"Anti-Stress-Gesetz" bisher zahnlos
Im Büro zieht es wie in einem Vogelhaus, ein Kollege rennt ständig am Handy telefonierend herum, die Aufgaben in der Abteilung sind völlig falsch verteilt: Es sind nicht immer große Probleme, die die Nerven am Arbeitsplatz strapazieren. Werden psychische Belastungen im Job aber dauerhaft ignoriert, münden sie nicht selten in stressbedingten Erkrankungen wie Burn-out oder Depression.
Psychische Probleme sind die Ursache für mehr als die Hälfte aller Krankenstandstage und Hauptgrund für die Invaliditätspension. Im Vorjahr erhielt Österreich deshalb eine Rüge von der OECD. Bei der erstmals gemessenen "Arbeitsqualität" belegt Österreich nur Rang 27 von 32 erfassten Ländern. Als Gründe werden auch hier vor allem lange Arbeitszeiten und hoher Zeitdruck angeführt.
Arbeitnehmerschutz
Die Regierung versucht mit dem "Anti-Stress-Gesetz" Druck auf die Betriebe auszuüben. Seit 2013 sind alle Arbeitgeber verpflichtet, nicht nur die physische, sondern auch die psychische Gesundheit ihrer Beschäftigten zu schützen. Doch der erweiterte Arbeitnehmerschutz sei zahnlos, kritisiert die Arbeiterkammer (AK). Zeitdruck und Flexibilitätsanforderungen seien zuletzt sogar gestiegen, beruft sich die AK auf eine Ifes-Umfrage unter 250 Betriebsräten heimischer Unternehmen. Zwei Drittel von ihnen klagen über einen gestiegenen Zeitdruck bei zugleich schlechter gewordenem Betriebsklima.
Kaske kritisiert, dass die Arbeitsinspektorate zu wenig streng prüfen und keine Strafen verhängen. "Zwei Jahre Schonfrist sind genug. Nur den Zeigefinger zu heben, reicht hier nicht aus", fordert Kaske "empfindliche Strafen" für unbelehrbare Unternehmen. Auch die Zahl der Arbeitsinspektoren – derzeit 309 für ganz Österreich – sollte aufgestockt werden.
Handvoll Anzeigen
Laut Sozialministerium gibt es bisher erst "eine Handvoll" Strafanzeigen.Man wolle den Betrieben Zeit geben, sich auf das neue Gesetz einzustellen und setze daher zunächst auf Beratung. Erst nach der dritten Kontrolle werde gestraft. Mehr Inspektoren werde es in absehbarer Zeit nicht geben.
Wirtschaftsbund-Generalsekretär Peter Haubner hält die AK-Umfrage überhaupt für "bloße Propaganda". Es stimme nicht, dass Arbeit krank mache, Betriebsräte hätten da mitunter ihre eigene Wahrnehmung. Haubner verweist auf eine aktuelle Gfk-Umfrage, die im Auftrag des Wirtschaftsbundes erstellt wurde. Demnach sind 78 Prozent der befragten Österreicher über 16 Jahre mit dem Betriebsklima an ihrem Arbeitsplatz sehr oder eher zufrieden.
Immerhin 82 Prozent sind auch bereit, Überstunden zu machen, nur 16 Prozent wollen eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden: "Die Bereitschaft zu Überstunden ist nur da, wenn ich auch Freude am Job habe", interpretiert Haubner. Unternehmer und Arbeitnehmer seien insbesondere in Klein- und Mittelbetrieben ein Team und keine Gegner. Von Strafen hält Haubner naturgemäß nichts, psychische Belastungen würden oft auch in Unternehmen "hineingetragen".
Evaluierung
Seit 2013 sind Betriebe verpflichtet, psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu erheben, von Experten beurteilen zu lassen und geeignete Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer umzusetzen („Anti-Stress-Gesetz“). Um festzustellen, welche Stressfaktoren einwirken, müssen Arbeits- und Organisationspsychologen einbezogen werden.
Sanktionen
Finden Arbeitsinspektoren Mängel, bekommt die Firma eine bestimmte Zeit, Maßnahmen zu setzen, dann erfolgt eine neuerliche Evaluierung. Erst nach der dritten Kontrolle wird gestraft.
Infos: www.gesundearbeit.at
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