Borealis-Chef: „Plastik hilft bei CO2-Reduktion“

Alfred Stern, Borealis
Alfred Stern, Chef des Kunststoffkonzerns, sieht weltweit wachsende Plastiknachfrage. Das ist nicht nur negativ.

Wer von Wien zum Flughafen fährt, kann die Produktionsanlagen des Kunststoffkonzerns Borealis nicht übersehen. Gleich neben der Raffinerie der OMV wird dort aus dem Rohstoff Öl Polypropylen und Polyethylen-Granulat erzeugt und an die Plastikverarbeiter weiterverkauft. Ein Gespräch mit Borealis-Chef Alfred Stern über Plastik-Verbote, Müll und Umweltschutz.

KURIER: Plastik ist in Verruf gekommen, Verbote nehmen zu. Wie geht es einem Kunststoffkonzern wie Borealis damit?

Alfred Stern: Es geht um einen größeren Zusammenhang. Zum einen geht es um Treibhausgas-Reduktion. Da liefert Plastik enorme Beiträge zur Reduktion. Dann gibt es ein Müllproblem, mit Kunststoffen, vor allem im Meer.

Was halten Sie vom Plastiksackerl-Verbot?

Ich bin nicht unzufrieden mit den Vorschriften gegen Plastik. Aber ich bin kein Fan von Verboten, weil Verbote nicht viel Kreativität mit sich bringen. In Europa ist der Plastikmüll nicht das vorrangige Problem. Wir haben hervorragende Müllsammlung und -sortierung sowie Recycling. Aber wir haben ein riesiges Problem mit .

Trotzdem ist es der Wunsch der Politik in Europa den Plastikverbrauch einzudämmen. Spürt Borealis das in der Nachfrage?

Das wird man über kurz oder lang merken. Die Nachfrage aber wird uns nicht ausgehen, weil Kunststoffe in vielen Bereichen die beste Lösung sind. Über einige Bereiche aber könnte man diskutieren.

Borealis-Chef: „Plastik hilft bei CO2-Reduktion“

Alfred Stern: Kunststoff ist in vielen Bereichen die beste Lösung

Über welche?

Tragtaschen zum Beispiel. Ich weiß gar nicht, wie das passiert ist, dass wir uns einbilden, Plastiksackerl sind Einmal-Sackerl. Man kann sie aber zumindest drei Mal verwenden. Ein Beispiel: Der durchschnittliche Österreich verbraucht 33 Plastiksackerl im Jahr und 60 dünne Sackerl. Das entspricht der gleichen Rohstoffmenge, die man braucht, um 13 km Auto zu fahren. Wenn wir so viel Zeit mit der Diskussion über das Auto verbringen würde, könnte man wirklich etwas für die Umwelt erreichen.

Setzt die Diskussion am falschen Punkt an?

Ich glaube, dass man differenzierter diskutieren muss. Es geht um Konsumverhalten und nicht um bestimmte Materialien. Wir müssen uns überlegen, welche Anwendungen wir wollen und dann geht es darum, diese Bedürfnisse mit den effektivsten und nachhaltigsten Materialien zu erfüllen. Und da sind Kunststoffe oft die beste Lösung.

Wo sind denn Kunststoffe nachhaltig?

Wenn ich die Umhüllung der Starkstromkabel anschaue, die wir herstellen, dann ist klar, da wird es keine Alternative geben. Diese Umhüllung ist wichtig, um beim Stromtransport von Offshore-Windstrom Verluste zu vermeiden. Wenn ich den Auto-Sektor anschaue, dann müssen die Fahrzeuge leichter werden. Das spart Sprit. Da hilft Kunststoff. Ein großer Teil unserer 350 Forscher in Linz beschäftigt sich mit Nachhaltigkeit. So ist es zum Beispiel auch gelungen, Edding-Stifte aus Recycling-Plastik herzustellen. Das ist nicht einfach, weil die Farben in der Wiederverwertung normalerweise nicht schön werden.

Sie meinen, Plastik sei eigentlich vorteilhaft für die Umwelt?

Ganz ganz viele Anwendungen sind notwendig und sehr wertschöpfend. Zum Beispiel: Wir werfen 30 Prozent der Lebensmittel weg, die Haushaltsgrößen werden kleiner und damit auch die Verpackungsgrößen. Die Kunststoffverpackungen sind nicht nur eine Hülle, sie haben eine Funktion. Die Lebensmittel bleiben darin länger frisch, landen nicht im Müll und produzieren kein Treibhausgas.

Wo hilft Plastik den CO2-Ausstoß zu reduzieren?

Der Kunststoffmüll ist 10 bis 15 Prozent des gesamten Haushaltsmülls. Über die vergangenen fünf Jahre  hat Papiermüll um 50.000 Tonnen zugenommen, Kunststoff um 30.000 Tonnen. Wir haben also ein Müllproblem insgesamt. Wenn man den gesamten Lebenszyklus anschaut: Wenn sie im Auto das Gewicht reduzieren, reduzieren sie den Treibstoffs verbrauch und damit CO2-Austoß. Oder Verpackung: Plastik ist leicht und kann damit umweltfreundlicher transportiert werden. Das muss man sich alles  genau anschauen bevor man die falschen Schlussfolgerungen zieht.

Gehen Sie also davon aus, dass die Plastiknachfrage weiter wächst?

Sie wird weltweite weiter wachsen. Der wichtige Ansatz ist also, den Kreislauf zu schließen. Wenn wir den Kunststoffmüll nicht einfach auf eine Deponie werfen, sondern ihn in den Wertstoffkreislauf zurückführen.

Borealis-Chef: „Plastik hilft bei CO2-Reduktion“

Kunststoffummantelung für Hochspannungsleitungen

Recycling statt Verbote?

Das wird der wirkliche Zukunftsmarkt sein. Deswegen engagieren wir uns auch in diesem Bereich. Man sieht auch in Europa schon, dass die Recyclingmengen viel stärker wachsen als die Neuware.

Ein signifikanter Anteil wird aber auch verbrannt ...

Solange wir Öl und Gas zur Energiegewinnung nutzen, ist der Umweg über Kunststoff und dann energetisches Recycling immer noch ein guter. Langfristig wollen wir alles ins Werkstoff-Recycling bringen, Verbrennen soll der letzte Ausweg sein.

Recycliert Borealis selbst?

Wir haben 2014 damit angefangen. Da haben wir Mischungen von Recyclat mit Neuware für die Autoindustrie angeboten. 2016 haben wir mtm plastics gekauft, das war unser erstes Recyclingunternehmen. 2018 haben wir Ecoplast dazu gekauft und die Kapazitäten bei mtm erweitert. Dort, wo das nicht möglich ist, arbeiten wir mit der OMV zusammen und versuchen derzeit noch im Testbetrieb, aus den Kunststoffen wieder Öl zu machen.

Wie viel kann Borealis derzeit wiederverwerten?

Etwas mehr als 100.000 Tonnen im Jahr. wir produzieren 3,5 Millionen Tonnen Kunststoffe im Jahr.

Da fehlt noch einiges ...

Ja. Borealis insgesamt gibt es auch nicht erst seit gestern. Borealis ist über 50 Jahre alt und ist über diese Zeit gewachsen. Wir haben uns traditionell damit beschäftigt, Moleküle zusammenzubauen. Jetzt geht es darum, sie wieder zu trennen.

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Zur Person: Alfred Stern

Der Österreicher Alfred Stern ist seit Juli des Vorjahres Vorstands-Chef des Borealis-Konzerns. Er folgte dem Australier Mark Garrett. Stern studierte Materialwissenschaften in Leoben, arbeitete beim Chemiekonzern Du Pont und ist seit 2008 bei Borealis.

Der Kunststoff-Konzern Borealis mit Sitz in Wien gehört zu 36 Prozent der OMV, 64 Prozent  hält die Staatsholding Mubadala aus Abu Dhabi. 2018 setzte Borealis mit 6600 Mitarbeitern in 120 Ländern 8,33 Milliarden Euro um und schrieb einen Nettogewinn von 906 Millionen Euro.

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