Welche Pharmafirmen vom Hype ums Abnehmen profitieren
Es liest sich wie eine Start-up-Story aus dem Silicon Valley – spielt aber im beschaulichen Kopenhagen und handelt von einem 100-jährigen, bisher eher faden Pharmakonzern: Seit Anfang September ist Novo Nordisk nicht nur der Börsestar des Jahres, sondern auch das wertvollste Unternehmen Europas.
Der aktuelle Firmenwert von 410 Mrd. Euro ist höher als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Dänemarks. Wie es dazu kam? Novo Nordisk fand so etwas wie den Stein der Weisen im Kampf gegen Fettleibigkeit. Der Wirkstoff Semaglutid, der seit Jahren zur Senkung des Blutzuckers bei Diabetes Typ 2 eingesetzt wird, eignet sich auch zum Abnehmen.
Umsatz-Boost
Novo hat mit Ozempic bereits länger einen solchen Diabetes-Pen am Markt. Seit mit Wegovy eine weitere Fertigspritze zur Selbstanwendung speziell für die Gewichtsreduktion die Marktzulassung in den USA und weiteren Ländern erhielt, explodieren Umsatz und Gewinn. Innerhalb von nur fünf Wochen nach der Markteinführung von Wegovy sei das Präparat so oft verschrieben worden wie andere Medikamente in vier Jahren, sagte Novo-Nordisk-Managerin Camilla Sylvest Anfang September gegenüber Bloomberg.
Für heuer erwarten die Diabetes-Spezialisten ein Umsatzplus von 32 bis 38 Prozent und ein Gewinnanstieg von 40 bis 46 Prozent. Der Aktienkurs hat sich seit 2020 mehr als verdreifacht. Novo Nordisk, mit ca. 30 Prozent Marktanteil größter Anbieter im Bereich der Behandlung von Diabetes und Fettleibigkeit, kann die Nachfrage bei Weitem nicht decken.
Der Gesamtmarkt ist mit einem geschätzten Volumen von 130 bis 140 Mrd. Dollar einer der größten Wachstumsfelder in der Pharmabranche. In den USA, wo es besonders viele Fettleibige gibt, wird Wegovy als Lifestyle-Produkt von Promis beworben. In Österreich ist Wegovy bisher nicht zugelassen, in der EU nur für stark Übergewichtige.
Viele Fälschungen
Der Hype um die Fettweg-Spritzen birgt aber auch große Risiken. So steigt die Anzahl an Fälschungen weltweit stark an. Auch in Österreich sorgten gefälschte Ozempic-Diabetesmittel Anfang Oktober für Spitalsaufenthalte.
Auch Meldungen über Suizidgedanken oder Selbstverletzungen als mögliche unerwünschte Nebenwirkungen sorgen für Verunsicherung. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA lässt die gemeldeten Fälle nun genau überprüfen. Meldungen, die auch den Aktienkurs beeinflussen. Als Wachstumsbremse sehen Beobachter auch die hohen Kosten für Wegovy, die von den meisten Krankenkassen nicht übernommen werden. Eine Therapie schlägt mit rund 5.000 Euro zu Buche. Und auch die Konkurrenz schläft nicht und drängt in den Wachstumsmarkt.
Der US-Hersteller Eli Lilly etwa beantragte für sein Diabetes-Medikament Mounjaro in den USA eine zusätzliche Zulassung zur Behandlung von Fettleibigkeit. Eine Entscheidung wird bis Jahresende erwartet. Der Konzern schraubte seine Umsatz- und Gewinnprognose für das Gesamtjahr nach oben. Die Aktie notiert zwar bereits in der Nähe ihres Allzeithochs, die Analysten von UBS gaben zuletzt eine Kaufempfehlung für Eli Lilly ab.
Der US-Diabetes-Spezialist Abbott, bekannt für sein Blutzucker-Überwachungsgerät „FreeStyle Libre“, hob trotz Abnehmspritzen-Hypes kürzlich seine Jahresprognose an. Der Konzern rechnet ebenfalls damit, dass die Krankenkassen zögern werden, die Abnehmspritzen zu bezahlen. Wegen der vielen Risiken und Nebenwirkungen gelten Pharma-Aktien grundsätzlich als volatil – und sind daher für versierte Anleger.
Verliererbranchen
Der Hype um die Spritzen gegen Übergewicht könnte indes Essgewohnheiten verändern – und damit ganze Märkte auf den Kopf stellen, mutmaßen Börsianer. Wer Appetitzügler konsumiert, greift seltener zu Süßem oder Fettem. Für Schoko- und Süßwarenhersteller, aber auch Fast-Food-Ketten, könnten dadurch magerere Zeiten anbrechen. Kursbewegungen nach unten bei Lindt, Nestlé, Unilever oder Danone wurden zuletzt als Marktreaktionen auf den Siegeszug von Wegovy gewertet. Da Nahrungsmittelkonzerne aber nicht nur Süßes verkaufen, sondern breit aufgestellt sind‚ sei das „Abnehmrisiko“ für die Aktien überschaubar, halten andere Analysten entgegen.
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