Beamte sollen AMS mitfinanzieren
Arbeitslosigkeit ist längst kein Einzelschicksal mehr, sondern ein Massenphänomen. Pro Jahr werden in Österreich 850.000 Beschäftigte mindestens ein Mal arbeitslos. Die steigende Zahl an AMS-Kunden hat nicht nur mit der Konjunktur, sondern auch mit der Saisonalität (Tourismus) und Flexibilität des Arbeitsmarktes zu. Instabile Arbeitsverhältnisse wie Befristung, Zeitarbeit, Teilzeit, Werkverträge oder geringfügige Beschäftigung haben zugenommen, die Folge sind häufige Jobwechsel.
Österreichs System der Arbeitslosenversicherung stammt noch aus Zeiten stabiler Vollbeschäftigung und nimmt auf diese strukturellen Veränderungen zu wenig Rücksicht, sagen Experten. Die Regierung hat sich daher vorgenommen, die Arbeitslosenversicherung zu modernisieren. Die Sozialpartner stecken bereits ihre Positionen ab. Es geht unter anderem um folgende Themen:
Finanzierung
Die Versicherung soll die Existenzsicherung gewährleisten, doch die immer wichtiger werdenden Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen durch das AMS sind damit nicht abgedeckt. Die Arbeiterkammer (AK) will dafür den Kreis der Beitragszahler ausweiten und kann sich eine "Arbeitsmarktförderabgabe" für all jene vorstellen, die derzeit keinen Beitrag zur Arbeitsmarktpolitik leisten, etwa Beamte oder Freiberufler. "Dies brächte pro Jahr bis zu einer halben Milliarde Euro mehr fürs AMS-Budget", rechnet AK-Arbeitsmarktexperte Gernot Mitter vor.
Weiters sollen Unternehmen, die viele Kündigungsfälle haben, etwa Saison- oder Leiharbeitsbetriebe, höhere Beiträge einzahlen. "Firmen rechnen die Arbeitslosigkeit in ihr Geschäftsmodell hinein", begründet Mitter. Ein erster Testlauf der "erfahrungsbasierten Arbeitslosenversicherung" (Experience Rating) war die Kündigungsabgabe, die dem AMS im Vorjahr immerhin 25 Millionen Euro mehr einbrachte, aber mangels Lenkungseffekt wieder abgeschafft wurde.
Die Wirtschaftskammer (WKO) lehnt Bestrafungsabgaben strikt ab. "Wir brauchen die Fluktuation", sagt Sozialexperte Martin Gleitsmann und fordert stattdessen mehr Anreizsysteme für eine rasche Jobaufnahme. "Nur hohe Beschäftigung sichert die Finanzierung." IHS-Arbeitsmarktexperte Helmut Hofer kann sich zwar ein sinnvolles Experience Rating vorstellen. Es könnten damit aber notwendige Rationalisierungen verhindert werden. Eine Art AMS-Abgabe von Personengruppen, die nie mit dem AMS konfrontiert sind, hält er für fraglich.
Geldleistung
Die AK fordert mit Verweis auf die Armutsgefährdung eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes von derzeit 55 auf zumindest 60 Prozent des Nettoeinkommens und eine längere Bezugsdauer. Dies würde zwar 230 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich kosten, aber auch die Kaufkraft ankurbeln. Die WKO will aus Kostengründen davon nichts wissen. Sie stöhnt bereits jetzt unter den hohen Lohnnebenkosten. "Durch die Notstandshilfe haben wir bereits jetzt eine sehr lange Bezugsdauer. Ziel muss sein, Jobaufnahmen und nicht den Verbleib in Arbeitslosigkeit zu fördern", argumentiert Gleitsmann. IHS-Experte Hofer glaubt, dass ein höheres Arbeitslosengeld "die Suchaktivitäten verringert". Eine bestimmte Differenz zwischen Arbeitslosen- und Einkommensbezug müsse bleiben.
Wie wirkt sich Arbeitslosigkeit auf die finanzielle Situation der Betroffenen aus? Das IFES-Institut befragte dazu kürzlich 500 Arbeitslose, die sich an die Beratung der Arbeiterkammer Wien wandten. Wichtigste Ergebnisse: Trotz zum Teil massiver Einschränkungen reichen bei 44 Prozent der Arbeitslosen die Einnahmen nicht aus, um die laufenden Haushaltsausgaben zu decken. Durchschnittlich verloren die Befragten – darunter ein Fünftel Teilzeitkräfte – während der Arbeitslosigkeit 44 Prozent ihres Einkommens (siehe Grafik unten). Männer blieb mit 858 Euro im Monat mehr zum Leben übrig als Frauen mit 726 Euro, was vor allem auf die höhere Teilzeitquote zurückzuführen ist.
Österreichweite Daten der Statistik Austria weisen mit 854 Euro ein etwas höheres Durchschnitts-Einkommen der Arbeitslosen aus. Männer kommen demnach auf 922 Euro, Frauen auf 769 Euro. Je länger die Arbeitslosigkeit andauert, desto schwieriger wird die Lage.
Armutsrisiko
Bei mehr als 25 Wochen Arbeitslosigkeit wurden die finanziellen Einbußen bei fast zwei Drittel der Befragten zum großen Problem. "Bei längerer Arbeitslosigkeit steigt das Armutsrisiko enorm", so IFES-Studienautor Georg Michenthaler. Arbeitslosigkeit hat auch soziale Auswirkungen, etwa auf Freizeitgestaltung, soziale Kontakte oder Beziehung zur Familie. In der AK-Befragung gibt jeder dritte Arbeitslose an, ganz allgemein negative Auswirkungen zu spüren. Betroffen sind davon auch die Kinder von Arbeitslosen, die zum Beispiel auf Schulaktivitäten oder teure Nachhilfe verzichten müssen.
Jeder, der innerhalb der letzten 52 Monate mindestens 24 Monate pflichtversichert war. Der Arbeitslosenversicherungsbeitrag beträgt sechs Prozent (drei Prozent Arbeitnehmer, drei Arbeitgeber). Das Arbeitslosengeld setzt sich aus einem Grundbetrag – 55 Prozent des letzten Nettoeinkommens – und allfällige Familienzuschläge (bis ca. 65 Prozent) zusammen.
Die Bezugsdauer beträgt mindestens 20 Wochen und erhöht sich je nach Alter auf bis zu 52 Wochen. Es darf geringfügig dazuverdient werden.
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