"The Knick": Der Fleischer im OP-Kittel

Leidenschaftlicher Mediziner, kalter Mensch: Clive Owen (Mitte) überzeugt als brillanter Chirurg
In "The Knick" inszeniert Regisseur Steven Soderbergh den OP-Raum blutig wie noch nie.

Im Fernsehen ist der OP-Kittel längst eine Modeerscheinung. Ärzte begegnen uns wahlweise als Beziehungswracks („Grey’s Anatomy“) oder Soziopathen („Dr. House“) – der Kittel aber, der bleibt unangetastet.

Nicht so in „The Knick“. Die neue Arztserie von Regisseur Steven Soderbergh spielt im New York des Jahres 1900. Zu einer Zeit also, da Penicillin noch nicht erfunden war und Kokain als Schmerzmittel verschrieben wurde. Die späteren „Götter in Weiß“ sind hier vor allem eines: blutverschmierte Metzger.

Das zeigt schon die Eröffnungsszene. Ein Kaiserschnitt – heute längst Routineeingriff – wird zum überaus blutigen (und tödlichen) Stück Pionierarbeit.

Verantwortlich für das blutige Treiben ist Meistermetzger Doktor John Thackery (brillant arrogant: Clive Owen). Am namensgebenden „Knickerbocker“-Krankenhaus lotet er mit selbstgebastelten Gerätschaften und einer eigenwilligen Einstellung zum Hippokratischen Eid die Grenzen seines Faches neu aus.

Fortschrittsglaube

Die Rückschläge, die er dabei einstecken muss, stehen in keinem Verhältnis zu seinem Glauben in den Fortschritt der Medizin. Wer zunächst meint, dass sein unbändiger Kokain-Konsum dabei Ausdruck moralischer Bedenken sei, der irrt. Kokain wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts als ein durchaus probates Mittel zur Leistungssteigerung angesehen. So pries etwa Sigmund Freud die erfrischende Wirkung der Droge in seiner – später revidierten – Lobschrift „Über Coca“ an. Der Fortschrittsglaube findet auch in der Inszenierung seine Entsprechung. Die betont grauslichen Bilder werden in einen unerwartet technoiden Soundtrack gehüllt, die Szenen mit verwackelter Handkamera und in unorthodoxen Einstellungen gefilmt.

Für Regisseur Steven Soderbergh ist „The Knick“ die zweite TV-Produktion nach „Liberace“, mit dem er im vergangenen Jahr zu den großen Gewinnern der Emmys zählte. Auch das hat etwas mit Fortschrittsglauben zu tun. Denn für das Kino will der US-Regisseur nicht mehr drehen. „Im TV finden heute die gesellschaftlichen Diskurse statt, die früher im Kino ausgetragen wurden“, sagte der Regisseur 2013. Eine Verheißung, die der 51-Jährige nun zum zweiten Mal einlöst. „The Knick“ ist alles andere als „noch eine Arztserie“.

Auf SkyGo ist die Serie ab heute, nur wenige Stunden nach der Premiere auf dem HBO-Schwesternsender Cinemaxx, abrufbar.

2001 gewann er den Oscar für „Traffic“, 2012 kehrte er dem US-Kino den Rücken. Zu wenig Mut für neue Stoffe, zu hoher Erfolgsdruck auch für kleinere Filme, lautete damals die Kritik Soderberghs. Im Fernsehen fand er eine neue kreative Heimat. Nicht nur für ihn „die Zukunft“.

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