ORF-Legende Gerd Bacher gestorben

ORF-Legende Gerd Bacher gestorben
Der prägende Medienmacher der 2. Republik ist nur wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag verstorben.

Der legendäre ORF-Generalintendant Gerd Bacher ist am Samstag nur wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag an den Folgen eines Schlaganfalls in Salzburg gestorben. Bacher stand zwischen 1967 und 1994 mit Unterbrechungen 20 Jahre lang an der Spitze des Österreichischen Rundfunks und war einer der prägenden Medienmacher Österreichs in der Zweiten Republik.

Am 18. November 1925 in Salzburg geboren, startete Gerd Bacher seine Laufbahn als Journalist bei der Salzburger Volkszeitung und den Salzburger Nachrichten. 1954 wurde er nach Wien als Chefredakteur des neu gegründeten Bild-Telegraf berufen, zwei Jahre lang - von 1958 bis 1960 - war er Chefredakteur des von ihm mit gegründeten Express. Mitte der siebziger Jahre war er kurzzeitig KURIER-Chefredakteur, Ende der achtziger Jahre fungierte er für kurze Zeit auch als Herausgeber der Presse. Bachers Herz und Leidenschaft gehörten aber immer "seinem ORF". Von 1967 bis 1975, von 1978-1986 sowie von 1990 bis 1994 war er insgesamt fünfmal Generalintendant des öffentlich-rechtlichen Senders.

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Nach dem Rundfunkvolksbegehren und einem neuen ORF-Gesetz wurde Bacher, der sich selbst als wertkonservativer heimatloser Bürgerlicher und "Obmann einer Ein-Mann-Partei mit Aufnahmesperre" sah (siehe auch "Gerd Bacher im Wortlaut" - die schönsten Zitate des "Tigers") , 1967 erstmals zum ORF-Chef gewählt.

Unter seiner Führung wurde das ORF-Zentrum am Küniglberg gebaut, und der Sender startete eine Informationsoffensive in Radio und Fernsehen. Im Radio wurden die stündlichen Nachrichten und "Journale" eingeführt, im Fernsehen die Informationsendungen ausgebaut.

"Hohepriester der Zentralanstalt für österreichische Identität"

"Ich habe die alte Führung noch in der ersten Nacht abgesetzt. Sie waren Auftragnehmer ihrer Parteien", so Bacher vor Jahren. "So schön" wie in der ersten Zeit ist es "nie wieder geworden, so unabhängig auch nie wieder. Wir fühlten uns als Hohepriester der Zentralanstalt für österreichische Identität. Die Parteien konnten sich nicht vorstellen, dass ein Rundfunk das tut, was er für richtig hält."

ORF-Legende Gerd Bacher gestorben
Platin-Romy für das Lebenswerk für Gerd Bacher Die Überreichung fand erst anläßlich der Romy 1993 statt, da die Verleihung der Romy 1992 wegen des Ablebens von Thomas Pluch während der Veranstaltung abgebrochen werden musste.
1974 wurde auf Initiative der SPÖ und Bruno Kreiskys "eines der besten Rundfunkgesetze der Welt durch eines der schlechtesten ersetzt". Bacher musste bald darauf gehen und kehrte 1978 für zwei weitere Perioden an die Spitze des ORF zurück.

Bachers letzte Amtszeit von 1990 bis 1994 war vom Konkurrenzkampf mit den auch in Österreich immer stärker gewordenen deutschen Privatsendern geprägt. "Mir ist das elektronische Hochland von Tibet lieber als das Tiefland von Luxemburg. Die kommerziellen Fernsehsender haben die öffentlich-rechtlichen unter schweren Quotendruck gesetzt. Diese führen einen heldenhaften Abwehrkampf. Es bleibt die Hoffnung auf Schubumkehr, aber ich glaube es wird noch Ärger", meinte Bacher in den neunziger Jahren.

"Tiger" mit deutlichen Worten

Dem ORF blieb der "Tiger" - den Spitznamen verpasste ihm der Karikaturist Gustav "Ironimus" Peichl nach seiner ersten Wahl zum ORF-Chef - auch nach seinem Abschied verbunden. Immer wieder erhob er in medien- und ORF-politischen Belangen das Wort. Wenn Bacher mit den jeweils aktuellen Entwicklungen am Küniglberg unzufrieden war, scheute er sich nicht vor deutlichen Worten. "Mit dem ORF geht es mir wie mit einem Kind, das seine Talente verloren hat", erklärte er diesen Umstand. Von nachfolgenden Geschäftsführungen zeigte er sich in öffentlichen Statements regelmäßig enttäuscht bis deprimiert. Wer in den Augen Bachers Verfehlungen begangen hatte, zog dessen hartes Urteil samt unzweideutigen Beiworten auf sich: "Laienbruderschaft" hieß es dann etwa in Richtung der aktuellen ORF-Führung.

Mit Kritik am ORF-Programm selbst hielt sich Bacher vornehm zurück, denn "ich gehöre nicht zu den Scheißern, die unentwegt sagen: Ja, zu meiner Zeit!" Die neue Medienwelt ist Bacher wie vielen seiner Generation fremd geblieben. Das Internet nutzte er kaum bis selten, und als Lieblingsfernsehprogramm verfolgte er in den vergangene Jahren vor allem 3sat und Arte. Daneben sah der Medienmacher, der 1999 von einer Fachmedienjury gemeinsam mit Karl Kraus und Hans Dichand zu Österreichs Journalisten des 20. Jahrhunderts gewählt wurden, täglich mehrere Nachrichtensendungen in ORF, ARD und ZDF.

Erinnerungen an Gerd Bacher sind vielfältig und ja, auch unterhaltsam. Seine Art, einen Raum zu betreten, eine Sitzung zu leiten, zu argumentieren, auch zu toben. Mein letztes Telefonat war ein Wunsch nach einem Interview über Helmut Kohl. Bacher war nicht nur Berater des deutschen Kanzlers, er war ein enger Freund, der Familie. Doch er sagte mit folgender Begründung ab: „Ich bin nicht mehr so gut wie früher.“ Mein Einwand: Ich schicke das Interview , da könne er etwas ändern. Bacher darauf: „Das will ich erst recht nicht, weil da sehe ich, dass ich nicht mehr so gut formuliere.“ Und dann sprachen wir weiter am Telefon, er beurteilte perfekt und gnadenlos die politische Lage.

Gerd Bacher hat mehreren Generationen von Journalisten eingepflanzt, was ihre Aufgabe ist. Durch Gespräche und sein Vorbild. Wer das erleben durfte, ist ihm unendlich dankbar.

Den gesamten Nachruf Helmut Brandstätters auf Gerd Bacher lesen Sie morgen im KURIER

Peter Rabl (67): 1980-88 ORF-Sendungsleiter von "Politik am Freitag", Ex-KURIER-Chefredakteur

"Der ORF ist sein Geschöpf"

"Schon wieder ist ein großer Mann gegangen ... Gerd Bacher war mir für ein paar Jahre ein toller Chef und über zweieinhalb Jahrzehnte hin ein toller Schwiegervater. Er war oft brillant in seinem gerechten Zorn, sogar in seinem gelegentlich ungerechten Zorn ... Eine absolut außergewöhnliche, herausragende Persönlichkeit. Seine historische Bedeutung ist in drei Buchstaben erzählt: ORF. Der ORF ist sein Geschöpf. Alles, wovon das Unternehmen heute noch zehrt, alles, was es heute noch bedeutet, verdankt es Gerd Bacher."

Roland Adrowitzer (58): Chefreporter der Zeit im Bild

"Unvergessliche Eindrücke von diesem großen, schwierigen Mann bleiben"

"Gerd Bacher ist tot. Diese APA - Eiltmeldung auf dem Handy heute früh kam wie ein Schock. Gewusst haben wir es seit langem, es geht ihm nicht gut. Dennoch löst die Nachricht vom unausbleiblichem Ende dieses außergewöhnlichen Lebens tiefe Betroffenheit und Trauer aus.

Ich war einer seiner vielen Büroleiter, unvergessliche Eindrücke von diesem großen, schwierigen Mann bleiben. Zwei seiner Sprüche habe ich verinnerlicht: Mir ist ein Haifischbecken lieber als ein Goldfischglasl, und "ich habe mich bemüht", ist die Ausrede der Versager.

Vor zwei Jahren habe ich ihn über einen seiner großen Lebensmenschen, Helmut Kohl, interviewt. Kohl ging es damals schon schlecht, Bacher noch gut. Jetzt hat Helmut Kohl seinen einstigen Medienberater und Freund überlebt.

Mein viel zu früh verstorbener Vater Alfred Adrowitzer, ein großer Journalist der Salzburger Nachkriegszeit, war Gerd Bachers erster Chef bei der Salzburger Volkszeitung. Er war zeitlebens stolz auf die Karriere und Freundschaft seines ehemaligen Schülers Gerd Bacher. Zu meiner Geburt schickte Bacher meiner Mutter ein Telegramm mit dem für ihn typischen Text: "Gratuliere. Für den Vater kann das arme Kind ja nichts". Ich habe ihm das Telegramm zum 80. Geburtstag geschenkt, der 90. war ihm nicht mehr vergönnt. Mein Vater wäre heute 99 Jahre alt geworden, an seinem Geburtstag ist Gerd Bacher gestorben. Ich bin traurig."

Alexander Wrabetz (55): Generaldirektor des öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunks

"Hat Liebe zum ORF vorgelebt"

"Der Tod Gerd Bachers hat mich - und sicherlich auch sehr viele ORF-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen - sehr betroffen gemacht. In den insgesamt zwei Jahrzehnten an der Spitze des Unternehmens hat Gerd Bacher nicht nur die Unabhängigkeit des ORF und die hohe journalistische und programmliche Kompetenz, sondern auch das große internationale Renommee des ORF begründet und stetig weiterentwickelt. Generationen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat Gerd Bacher nicht nur höchste Professionalität und Engagement, sondern auch die Liebe zum ORF gelehrt und vorgelebt. Der ORF verliert mit Gerd Bacher eine seiner prägenden Persönlichkeiten!"

Kathi Zechner (52): ORF-Fernsehdirektorin

"Medienmacher durch und durch"

"Gerd Bachers erfülltes und prägendes Leben für die österreichische Medienlandschaft, den ORF und seine Familie trösten über seinen Tod hinweg. Gerd Bacher war Medienmacher durch und durch. Als Mensch mit Haltung ist er Vorbild für viele seiner Zunft, sein visionäres Handeln hat bis heute Gewicht und wird uns noch lange begleiten. Danke Gerd Bacher für alles, was Du getan hast und uns hinterlässt. Denn Dein Tun lebt in denen fort, die Du geprägt hast. Meine tiefe Anteilnahme gilt seiner Familie."

Johannes Kunz (69): 1986-94 ORF-Informationsintendant

"Hat immer den Widerspruch herausgefordert"

"Gerd Bacher war mehr als ein großer Medienmanager, er war eine Figur der Zeitgeschichte. Er hat den modernen ORF „errichtet“, so wie er das ORF-Zentrum am Küniglberg erbauen ließ. Sein großes Vorbild war die BBC, getreu dem Motto „Qualitätsprogramm statt Quotenpopulismus“. Er ist zeitlebens keinem Konflikt aus dem Weg gegangen, seine Auseinandersetzungen mit Bruno Kreisky sind legendär. Bacher hatte Ecken und Kanten, aber ohne seinen Sturschädel gäbe es den ORF vielleicht gar nicht mehr. Er selbst hat sich als „heimatlosen Rechten“ beschrieben, in Wahrheit war er Weltbürger, Europäer und Patriot. Er kam aus der „Provinz“ (Salzburg), um in Wien dem ORF den Provinzialismus und den Proporz auszutreiben. Er hat immer den Widerspruch herausgefordert. Lakaien und Hofschranzen hat er nie geschätzt. Im Gegensatz zu vielen seiner Nachfolger hat er angepackt, zugepackt und verwirklicht."

Kurt Bergmann (80): 1968-1976 und 1990-2006 in div. Spitzenpositionen beim ORF: Pressesprecher, Generalsekretär, Landesintendant (NÖ, Steiermark).

"Ohne Bachers Standfestigkeit wäre der ORF wohl – als das Monopol fiel – der Zerstückelung anheimgefallen"

"Bacher galt als Diktator, aber in Wahrheit hatte er allen gegenüber, die ihm NICHT widersprachen, ein tiefes Misstrauen. Wer ihm aus Kalkül nicht die Stirn bot, der purzelte bald von der Karriereleiter. Sein historisches Verdienst ist es, einen ORF aufgebaut zu haben, auf den ALLE Mitarbeiter stolz waren. Er erkannte die Wichtigkeit der Regionalisierung des ORF, für ihn waren Föderalismus und die Öffnung zu unseren Nachbarn hinter dem Eisernen Vorhang eine Selbstverständlichkeit. Seine Machtkämpfe mit Bruno Kreisky spielten sich auf höchstem intellektuellen Niveau ab – beide mochten und respektierten einander, wiewohl es ihnen sehr wichtig war, dass der jeweils andere nicht die Nase vorne hatte. Ohne Bachers Standfestigkeit wäre der ORF wohl – als das Monopol fiel – der Zerstückelung anheimgefallen. Das ist und bleibt seine größte und medienpolitisch immens bedeutende Tat."

Weitere Reaktionen: Österreichs Politik würdigt früheren ORF-Chef

Der verstorbene Gerd Bacher prägte wie kein anderer die Geschichte des ORF. Bacher wurde am 9. März 1967 erstmals zum ORF-Generalintendanten gewählt, insgesamt fünf Mal zum ORF-General bestellt und stand - mit Unterbrechungen - 20 Jahre lang an der Spitze der öffentlich-rechtlichen Anstalt.

Basis für Bachers Wahl zum ersten Generalintendanten des ORF war das Rundfunkgesetz von 1967. Dieses war nach dem von verschiedenen Printmedien initiierten Rundfunk-Volksbegehren von 1964 entstanden, das mit über 830.000 Unterschriften eines der stärksten Volksbegehren der Zweiten Republik war.

Bacher leitete bereits in seiner ersten Amtszeit eine umfassende Erneuerung des ORF ein, die in einer Informationsoffensive mündete. Das Informationsangebot im Radio sowie im Fernsehen wurde massiv ausgebaut. Bacher prägte die Auffassung vom ORF als "Zentralanstalt für die österreichische Identität", und er ließ das ORF-Zentrum am Küniglberg bauen.

1971 wurde Bacher für eine zweite Funktionsperiode wiederbestellt. 1974 aber, drei Monate nachdem die allein regierende SPÖ unter Bruno Kreisky gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ das neue Rundfunkgesetz beschlossen hatte, verfehlte er die Mehrheit im Kuratorium. 1978 kehrte Bacher zurück und blieb bis 1986, 1990 wollte es der "Tiger" noch einmal wissen und hielt ein letztes Mal für vier Jahre im 6. Stock des ORF-Zentrums am Küniglberg Einzug.

Nach 1994 äußerte sich Bacher lange Zeit nicht öffentlich zum ORF. Aktiv in die Geschicke des Unternehmens griff er wieder im Jahr 2001 ein: Als maßgebliches Mitglied jenes "Weisenrats", der auf Geheiß der Schwarz-Blauen Bundesregierung Detailvorschläge für das neue ORF-Gesetz ausformulierte.

Betroffen reagierte der Österreichische Rundfunk (ORF) am Sonntag auf den Tod seines langjährigen Generalintendanten Gerd Bacher. "Mit ihm verliert Österreich einen legendären Journalisten, Intellektuellen und visionären Medienmanager, der Radio und Fernsehen des Landes geprägt hat wie kein anderer", hieß es in einer Stellungnahme des öffentlich-rechtlichen Senders.

In memoriam Gerd Bacher ändert ORF 2 sein Programm und bringt heute, Sonntag, um 23.00 Uhr Andreas Novaks Dokumentation "Gerd Bacher".

  • In Memoriam Gerd Bacher ändert ORF2 heute sein Programm :
  • 23:00 Uhr: NACHRUF GERD BACHER
  • 23:50 Uhr (VPS 23.05) dok.film BLICK IN DEN ABGRUND

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