomen sein", sagt HP-Chefin Meg Whitman. "Dann werden wir zu entscheiden haben, wie viel wir an unsere Kunden weitergeben und wie hoch die Kosten sind, die wir übernehmen." Whitman räumt ein, dass Foxconn selbst wenig Spielraum hat. So entfallen bei einem iPad für 600 Dollar (459 Euro) weniger als 300 auf die Bauteile und lediglich unter zehn Dollar auf die Fertigung des Geräts, wie die Marktforscher von IHS iSuppli errechnet haben. Die Gewinnspanne der taiwanesischen Foxconn-Tochter Hon Hai Precision Industry, die den Großteil der Apple-Geräte in China zusammenbaut, ist in den vergangenen zehn Jahren drastisch zusammengeschmolzen. Für die Apple-Aufträge bleiben nach Analysten-Schätzungen allenfalls nur etwa vier Prozent der Umsätze als Gewinn hängen.

Daher drängen die Zulieferer darauf, dass sich die reichen Auftraggeber nicht aus der Verantwortung stehlen. "Es ist ein soziales Problem", betont Charles Lin, Finanzchef von Pegatron. Sein Unternehmen beliefert etwa die asiatischen Technologiegrößen Acer und Toshiba und kam im vergangenen Jahr auf fast 13 Milliarden Dollar (9,95 Mrd. Euro) Umsatz. "Es darf nicht sein, dass die Auftragsfertiger die Bürde alleine tragen müssen." Pegatron etwa setzt in zwei Fabriken auf eine bessere Ausbildung der Beschäftigten, die sich dort in ihren Aufgaben abwechseln statt monoton immer an derselben Stelle des Fließbandes zu stehen. "Die Bezahlung ist höher, weil von den Arbeitern mehr verlangt wird, aber dann ist auch die Produktivität höher", erläutert Lin. Für seinen Kollegen Jay Huang vom kleineren taiwanesischen Zulieferer Wintek ist das Rad nicht mehr zurückzudrehen. Sein Unternehmen fördert mittlerweile die Erholung der Angestellten etwa mit Sportgeräten und Unterhaltungsangeboten. "Die Zeit niedriger Kosten und billiger Arbeit in China ist zu Ende", sagt er.

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