Boehringer Ingelheim: Weniger Schnupfen, weniger Umsatz

Von den 1439 Beschäftigten bei Boehringer Ingelheim in Wien arbeiten 250 in der Forschung und Entwicklung. In diesem Bereich wird nicht gespart.
Mildes Wetter und Patentabläufe bremsen Wachstum. Österreich vom Sparkurs verschont.

Beim deutschen Pharmakonzern Boehringer Ingelheim sind die Zeiten hoher Wachstumsraten vorbei. Diverse Patentabläufe, Wechselkursverluste und mildes Wetter sorgten im Vorjahr für ein Umsatzminus. Der KURIER sprach mit Phillipp von Lattorff, Generaldirektor von Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna (RCV).

KURIER: Der Umsatz bei rezeptfreien Medikamenten ging über die gesamte Region betrachtet sogar zweistellig zurück. Gab es kein Hustenwetter?

Philipp von Lattorff: Wir hatten 2013 eine große Grippewelle, die 2014 ausblieb. Das haben wir gespürt. Unser Angebot ist stark auf Grippe und Erkältung ausgerichtet. Wenn die Leute wegen einer Erkältung in die Apotheke gehen, nehmen sie meist auch noch andere Medikamente mit.

Sie haben mit Boxagrippal ein neues Präparat auf den Markt gebracht. Kannibalisieren Sie sich damit nicht selbst?
Also intern kannibalisieren wir uns nicht, aber es stimmt, es gibt einen sehr starken Verdrängungswettbewerb bei Medikamenten.

Bei verschreibungspflichtigen Arzneien setzen Ihnen Generika-Hersteller zu. Ist da Wachstum überhaupt noch möglich?

2014 war ein herausforderndes Jahr. Wir spüren zunehmen Konkurrenz, das wird uns noch länger begleiten. Nach wie vor gutes Wachstum haben wir mit unserem Blutverdünner Pradaxa und den beiden Diabetes-Mitteln. Aber sie können den Rückgang beim umsatzstärksten Produkt Spiriva nicht ausgleichen.

Das Atemwegsmedikament Spiriva verliert 2016 den Patentschutz. Wie sehr trifft Sie das?

Der Patentablauf ist für uns ein großer Schlag. Wir müssen mit neuen Produkten stärker wachsen, um so den Ausfall bei Spiriva zu kompensieren. Ob uns das gelingen wird, ist schwer vorherzusagen. Spiriva macht allein in unserer Region 130 Millionen Euro Umsatz.

Wie viele neue Produkte sind in der Pipeline?

In den nächsten Jahren sind zehn neue Produkteinführungen geplant, darunter Präparate zur Behandlung von Diabetes, Lungenkrebs und weitere für den Einsatz im Bereich der Atemwegserkrankungen.

Selbst Generika (Nachahmer-Präparate, Anm.) zu forcieren ist für Boehringer keine Option?

Nein, unsere Generika-Sparte in den USA soll verkauft werden.

Laut einer Studie für das Gesundheitsministerium sind Medikamente in Österreich teurer als in 15 anderen EU-Ländern. Warum ist das so?

Das ist gar nicht so. Es gibt immer Ausreißer, wie zuletzt bei einem neuen Hepatitis-C-Produkt. Wenn Konkurrenz-Produkte auf den Markt kommen, sinkt der Preis. Ich kann garantieren, dass wir bei unseren Preisen immer im untersten Drittel in Europa angesiedelt sind.

Im Vorjahr gab Boehringer einen konzernweiten Sparkurs aus. Wie wirkte sich dieser auf Österreich aus?

Wir haben Kosten verschoben, aber wir mussten keine Stellen abbauen. Mit dem gesamten Regional Center Vienna sind wir ja immer noch auf Wachstumskurs, dieser Länderverbund hilft uns sehr. Wir können in der Region auch heuer 200 Millionen Euro in die Forschung investieren, da wird nichts gekürzt. Weiters fließen 50 Millionen Euro in ein neues Institutsgebäude für das Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) im Vienna Biocenter in Wien.

Wie wichtig ist Russland für das Regional Center und wie sehr traf sie der schwache Rubel-Kurs?
Russland ist sehr wichtig, es stellt ein Drittel des Marktes in der Region, wir haben 840 Mitarbeiter dort. Der schwache Rubel-Kurs hat uns stark belastet, aber jetzt sollte es wieder leicht aufwärts gehen. Fraglich ist, wann sich die Märkte in Russland und der Ukraine wieder erholen. In der Ukraine ist der Markt völlig zusammengebrochen. Die Treiber in Zentraleuropa sind vor allem Polen und Tschechien.

Mitbewerber Roche warnt davor, dass Österreich bei der klinischen Forschung zurückfällt. Teilen Sie diese Sorgen?

Wir haben den Vorteil, dass wir in einer ganzen Region agieren. Da können wir sehr rasch switchen. Ich versuche, so viel wie möglich klinische Forschung in Österreich zu machen, aber wenn das nicht funktioniert, bin ich mit einem Wimpernschlag in der Slowakei, Rumänien oder Bulgarien. Es geht auch um Geschwindigkeit, da können wir nicht lange herumtrödeln.Eine massive Verschlechterung in Österreich spüren wir aber nicht.

Gibt es in Österreich ein innovationsfeindliches Klima?

Wir sind froh, dass 2016 die Forschungsprämie von zehn auf zwölf Prozent angehoben werden soll. Das ist ein positives Signal für den Standort. Ich wünsche mir aber auch einen weniger bürokratischen Zugang. Bei den hohen Lohnnebenkosten tut sich leider überhaupt nichts, das bleibt ein Nachteil.

Der 47-Jährige leitet seit Juni 2013 das Regional Center Vienna (RCV) von Boehringer Ingelheim. Das Center betreut 33 Länder Mittel- und Osteuropas, Russlands, Israels und der Schweiz. 2014 setzte das RCV 771 Mio. Euro um (–3,4 %) und beschäftigte 3349 Mitarbeiter. In Österreich sind 1439 Mitarbeiter beschäfigt, davon 250 in der Forschung.

Der zweitgrößte deutsche Arzneimittelhersteller Boehringer Ingelheim (47.700 Mitarbeiter) forscht und entwickelt Medikamente u.a. gegen Lungenkrankheiten, Asthma, Bluthochdruck, Schlaganfall und Diabetes.

Umsatzstärkstes Produkt ist das Atemwegsmedikament Spiriva. Bekannte rezeptfreie Produkte sind Thomapyrin, Dulcolax, Boxagrippal oder Mucosolvan.

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