Britisches Gemüse: Verbogen aber gefragt
Die Karotten sind zu klein, die Kartoffeln entstellt und die Paradeiser kommen nicht in einwandfreiem Rot daher – trotzdem liegen sie allesamt im Supermarktregal. Zumindest in Großbritannien. Der trockenste März seit 59 Jahren, gefolgt von einem niederschlagsreichen Juni und Stürmen im Herbst, hat den Briten die Ernte verhagelt. Die Erntemenge lag ein Viertel unter jener des langjährigen Durchschnitts. Die Folge: Handelsketten hatten heuer im Herbst Schwierigkeiten, genügend 1a-Ware zu bekommen.
Die Supermarktkette Sainsbury – mit mehr als tausend Filialen – hat daher Ende September beschlossen, auch Ware ins Regal zu schlichten, die in anderen Jahren einfach am Feld liegen geblieben wäre. Andere Supermarktketten zogen just nach. Mittlerweile wurde so viel kosmetisch nicht einwandfreies Obst und Gemüse verkauft, dass man damit 2500 Boeing 747 hätte füllen können, zog die Financial Times Ende November eine Zwischenbilanz. Die Rede ist von 300.000 Tonnen.
Aus für Beautycontest
Dadurch, dass die britischen Konsumenten neuerdings auch zu schief gewachsenes Obst und Gemüse kaufen, senden sie ein klares Signal, dass sie auch Ware wollen, die keinen Schönheitswettbewerb gewinnen würde, aber trotzdem gut schmeckt, sind nicht nur britische Bauernvertreter voll des Lobes. Der britische Guardian berichtete, dass in anderen Jahren bis zu 40 Prozent einzelner Gemüse- und Obstsorten wegen Schönheitsfehlern weggeworfen wurden, noch bevor sie in den Handel kamen.
In Österreich hat es eine solche Aktion bisher nicht gegeben. „Die Leute wollen einwandfreie Ware“, stellt Nicole Berkmann, Sprecherin von Spar Österreich, klar. Eingekauft wird schließlich auch mit den Augen und wenn der Kunde die Wahl hat, greift er zur 1a-Ware. Freilich hat der Schönheitswahn in der Obst- und Gemüseabteilung auch seinen – versteckten – Preis. Wenn viel Ware im Handel unverkäuflich ist, müssen jene Lebensmittel, die es in die Geschäfte schaffen, entsprechend teurer verkauft werden. Das treibt das Preisniveau, wissen Branchenkenner.
Denn nur ein Teil der zu wenig schönen Karotten, Erdäpfel und Tomaten könne noch an die Industrie geliefert werden. „Krumme Gurken können so gut wie gar nicht an die Gastronomie oder Industrie verkauft werden. Die Betriebe schälen die Gurken vollautomatisch mit Maschinen und können krumme Gurken damit nicht verarbeiten“, erklärt Gerald König, Vorstand von LGV-Frischgemüse. In Großbritannien hätte man aus der Not eine Tugend gemacht.
Verschwendung
In der Europäischen Union werden bis zu 50 Prozent des genießbaren Essens Jahr für Jahr verschwendet. Gleichzeitig leben 79 Millionen EU-Bürger unter der Armutsgrenze und 16 Millionen sind von Essenszuschüssen karitativer Institutionen abhängig. Die EU will daher die Reißleine ziehen. Und hat es sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2025 die Lebensmittelverschwendung zu halbieren. Machen wir so weiter wie bisher, nimmt die Verschwendung entlang aller Wertschöpfungsketten – vom Bauer über die Verarbeiter und Händler bis zu den Gastronomen und Konsumenten – bis zum Jahr 2020 um weitere 40 Prozent zu, hat die Europäische Kommission errechnen lassen. Laut der Kommission sind die Haushalte zu 42 Prozent für die Verschwendung verantwortlich (60 Prozent davon wären leicht vermeidbar), gefolgt von Produzenten (39 Prozent), Gastronomie und Handel (14 bzw. 5 Prozent).
Europa ist bei der Verschwendung keine Ausnahme. Auch in den USA, Canada, Australien und Neuseeland werden 52 Prozent der Früchte und des Gemüses nicht konsumiert, so die Zahlen der Food and Agriculture Organization aus dem Jahr 2011. Bei Getreideprodukten liegt die Quote demnach bei 38 Prozent, bei Meeresfrüchten bei 50, bei Fleisch bei 22 und bei Milch bei 20 Prozent.
Initiative
Die Europäische Kommission ruft jedenfalls das Jahr 2014 als das Europäische Jahr gegen Lebensmittelverschwendung aus. Sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene soll auf das Thema aufmerksam gemacht werden. Nur einige Zahlen der Kommission: Jeder EU-Bürger wirft pro Jahr 179 Kilo Lebensmittel auf den Müll, in Summe ergibt das 89 Millionen Tonnen. Umfragen zufolge wandert jeder fünfte Einkauf direkt vom Einkaufssackerl in den Müll.
In Wien wird jeden Tag so viel Brot weggeschmissen, wie in ganz Graz täglich gegessen wird. Jährlich gelangen so 30.000 Tonnen Lebensmittel in den Abfall, das sind 18 Prozent des Restmülls, davon wären 55 Prozent vermeidbar“, sagte der niederösterreichische Umwelt-Landesrat Stephan Pernkopf kürzlich bei einer Pressekonferenz. Das ist nicht nur eine Verschwendung von Ressourcen, sondern auch eine Belastung für Umwelt.
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