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KURIER-Redakteure im Twitter-Universum
Der Online-Service gilt inzwischen als einer der schnellsten Nachrichtenkanäle. Doch die Geschwindigkeit mit der sich Informationen auf Twitter verbreiten, hat auch Nachteile.

Als sich Anfang des Jahres der deutsche FDP-Politiker Rainer Brüderle mit unangemessenem Verhalten gegenüber einer Journalistin in die Nesseln gesetzt hatte, gab dies den Anstoß zu einer breiten Diskussion über Alltags-Sexismus. Unter dem Hashtag #Aufschrei entwickelte sich auf Twitter eine gesellschaftliche Debatte, die internationale Beachtung fand. Sie ist nur ein Beispiel dafür, welchen Stellenwert die Online-Plattform mittlerweile in der Öffentlichkeit, bei Medien und Bürgern einnimmt. Bedroht ein Hurrikan oder Erdbeben das Leben von Menschen, verbreiten sich die News auf Twitter in sprichwörtlicher Windeseile auf der ganzen Welt, und auch bei tragischen Geschehnissen wie den Bombenanschlag in Boston im Frühjahr wurden viele Details zuerst auf Twitter vermeldet.

„Wir sind ein Echtzeit-Informationsnetzwerk. Niemand sonst hat sich so auf Echtzeit konzentriert, wie Twitter das gemacht hat“, sagte Karen Wickre, Kommunikationschefin bei Twitter, kürzlich in einem Interview mit dem KURIER. Diese Selbstdefinition trifft den Kern der Plattform tatsächlich ganz gut. Während man auf Facebook „Freunde“ hat, sich gerne auch privat austauscht und Information zum Teil nur gefiltert ankommt, setzt Twitter auf maximale Offenheit und Simplizität. Dadurch erreichen Nachrichten eine irrsinnige Geschwindigkeit. „Der Stream ist chronologisch, es gibt keinen Algorithmus dahinter, der eine Nachricht bewertet und dementsprechend reiht. Jede Nachricht wird technologisch gesehen vollkommen gleich behandelt“, erklärt Social-Media-Expertin Judith Denkmayr. „Die Plattform ist an sich offen für alle, auch für jene, die keinen Twitter-Account haben“, so Denkmayr.

Falschinfos und Bedrohung

Die Schnelligkeit, die einerseits der große Trumpf von Twitter ist, kann jedoch rasch ins Gegenteil umschlagen. Gerade das zeigten etwa die Bombenanschläge beim Boston Marathon. Die News waren in Sekunden um die Welt gegangen, doch leider war vieles davon schlichtweg Falschinformation. Personen wurden zu Unrecht verdächtigt, Gerüchte als Tatsachen verkauft und Fotos in falschen Kontext gesetzt. Dass dabei auch viele Medien die Informationen ungeprüft übernehmen, ist leider kein Einzelfall.

Probleme bereiteten auf Twitter zuletzt auch vermehrt auftretende Hasspostings, Anfeindungen von einzelnen Usern und sogenanntes Trollverhalten, wie man es allerdings überall im Netz finden kann. So wurde kürzlich eine britische Journalistin massiv bedroht, nachdem sie mehr Frauen auf den Pfund-Noten gefordert hatte. Daraufhin forderten zahlreiche Nutzer besseren Schutz von Twitter. Der Dienst reagierte und will in Zukunft das Melden von Belästigungen vereinfachen. Weniger dramatisch ist es, wenn eine öffentliche Person „Opfer“ von Satire wird. Davon kann beispielsweise Kardinal Schönborn ein Liedchen singen, der – selbst aktiv auf Twitter – unlängst von einer Satire-Webseite aufs Korn genommen wurde. Die mehr oder weniger gut gefälschte Nachricht, er habe eine Art Keuschheitskampagne mit einem Känguru als Maskottchen gestartet, breitete sich wie ein Lauffeuer über Twitter aus. Bis die ersten User vermeldeten, dass es sich um Satire handle, war die Nachricht längst in alle Timelines geschickt.

Risiken

„Als Gefahr sehe ich vor allem, dass man das Potenzial der Verbreitungsdynamiken unterschätzt“, sagt Denkmayr. „Man setzt einen kontroversen oder unbedachten Tweet ab, Sekunden später wird dieser von Menschen, die einen noch nie wahrgenommen haben, retweetet und schon schaukelt sich ein kleiner Shitstorm auf.“ Mit etwas Glück oder auch Pech sei der Tweet zwei Stunden später in einen Artikel auf einer Medienplattform eingebunden und tags drauf in einer bunten Tageszeitung abgedruckt.

Auch für Politiker kann Twitter ein nützlicher Kanal sein. Allen voran hat das US-Präsident Barack Obama bereits im Zuge seines ersten Wahlkampfes deutlich gemacht. In den USA nutzen viele Stars die Plattform zu Promotionzwecken, und sogar der Papst kommt mittlerweile nicht mehr um Twitter herum. „Prominenten kann es beim Vertrieb ihrer Produkte helfen oder dazu führen, dass sie Aufträge bekommen, weil klar ist, dass es für ihre Werke ein potenzielles Publikum gibt“, so Denkmayr. Doch auch hier gilt: Eine falsche Info, ein peinlicher Tweet, ein schlechtes Foto sind schnell verbreitet. Greifen Medien die News auf, schwappen diese auf ein noch viel breiteres Publikum über. In ein besonderes Fettnäpfchen trat der ehemalige US-Kongressabgeordnete Anthony Weiner vor zwei Jahren, als er versehentlich ein Foto seines Penis twitterte. Weiner kandidiert aktuell als Bürgermeister von New York.

Für alle

Letztlich gibt es keine Einschränkungen, für wen sich der Dienst eignet. „Twitter spricht ja von Follower/Following und der Begriff ist da vielsagend“, meint Denkmayr. „Es ist eines der wichtigsten Twitter-Motive: Man meldet sich an, um einer bestimmen Person zu folgen. Es gibt also meist eine Person oder Personengruppe, die für den jeweiligen User von Interesse ist. Das kann Lady Gaga, ein Twilight-Darsteller, der Dalai Lama oder Armin Wolf sein, ebenso aber mein Studienkollege, meine Sitznachbarin oder meine Lieblings-Cupcake-Rezepte-Bloggerin.“

In Österreich sind die reichweitenstärksten Twitter-Accounts Personen aus dem Medienbereich, aus der Politik- oder Kommunikationsbranche. Diese elitäre Gruppe ist laut Denkmayr sehr sichtbar – „aber sie sind bei Weitem nicht die Einzigen“. „Es gibt eben auch andere Motive, etwa Fan zu sein, etwa im Sport oder auch in der Entertainmentbranche“, so Denkmayr. „Es gibt in Österreich eine Twittergruppe von einigen Hundert Leuten, die ausschließlich wegen Justin Bieber auf Twitter sind, sich nur untereinander vernetzen und hoffe, dass sie eines Tages von Justin Bieber retweeted werden.“

Grundsätzlich gelten bei Twitter ähnliche Verhaltensregeln wie überall sonst im Netz und in der realen Welt auch: Es gilt, sich verantwortungsvoll zu verhalten, Infos nachzuprüfen und dieselben Höflichkeitsregeln zu befolgen wie im Offline-Leben. Kommt es dennoch zu Problemen, gibt es ein paar Tipps, die jeder Nutzer beherzigen kann.

„Auf falsche Behauptungen kann eine einmalige Richtigstellung erfolgen“, rät Denkmayr. Ebenso solle man bei Anfeindungen erst einmal darauf eingehen – „sachlich, vielleicht mit etwas Zeitverzögerung, um die ersten Emotionen vorher reflektieren zu können“. Wenn diese ungerechtfertigt seien, verfolge die andere Partei entweder eine bestimmte Agenda oder versuche, Aufmerksamkeit zu bekommen, meint die Expertin. „Da gilt die alte Web-Weisheit: Don’t feed the troll. Das bedeutet: Nicht mehr darauf eingehen, sonst legt man in der Diskussion ständig nach. Und man gewinnt sicher nicht.“

Provokationen

Sollte man die jeweilige Person etwas kennen oder davon ausgehen, dass es sich nicht um einen Troll (eine Person, die bewusst im Netz provoziert Anm.) handelt, könne man auch versuchen, die Kommunikation über private Nachrichten aus der Öffentlichkeit zu holen, meint Denkmayr. „In manchen Fällen kann es hilfreich sein, den Account auf „Geschützt“ zu stellen, um sich aus der Schusslinie zu nehmen.“ Damit habe man allerdings auch weniger Einfluss auf die öffentliche Diskussion.

In Sachen Falschinformationen gilt, Quellen möglichst nachzuprüfen und nicht zu schnell auf Retweet zu klicken. Prominente Accounts und offizielle Medienkonten erkennt man oft am „Verified“-Status auf der Profilseite.

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