Jauch-Talk zum Flüchtlingsdrama: Ohne Worte
Rund 700 Menschen ertrinken vor der Küste Siziliens. Wieder.
Es ist eine Tragödie, die sprachlos macht - und wütend. Besonders, weil sie nicht die erste dieser Art ist.
Eine Tragödie auch, die keine zwei Meinungen zulässt. Seit Jahren fordern betroffene Politiker wie Menschenrechtsorganisationen Abhilfe, steht die europäische Flüchtlingspolitik am Pranger. So auch in der sonntäglichen Talk-Sendung von Günther Jauch.
"Müssen wir Europäer uns schuldig fühlen?", lautete dann auch die fast rhetorische Frage, die Jauch zu Beginn seiner gestrigen Sendung aus aktuellem Anlass stellte. Einhelliger Tenor der Gäste: Natürlich trägt Europa eine Mitverantwortung.
"Todeskanal Mittelmeer"
Wie genau Europa seiner Verantwortung gerecht werden kann, darüber gab es freilich äußerst verschiedene Auffassungen.
"Die Politiker weigern sich, die Asylgesetzgebung, die wir in Europa haben, umzusetzen", meinte Roger Köppel, dem streitbaren Chefredakteur der konservativen Schweizer Weltwoche. Deshalb plädiere er dafür, endlich diesen "Todeskanal Mittelmeer" zu schließen. Man müsse den Leuten erlären, dass sie einfach nicht über das Mittelmeer flüchten könnten und den Schlepperbanden das Handwerk legen, meinte der rechtskonservative Schweizer Journalist. Mit der Forderung, mehr Flüchtlinge in Europa aufzunehmen, schaffe man nur mehr Anreize für weitere Todesschiffe. "Und ich finde das schrecklich."
Einziger Weg nach Europa
Die Asylgesetze seien gar nicht dafür da, die Asylwerber zu schützen, "sie sind dafür da, die Grenzen zu schützen", entgegnete Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung. Das Problem sei, dass es für die Menschen keinen anderen Weg gebe, als der verzweifelte Versuch über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. "Die europäische Politik zwingt die Flüchtlinge auf diese Schiffe. Deswegen ist diese Politik auch schuld an dieser Katastrophe", meinte Prantl.
Keine sieben Minuten hatte es gedauert, und die anfängliche stillen Betroffenheit war der üblichen Talk-Show-Intensität gewichen, bei der es nicht darum geht, Lösungen zu erarbeiten, sondern Standpunkte auszutauschen - freundlich formuliert.
Einzelschicksal vs. Geopolitik
Es ist einer jungen Frau aus Syrien zu verdanken, dass die gestrige Diskussion nicht in den unerträglich oft abgetauschten Phrasen verharrte. In perfektem Deutsch erzählte Maya Alkhechen, wie sie gemeinsam mit ihren beiden Kindern und ihrem Mann über das Mittelmeer vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat flüchtete. Sechs Tage und Nächte habe die Überfahrt in dem übervollen Boot gedauert, 2.000 Dollar hatte sie ihren Schleppern dafür zahlen müssen. "Einen anderen Weg hat es nicht gegeben." Die deutsche Botschaft in Kairo, an die sich Alkhechen, die bis zu ihrem 18. Lebensjahr in Deutschland lebte, gewandt hatte, hätte ihr erklärt, dass sie um politisches Asyl erst auf deutschem Boden ansuchen könne.
Eine Schilderung, die sprachlos macht.
Doch in einer Talkshow gibt es eben keinen Platz zum Innehalten. Die Menschen wüssten leider gar nicht, auf welche Gefahren sie sich da einlassen würden, sprang Hans-Peter Friedrich (CSU), zwischen 2011 und 2013 deutscher Bundesinnenminister, gleich bei. Dazu unterstütze er den Vorschlag, wonach Zentren in Nordafrika, bei denen Flüchtlinge um Asyl ansuchen könnten, eine Überfahrt nach Europa gar nicht mehr nötig machen sollten. Natürlich nur für jene, die wirklich verfolgt werden, so Friedrich.
Unvereinbare Fronten
Auch der pensionierte Maschinenbauer Christian Haase sollte zu Wort kommen. Haase ist Sprecher einer Bürgerinitiative in Bautzen, die sich für die Erweiterung eines Heimes für 360 Flüchtlinge in der 40.000-Einwohner-Stadt stark macht. Die ideologische Front verlief aber eindeutig zwischen Roger Köppel und Prantl, der in der Süddeutschen Zeitung unter Verweis auf die gekürzte EU-Mission "Triton" zuletzt schrieb: "Diese Union tötet, sie tötet durch unterlassene Hilfeleistung."
Mit Blick auf Syrien und "muslimische Massen" forderte Köppel reiche Länder wie Saudi-Arabien, Oman oder Kuwait auf, selbst mal einen Flüchtling aufzunehmen. "Die müssten doch nicht alle nach Europa kommen, oder?" Dass die Türkei, Jordanien oder der Libanon Millionen Flüchtlinge aufgenommen haben, erwähnte er nicht.
Gemengenlage
Günther Jauch ließ die Debatte weitgehend gewähren. Es war eine politisch geprägte Diskussion, die wieder einmal zeigte, dass die Asylfrage im öffentlichen Diskurs nur zwei Positionen kennt, die sich unversöhnlich gegenüber stehen.
Umso berührender das Ende der Sendung: Nach 54 Minuten Talk zur Gemengenlage Asyl und Einwanderung lag es an Harald Höppner, die Diskutanten wieder auf den tragischen Anlass der Diskussion zu erinnern. Gemeinsam mit Freunden und Familie hat der Mann aus Brandenburg vor Wochen ein altes Fischerboot gekauft und seetauglich gemacht. Ausgerüstet mit Hilfsgütern für 500 Menschen hat sich das auf "Sea Watch" getaufte Schiff nun auf den Weg ins Mittelmeer aufgemacht, um Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten.
Schweigen in der Talk-Sendung
Ob sein Fischerboot überhaupt seetauglich sei, wollte Jauch von Höppner wissen. Dieser ging erst gar nicht auf die Frage ein. "Ich möchte wirklich jetzt auch mal die Chance ergreifen, diesen Menschen ein Gedenken zu schenken. Indem ich Sie bitte, eine Gedenkminute dafür einzulegen", meinte Höppner, stand auf und forderte die Gäste und das Publikum auf, es ihm gleich zu tun.
"Deutschland sollte eine Minute Zeit haben, um dieser Menschen zu gedenken. Jetzt. Bitte."
Es sollte der wichtigste Diskussionsbeitrag des Abends werden.
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