Athen: Kirche füllt soziale Lücke

Symbolfoto aus Griechenland
Gäbe es die karitative Arbeit der griechisch-orthodoxen Kirche nicht, würden viele hungern und frieren - in der Krise Griechenlands wird das sichtbar. Eine Reportage

Es ist besser hier gratis zu arbeiten, als gar nicht.“ Eleni Doulianaki, 34, ist Kinderärztin und seit einem Jahr arbeitslos. Seither lebt sie von ihrer Familie. „Es ist traurig, aber die Wahrheit“, sagt sie in perfektem Deutsch.

Eleni ist ein Paradebeispiel für die hochgebildeten jungen Fachkräfte, die in Griechenland keine Arbeit mehr finden. Sie hat in Deutschland studiert und ein Praxisjahr am Wiener AKH absolviert. Nun denkt sie „jeden Tag“ über das Auswandern nach. „Ich bin glücklich, zumindest hier etwas tun zu können.“ Seit Februar arbeitet Eleni mit großer Hingabe in der Freiwilligen Praxis, die in Zusammenarbeit zwischen der Erzdiözese Athen und der Ärztekammer betrieben wird. Die Praxis, eine Idee des Orthopäden George Patoulis, wird gestürmt von Patienten, die plötzlich ohne Versicherung dastehen, obwohl sie jahrelang Beiträge gezahlt haben. Würden hier die 238 Ärzte nicht umsonst ihre Dienste anbieten, stünden diese Leute ganz ohne ärztliche Versorgung da. „Und dann müssen die Ärzte auch noch für den Parkplatz bezahlen – sieben Euro die Stunde, alles ist teurer geworden“. Früher seien es hauptsächlich Migranten gewesen, die hier um Hilfe baten, heute gebe es immer mehr Griechen unter den Patienten. Das Zentrum in Athen betreibt Medikamentensammlungen und Impfkampagnen für Kinder – ohne Hilfe vom Staat. Man habe schon rund 4600 Menschen helfen können.

Die griechisch-orthodoxe Kirche füllt in der Krise ein soziales Vakuum, das der Staat hinterließ. „Menschen sind keine Zahlen“, ist das geflügelte Wort von Archimandrit Pater Maximos Papagiannis. Er koordiniert zusammen mit der kirchlichen NGO Mission Apostoli (ähnlich wie die Caritas) viele Hilfsprojekte, die ehemaligen Mittelständlern, großen Familien, Immigranten und Behinderten ein Dach über dem Kopf und Essen geben und versuchen, eine Perspektive aufrecht zu erhalten. Die Mission wurde erst 2010 gegründet, als Antwort auf die Krise. Die Projekte werden zu einem Drittel von der Kirche finanziert, ein kleiner Teil durch Förderungen der EU, aber hauptsächlich durch Spenden.

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Griechenland
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GRIECHENLAND
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"Keine Zeit zum Schlafen"

Spenden, wie jene 35.000 Euro, die durch ein Benefizfest in Wien im Juni gesammelt wurden. Bei seinem Besuch in Athen übergab Metropolit Arsenios von Austria die stattliche Summe an die Kirche. Das Geld aus Wien wird für einen Kindergarten eingesetzt, der in finanziellen Nöten ist. Spendengelder wandern in alle sozialen Einrichtungen der Kirche.

Etwa in die Einrichtung Damaris, bei der geistig Beeinträchtigte leben und behandelt werden; in das Zentrum Kokkori, für Mädchen und Frauen mit Down Syndrom, in die Paketstation, wo monatlich Tausende Pakete mit Konserven, Waschmittel und Seife gepackt werden, um sie an hilfsbedürftige Familien zu verteilen; in die Sozialsupermärkte, bei denen 200 Familien die Woche Lebensmittel erhalten; in die mobile Krankenstation für Leute, die sich keinen Arzt mehr leisten können.

Oder das Heim für Alzheimer-Kranke, die hier umsonst wohnen können. Normalerweise kostet eine solche Einrichtung etwa 2000 Euro im Monat, eine Summe, die sich die Angehörigen niemals leisten könnten. Hier kümmern sich 26 Leute um die Patienten, eine davon ist die 30-jährige Sozialarbeiterin Maria Spanou. Sie arbeitet hier ganztags und studiert nebenbei noch. „Für das Schlafen bleibt wenig Zeit. Aber die Energie kommt, wenn man tut, was einem Spaß macht“. Maria schätzt sich glücklich, immerhin kann sie in ihrem Feld arbeiten. Vielen ihrer Freunde geht es anders: „Sie würden jede Arbeit nehmen und viele denken ans Weggehen. Für unsere Generation ist das dramatisch.“

Soziale Stabilität

Besonders sichtbar ist die griechische Krise aber bei den täglichen gratis Essensausgaben: Lange Warteschlangen bilden sich vor den Leuten, die hier Schüsseln mit Essen verteilen. Hier kann jeder herkommen, man muss sich in keine Listen eintragen. 10.000 Mahlzeiten verteilt die Kirche im ganzen Land an 365 Tagen im Jahr. Es ist laut, riecht schlecht und die Stimmung ist angespannt. Niemand will hier gesehen werden, aus Angst die Nachbarn oder gar die eigene Familie könnte erfahren, dass man bei Fremden um Essen bittet. Hier ist auch Mary Pini anzutreffen, die freiwillig Hunderte Portionen verteilt. Sie war früher Journalistin bei der nun eingestellten Eleftherotypia, einst die zweitgrößte Zeitung Griechenlands. Heute hilft die Arbeitslose hier aus. „Der Zulauf an Bedürftigen wächst stetig, inzwischen sind es etwa 1000 Menschen täglich, die hier Essen erhalten.“

„Die soziale Stabilität ist in Griechenland in Gefahr“, sagt Pater Maximos, der schon viel Armut gesehen hat. „Alle sind betroffen, man erhält weniger Lohn und zahlt viel mehr Steuern. Ein Liter Milch kostet zwei Euro. Manche Pensionisten bekommen noch 300 Euro und müssen dann noch ihre Medikamente bezahlen. Die Familien haben nichts zu essen, obwohl die Menschen arbeiten. Das ist unglaublich in Europa.“ Manche Medien würden die Kirche anstacheln, den Leuten nicht mehr zu helfen. Dann würde es eine Revolution geben, die sich viele wünschen. „Das ist aber nicht Aufgabe der Kirche“, so Maximos. Solange wir helfen können, tun wir das.“ Das Problem sei, dass die Kirche selbst mit den Finanzen kämpft. Der Staat kürzte auch die Priesterlöhne; gleichzeitig benötigen immer mehr Menschen die Unterstützung der kirchlichen Einrichtungen.“Gottseidank gibt es Tausende Freiwillige“, sagt Pater Maximos.

Langzeitfolgen

„Die Leute von außerhalb sagen oft, sie sehen in Athen nichts von der Krise. Ich antworte dann immer: Wir werden nie Uganda sein“, sagt Konstantinos Dimtsas, der Chef von Apostoli. „Die Probleme liegen dort, wo die ganz normalen Leute ihre Kredite und Mieten nicht mehr zahlen können. Oder sie können ihre Kinder nicht impfen lassen Das sind Folgen, die sich noch lange Zeit auswirken werden. Und die EU ignoriert diese Probleme“. Bei vielen Kirchenvertretern schwingt bei Gesprächen über die Krise immer ein wenig Zorn auf die EU mit. Selbst beim Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche, Erzbischof Hieronymus.

„Menschlich muss man das verstehen“, sagt die österreichische Botschafterin, Melitta Schubert. „Wenn man hier in das SOS-Kinderdorf geht, sieht man Leute, die ihre Kinder abgeben, weil sie sie nicht mehr ernähren können. Die Menschen erdulden viel, es ist das fünfte Jahr der Rezession.“ Aber das Land habe schon erstaunliche Fortschritte erzielt, sagt die Botschafterin. „Erst muss man einmal die Abwärtsspirale stoppen. Wer weiß, vielleicht wird Griechenland einmal als Modell fungieren, wenn die Krise überwunden ist“.

Die griechisch-orthodoxe Kirche

Auch die griechische Kirche hat finanzielle Sorgen. 1833 wurden der orthodoxen Kirche zwei Drittel ihrer Immobilien weggenommen, im Gegenzug übernahm der Staat die Besoldung der Geistlichkeit – nun um bis 40% gekürzt. Seither wurden zudem 96% der verbliebenen Besitztümer enteignet bzw. von der Kirche zur Verfügung gestellt. Der Rest ist hauptsächlich Wald, der nicht anderweitig genutzt werden darf.Die Kirche zahlt die dreifache Grundsteuer von Körperschaften öffentlichen Rechts, 2011 zahlte sie insgesamt Steuern in Höhe von über 12,5 Millionen Euro.Sie betriebt Suppenküchen, Sozialläden, Armenkassen, Kinderkrippen, Kindergärten, Altenheime, Spitäler Behindertenheime.

Spenden: Metropolis von Austria, Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien, Kontonr. 1-06.604.771,  Kennwort: “Alle Griechen"

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