Arbeitsmarkt: Österreich verliert EU-Spitzenplatz
Da kann etwas nicht stimmen: Schon seit beinahe drei Jahren steigen die Arbeitslosenzahlen ununterbrochen, gleichzeitig weist Österreich ebenso ununterbrochen die niedrigste Arbeitslosenquote innerhalb aller EU-Länder auf. Auch im Juli war das nicht anders (siehe unten).
Vom prestigeträchtigen Spitzenplatz im EU-Ranking muss sich Österreich aber schon bald verabschieden. Zum einen liegt Musterschüler Deutschland nur noch 0,1 Prozentpunkte hinter Österreich, zum anderen muss die Eurostat-Quote bald neu berechnet werden. Die auf Haushaltsbefragungen (Mikrozensus) basierende Arbeitslosenquote weist nämlich zu niedrige Werte aus – schon seit Jahren.
Untererfassung
Reagiert hat die Statistik Austria auf diese Untererfassung bisher nicht. „Es ist geplant, dass wir ab dem nächsten Jahr die Gewichtung verbessern“, heißt es im zuständigen Referat. Im Zuge der Neuerfassung könnten auch die EU-Quoten der letzten Jahre revidiert werden.
AMS-Vorstand Johannes Kopf glaubt nicht, dass die Untererfassung von Arbeitslosen ein österreichisches Phänomen ist, in südlichen Ländern sei die Problematik noch größer. Er hält zwar die EU-Quote auch für zu niedrig, aber „aus moralischen Gründen“, weil grundsätzlich viel weniger Arbeitslose unter die EU-Definition fallen als von der nationalen Zählung (AMS) erfasst werden.
Rückfall
Unabhängig davon könnte noch im Sommer Österreich hinter Deutschland, wo die Arbeitslosigkeit seit Monaten sinkt, zurückfallen. Bei der Jugendarbeitslosigkeit ist dies bereits der Fall. Als Gründe für die viel schlechtere Entwicklung als beim wichtigsten Wirtschaftspartner nennen Experten das aktuell geringere Wirtschaftswachstum in Österreich, die Auswirkungen der Pensionsreform bei den über 50-Jährigen und der stärkere Zustrom auf den Arbeitsmarkt.
Letzterer schlägt sich bei Konjunkturschwäche zwar auf die Arbeitslosigkeit nieder, könnte langfristig gesehen aber zum Vorteil werden, glaubt Kopf: „Deutsche Arbeitsmarkt-Experten beneiden uns um die starke Zuwanderung, weil sie demografisch bedingt bald einen Arbeitskräftemangel fürchten.“
Arbeitslosenquoten: Zwei Berechnungen, zwei Ergebnisse
Nationale Quote (7,3%)
Bei der nationalen Berechnung werden die registrierten Arbeitslosen zum Arbeitskräfte potenzial (nur unselbstständig Beschäftigte + Arbeitslose) in Relation gesetzt. Schulungsteilnehmer fallen nicht in die Berechnung der nationalen Quote hinein. Sonst wären es knapp 9 %.
Eurostat-Quote (5,0%)
Diese beruht auf Haushalts- befragungen. Die Zahl der Arbeitslosen wird im Verhältnis zum Arbeitskräfteangebot, also inkl. Selbstständiger, betrachtet. Arbeitslos nach Definition der International Labour Organisation (ILO) sind Personen, die während der Befragungswoche nicht einmal eine Stunde erwerbstätig waren, aktiv einen Job suchen und sofort (innerhalb von zwei Wochen) für eine Arbeitsaufnahme verfügbar sind. Es ist fraglich, wie Menschen bestimmte Situationen wie Krankheit, Kursteilnahmen, Einstellzusagen etc. bei der Fragebeantwortung interpretieren.
.Am heimischen Arbeitsmarkt ist keine Entspannung in Sicht. Ende Juli gab es inklusive Schulungsteilnehmer 351.313 Arbeitslose, um 9,7 Prozent mehr als vor einem Jahr. Überdurchschnittlich stieg die Arbeitslosigkeit erneut bei den Ausländern, über 50-Jährigen sowie gesundheitlich Beeinträchtigten. Branchenmäßig waren der Bau, die Arbeitskräfteüberlassung sowie der Handel am stärksten betroffen. Auch die Lehrstellenlücke hat sich vergrößert. Einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen erwartet das AMS erst Mitte 2015.
Weil sich die Arbeitslosigkeit verfestigt, wird der Ruf nach Gegenmaßnahmen lauter. Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl fordert eine Wohnbauoffensive sowie Steuererleichterungen für Betriebe. Die Arbeiterkammer will mehr Jobs für Ältere schaffen und pocht auf auf Umsetzung ihres Bonus-Malus-Systems. Um die Nachfrage anzukurbeln, will Sozialminister Hundstorfer kleine und mittlere Einkommen rasch entlasten.
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