Analyse: Woran die 24-Stunden-Pflege krankt

Schon 25.000 Österreicher nutzen die Pflege daheim
Der Pflegebedarf ist riesig, die Qualität zum Teil dürftig. Ein Gütesiegel verspricht Besserung.

Noch lange nicht perfekt, aber unverzichtbar: So lässt sich das System der 24-Stunden-Betreuung in Österreich zusammenfassen. Aus dem früheren Schwarzmarkt mit illegalen Pflegerinnen ist ein florierender Wirtschaftszweig entstanden. Schon 25.000 Österreicher nehmen diese Form der häuslichen Pflege in Anspruch, in zehn Jahren dürften es doppelt so viele sein. Mehr als 62.000 Personenbetreuerinnen aus Osteuropa arbeiten auf selbstständiger Basis (siehe Grafik). Halbwegs qualifizierte Kräfte zu finden wird immer schwieriger, durch den steigenden Bedarf droht massiver Personalmangel.

Bei weitem nicht das einzige Problem in dieser noch jungen, zersplitterten Branche. Es braucht dringend Reformen in folgenden Bereichen:

- Ausbildungsmängel: Grundvoraussetzung für die Tätigkeit als Personenbetreuerin ist eine Ausbildung zumindest als Heimhilfe. Diese Anforderungen erfüllen nicht alle, manche Frauen sind mit ihren Pflegefällen schwerst überfordert. Eine rumänische Pflegerin berichtete kürzlich von einem Schwarzmarkt mit gefälschten Pflegezertifikaten in Rumänien. Der Fall sei längst erledigt, die involvierten rumänischen Agenturen geschlossen, berichtet Robert Pozdena von der Fachgruppe Personenbetreuung in der Wirtschaftskammer Niederösterreich. Eine wirkliche Qualitätssicherung findet jedoch nicht statt.

Lösung: Der Pensionistenverband fordert einen eigenen "Betreuungsführerschein" als Basisvoraussetzung für den Job. Die Kosten seien von den Agenturen zu tragen. Die WKÖ, die das Problem bisher negierte, will mehr Pflegekurse in den Herkunftsländern anbieten und Weiterbildung etwa im Bereich Demenz forcieren.

- Agenturen-Wildwuchs: Jeder Lkw-Fahrer kann heute nebenbei Pflegekräfte vermitteln. Durch den ungeregelten Zugang gibt es inzwischen 700 registrierte Vermittlungs-Agenturen, seriöse Unternehmen müssen sich mit profitgierigen Goldgräbern herumschlagen, zum Teil wird aus dem benachbarten Ausland agiert. Die WKÖ schaffte es bis heute nicht, Ordnung in den Wildwuchs zu bringen. Seit 2016 gibt es zwar Standesregeln, deren Einhaltung kontrolliert jedoch niemand. Unterschiedlichste Qualitäts-Gütesiegel lassen die Konsumenten ratlos zurück.

Lösung: Agenturen, die sich einem Zertifizierungsprozess von Quality Austria und Wifi unterziehen, sollen ein österreichweit einheitliches Qualitätsgütesiegel erhalten. Pozdena rechnet, dass sich ein Drittel der Agenturen zertifizieren lässt. Ein Anfang.

- Fragwürdige Praktiken: Trotz Selbstständigkeit sind viele Pflegerinnen mit Knebelverträgen an Agenturen gebunden. Beispiel Inkassovollmacht (Treuhandlösung): "Die Agenturen haben die Frauen voll in der Hand, können sie jederzeit an- und abmelden und für ihre Dienste wie etwa Rechnungslegung beliebige Gebühren verlangen", berichtet ein Insider dem KURIER. Die Rechnungsadresse lautet auf die Agentur, obwohl die Pflegerin im selben Haushalt wohnt. Wie viel diese tatsächlich als Honorar bekommt, bleibt im Verborgenen, meist ist es nur ein Bruchteil der eingehobenen Summe. Es besteht zwar Transparenzpflicht, doch die Rechnungslegung ist nach wie vor ein riesiger Graubereich.

Lösung: Direkte Abrechnung mit der Betreuerin, die ja selbstständig ist. Falls diese Hilfe benötigt, könnte die WKÖ Einschulungen anbieten. Branchensprecher Pozdena pocht auf Wahlfreiheit.

- Gefährliche Transporte: Der jüngste Verkehrsunfall mit sieben toten Pflegerinnen in der Slowakei erschütterte das ganze Land. Der Fahrer war nämlich ermüdet eingeschlafen. Die An- und Abreise erfolgt nicht selten mit Fahrtendiensten, die ihren Buslenkern wenig bezahlen oder vorgeschriebene Fahrzeiten ignorieren. Manche Agenturen schneiden an den Fahrtendiensten selbst mit und ziehen Transportkosten vom Honorar der Pflegerin ab.

Lösung: Transport nur mit dafür konzessionierten und überprüften Fahrtendiensten. Dies soll Bestandteil der Zertifizierung sein.

- Fehlende Kontrollen: Pflegemissstände bleiben unerkannt, weil niemand hinschaut. Die Volksanwaltschaft kritisiert es schon länger, auch eine Wifo-Studie stellt fest: "Regelmäßige Überprüfungen der Betreuungsqualität in den Haushalten findet nicht statt." Nur nach einer Förderzusage gibt es eine einmalige – vorher angekündigte – Kontrolle. Eine Förderung wird mit Ausnahme von Niederösterreich erst ab Pflegegeldstufe 3 in der maximalen Höhe von 550 Euro bei zwei selbstständigen Betreuerinnen monatlich gewährt.

Lösung: Regelmäßige Qualitätskontrollen durch diplomiertes Pflegepersonal sollte bei Förderzusage obligatorisch sein, schließlich geht es um öffentliche Gelder.

Die (Schein-)Selbstständigkeit der 24-Stunden-Betreuerinnen aus Osteuropa sorgt immer wieder für Kritik. Vor allem die Gewerkschaft hätte gerne ein reguläres Angestelltenverhältnis. Dadurch könnten tausende neue Arbeitsplätze entstehen.

Eine Anstellung wäre aber bis zu vier Mal so teuer, geht aus einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) im Auftrag der Wirtschaftskammer hervor. Statt beispielsweise 2300 Euro pro Monat (ohne Förderungen) müsste laut Studie eine betroffene Familie dann mehr als 9000 Euro im Monat aufbringen.

Auch der administrative Aufwand wäre höher, so müssten etwa Urlaubsvertretungen gefunden werden. Die gesetzlichen Ruhensbestimmungen nach dem Hausbetreuungsgesetz sprechen ebenfalls gegen eine 24-h-Betreuung. Hier müssten erst neue Gesetze geschaffen werden. Für den Staat ist diese Form der Betreuung zu Hause wesentlich billiger als in einem Heim.

Allein das Land Niederösterreich erspart sich durch 500 eingesparte Heimbetten rund 8,3 Mio. Euro im Jahr. Der Bundeszuschuss zur Förderung der 24-h-Betreuung beträgt heuer rund 140 Mio. Euro.

Die Wifo-Studie ist auf der WKÖ-Homepage www.daheimbetreut.at abrufbar.

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