Eklat in "ZiB 2": Mitterlehner prangert "Bestellfunk" an
[Update: 12:23 Uhr]
Der geplante Solo-Auftritt von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) in der ORF-Talk-Reihe "Im Zentrum" sorgt weiter für Aufregung. Der ORF widmet sein Diskussionsformat am Sonntag ausschließlich einem Interview mit dem Kanzler. Thema ist die Flüchtlingskrise. In der "Zeit im Bild 2" kam es deshalb am Mittwoch zu einem Eklat: ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner nannte den ORF vor laufender Kamera "Bestellfunk".
"Ich wünsche mir das selbe"
"Wenn schon der Herr Bundeskanzler eine ganze Sendung hat, seine Linie zu erklären, geben Sie mir auch die Zeit. Das ist doch Bestellfernsehen. Ich wünsche mir das selbe, was der Herr Bundeskanzler wünscht. Ich wünsche mir, dass der ORF reagiert", sagte der Vizekanzler, sichtlich echauffiert, im Gespräch mit "ZiB 2"-Moderator Tarek Leitner. Dieser verwies darauf, nicht zuständig für die Einladungspolitik zu sein, außerdem entscheide man im ORF journalistisch. So habe Mitterlehner am Mittwoch mehr als zehn Minuten Sendezeit bekommen, um über seinen Besuch bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel Auskunft zu geben. Den VP-Vizekanzler konnte dies nicht beruhigen. Um einem verbalen Schlagabtausch zu entgehen, versuchte es Leitner mit kämpferischem Lächeln.
Zum Lachen ist der ÖVP-Spitze aber in dieser Sache ganz und gar nicht zu Mute. Zuvor hatte bereits Klubomann Reinhold Lopatka schwere Geschütze gegen den öffentlich-rechtlichen Sender und seinen Generaldirektor Alexander Wrabetz aufgefahren. "Der ORF gehört gestoppt, das widerspricht völlig dem ORF-Gesetz. Wrabetz hat seine Karriere als Wahlkampfhelfer von Josef Cap begonnen, wenn er jetzt glaubt, sie als Wahlkampfhelfer von Faymann beenden zu müssen, dann schadet er dem Unternehmen", meinte Lopatka im KURIER. Das "Bestellfernsehen" der SPÖ müsse ein Ende haben, "Herr Wrabetz hat bis Sonntag Zeit, seine Schlüsse zu ziehen", so Lopatka.
Oberhauser: "Man kann das viel eleganter machen"
Auch der frühere ORF-Informationsdirektor Elmar Oberhauser kritisiert das Faymann-Solo. "Das ist ein beispielloser Skandal und dreister Angriff auf die Unabhängigkeit des ORF", sagte Oberhauser am Donnerstag im APA-Interview. Der legendäre ORF-Journalist führte selbst zahlreiche Diskussionssendungen und Politiker-Interviews im ORF. "Für mich ist das ein weiterer Beweis, dass sich Generaldirektor Alexander Wrabetz als Handlanger von Kanzler Faymann sieht", meinte Oberhauser zur aktuellen Causa. "Ich hätte diese Entscheidung sicher nicht getroffen und hätte sie auch nicht zugelassen. Aber der Posten des Informationsdirektors wurde ja auch ganz bewusst abgeschafft, damit Wrabetz mehr Freiraum und Einflussmöglichkeiten hat", erklärte ein sichtlich erzürnter Oberhauser. "Grundsätzlich muss es dem ORF unbenommen sein, einen Bundeskanzler eine Stunde lang zu interviewen. Es gibt aber sicher passendere Gefäße für ein solches Gespräch, zum Beispiel in der 'Pressestunde' oder im 'Report'. Wenn man will, kann man das viel eleganter machen", so der ehemalige ORF-Informationsdirektor. Vom Faymann-Auftritt erwartet er keine journalistische Sternstunde: "Dass man eine ausgewiesene Talk-Sendung für ein Interview in einen müden Abklatsch von Frau Will umformatiert, geschieht ja nur, damit man diesen Eklat begründen kann."
Dittlbacher und Zechner: "Journalistische Entscheidung"
"Die Einladung in ORF-Sendungen sind journalistische Entscheidungen und diese werden ausschließlich von den Journalistinnen und Journalisten des ORF getroffen", erklärte ORF-Fernsehchefredakteur Fritz Dittlbacher am Donnerstag gegenüber der APA. "Einladungen können angenommen oder abgelehnt werden, was ja öfter einmal vorkommt. Sie können aber auf keinen Fall von der Politik eingefordert werden." Zum aktuellen Fall meinte Dittlbacher, dass es "sowohl legitim als auch journalistisch notwendig" sei, den Bundeskanzler zur Position Österreichs in der Flüchtlingspolitik zu befragen. "Es geht hier um ein gewaltiges europäisches Problem und nicht um heimische Innenpolitik. In der aktuellen Situation, zwischen zwei so entscheidenden EU-Gipfeln, den Bundeskanzler nicht einzuladen, wäre ein journalistischer Fehler", so der TV-Chefredakteur.
Die öffentlich-rechtliche ARD habe zuletzt "bewiesen, wie aufschlussreich eine solche Konzentration auf einen Gesprächspartner sein kann: Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Anne Will war beispielhafte Aufklärung. Österreichs Bundeskanzler bei Ingrid Thurnher wird genauso informativ, interessant und aufklärerisch werden", erklärte Dittlbacher. Unterstützung bekam der ORF-Chefredakteur auch von Fernsehdirektorin Kathrin Zechner. Sie trete für Professionalität, Klarheit und angemessene Äquidistanz ein. "Die Entscheidung, wer in welchem Format zu welchem Thema eingeladen wird, treffen einzig und allein die unabhängigen Journalistinnen und Journalisten der Fernseh-Information", erklärte Zechner gegenüber der APA.
Redakteursrat weist Kritik zurück
Kritik am "ZiB 2"-Auftritt Mitterlehners kam am Donnerstag vom Vorsitzenden des ORF-Redakteursrats Dieter Bornemann. "Es ist ein seltsames Medienverständnis der ÖVP, wenn Vizekanzler Mitterlehner als Gast in der 'ZiB 2' das angebliche 'Bestellfernsehen' des ORF kritisiert und im selben Atemzug sagt: 'Ich wünsche mir das auch!'. Wir entscheiden nach journalistischen Kriterien und nicht nach Befindlichkeiten der Politiker", so Bornemann, der im übrigen darauf hinwies, dass es eine Entscheidung der Redaktion gewesen sei, die Regierungschef zu "Im Zentrum" einzuladen. "Wäre das Interview wirklich ein Wunsch des Bundeskanzlers oder des Generaldirektors gewesen, dann hätte es von der Redakteursvertretung einen sehr lauten Protest gegeben." Die Empörung der Parteien sei "heuchlerisch und leicht durchschaubar: Es geht den Politikern nicht um das Programm oder die Zuschauer, sondern nur darum, möglichst viel im ORF vorzukommen", sagte Bornemann.
Wrabetz und die Wahl
Die politische Auseinandersetzung über den Faymann-Auftritt - neben der ÖVP kritisierten zuletzt auch FPÖ und Grüne die Entscheidung - kommt für ORF-Chef Wrabetz zur Unzeit. Der Generaldirektor stellt sich im Sommer der Wahl im ORF-Stiftungsrat, in dem der ÖVP-"Freundeskreis" derzeit eine knappe relative Mehrheit hält. Unterstützung für die ORF-Linie kam am Donnerstag lediglich von den NEOS. "Parteipolitik hat redaktionelle Arbeit nicht zu kommentieren. Die Autonomie des ORF ist zu respektieren", erklärte NEOS-Mediensprecher Niko Alm in einer Aussendung. Für Alm zeige der aktuelle Fall, dass eine "gremiale Neuordnung des ORF, die den parteipolitischen Einfluss minimiert, dringend geboten wäre".
Am Sonntag tritt Werner Faymann "Im Zentrum" auf, allein. Der Kanzler soll/will nach deutschem Vorbild – Stichwort: Angela Merkel bei Anne Will – die (Flüchtlings-)Lage erklären. Ob das die Quote der oft lahmen Diskussionssendung im ORF erhöhen wird, ist offen. Erhöht hat alleine das Faktum schon den Blutdruck beim Koalitionspartner: "SPÖ-Belangsendung", wird gewettert, und der Vizekanzler nutzte ein ZiB2-Interview zu einem einigermaßen unsouveränen Auftritt mit dem Begehr, auch was zu sagen zu haben.
Was zunächst aussieht wie das in diesem Land übliche, vermeintliche Proporz-Zugriffsrecht auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat einen viel tieferen Hintergrund: Es geht um die Lufthoheit über den Flüchtlingskurs der Regierung nach dem Motto "Ich war zuerst".
Im Sommer noch hat man angesichts der Unmenschlichkeit in Ungarn gemeinsam mit der deutschen Kanzlerin die "Willkommenskultur" geprägt. Dann haben Johanna Mikl-Leitner und Sebastian Kurz begonnen, vor einem "Wir schaffen das nicht" zu warnen. Und im Jänner ist die SPÖ im Zuge der Obergrenzen-Debatte zähneknirschend darauf eingeschwenkt – unter der Erkenntnis, dass der neue Kurs der mehrheitsfähige ist.
Seither wird der Kanzler nicht müde, sich als Speerspitze gegen den Merkel-Kurs und für Grenzschließungen zu präsentieren. Der Außenminister macht mit schlüssig-geschickter Argumentation mehr Werbung für sich als für seine Partei. Und der ÖVP-Chef zeigt auch auf (wer ist eigentlich sein Medienauftrittsberater?).
Dass gerade die Flüchtlingsfrage, die von einer Lösung noch meilenweit entfernt ist, für eine verunsicherte Bevölkerung vor allem eine einig auftretende Regierung bräuchte, hat diese auch nach bald mehr als einem Jahr noch nicht ansatzweise begriffen.
(Andreas Schwarz)
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