"Abfertigung neu" nur halb so hoch wie versprochen

"Abfertigung neu" nur halb so hoch wie versprochen
Das seit 2003 bestehende System der Abfertigungskasse ist für treue Arbeitnehmer ein Verlust.

Im Jahr 2003, als in Österreich ein neues Abfertigungssystem für alle Arbeitnehmer eingeführt wurde, war der Glaube an einen anhaltenden Boom von Börsen und Anleihemärkten noch intakt: Sechs Prozent Ertrag pro Jahr hielten die Experten für realistisch und legten sie als Messlatte für die damals neu gegründeten Abfertigungskassen an.

Ein Jahrzehnt später sieht die Bilanz traurig aus: Nicht einmal die Hälfte der geplanten Renditen wurden erzielt.

Für die Arbeitnehmer heißt das: Sie werden niemals jene Abfertigungshöhen erreichen, die im alten System ausbezahlt wurden. Bis zu einem Jahresgehalt an Abfertigung waren früher erzielbar. Diese Höhe würde mit der Abfertigung neu nur dann erreicht, wenn ein Betrieb für einen Arbeitnehmer 40 Jahre lang in eine Kasse einzahlt, die jährlich durchschnittlich sechs Prozent Ertrag erwirtschaftet.

Das 2003 eingeführte Abfertigungssystem hat aber auch Vorteile: Alle Arbeitnehmer und seit 2008 auch Selbstständige können davon profitieren und das sogar, wenn sie selbst kündigen („Rucksackprinzip“). Im alten System hingegen hatten Arbeiter und Angestellte nur dann einen Abfertigungsanspruch, wenn sie gekündigt wurden oder in Pension gingen.

Heinz Behacker, Chef der VBV-Vorsorgekasse, einer der Großen unter den zehn heimischen Abfertigungskassen, will trotz der weit hinter den Erwartungen liegenden Performance nicht von einem Misserfolg sprechen. „Langfristig gesehen sind die Kassen erfolgreich. „Seit dem Start beträgt die Nettoperformance der VBV drei Prozent pro Jahr. Das liegt über den Sparbuchzinsen“, betont der VBV-Chef.

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Dennoch verbreitet sich unter den 2,3 Millionen Arbeitnehmern, für die in Abfertigungskassen einbezahlt wird – das sind schon 60 Prozent aller unselbstständig Beschäftigten – zunehmend Unzufriedenheit. Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl regte daher kürzlich eine „Runderneuerung des Systems“ an. Kernpunkt ist für ihn dabei eine Ausweitung jener Zeitspanne, ab der Arbeitnehmer das Geld aus den Kassen abziehen können. Derzeit ist dies bei Jobwechsel nach drei Jahren möglich. Die Kassen bemängeln, dass diese Frist zu kurz ist, um Gelder ertragreich anlegen zu können.

Pensionsexperte Bernd Marin meint dagegen, dass vor Start der Abfertigungskassen ganz einfach „viel zu viel versprochen wurde“.

Mehr Wettbewerb

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Die jüngste und kleinste der Abfertigungskassen, fair-finance, die erst im März 2010 begonnen hat, will den Markt aufmischen. „Wir haben die niedrigsten Gebühren und bieten als Einzige eine Mindestzinsgarantie von 2,25 Prozent“, wirbt Markus Zeilinger, fair-finance-Chef, für seine Abfertigungskasse. Bisher kann sich auch die Performance sehen lassen: Mit 9,97 Prozent Ertrag 2011 lässt fair-finance die anderen Kassen weit hinter sich. Zeilinger macht für den Erfolg aber nicht nur die nachhaltige Veranlagunsstrategie verantwortlich, sondern auch ein bisschen Glück: Denn fair-finance hat im März 2011 viel Geld von neuen Kunden bekommen und dieses in Staatsanleihen guter Bonität investiert. Damit konnte die Kasse die vorjährigen Gewinne am Anleihemarkt voll ausschöpfen.

Den Wettbewerb beleben will Zeilinger aber auch durch eine Gesetzesänderung. fair-finance hat einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof gestellt: Dieser soll klären, ob es rechtens ist, dass beim Umstieg eines Kunden in eine neue Abfertigungskasse, diese einen etwaigen Verlust der alten Kasse ausgleichen muss. „Das schränkt die Wahl- und Wechselfreiheit ein“, sagt Zeilinger. Ist der Verlust nämlich sehr hoch, wird der Kunde keine neue Kasse finden.

Abfertigung neu: Das Rucksack-PrinzipDas System 2003 wurde die Abfertigung neu eingeführt, die im Gegensatz zur alten Abfertigung bei Selbstkündigung nicht verfällt. Die Ansprüche des Arbeitnehmers werden „wie ein Rucksack“ in die nächste Firma mitgenommen. Der Arbeitgeber zahlt 1,53 Prozent der Lohnsumme in eine Abfertigungskasse ein, die die Gelder in Anleihen, Aktien etc. veranlagt. Derzeit liegt die Aktienquote bei 10 Prozent.

Die Fakten Für 2,326 Millionen Arbeitnehmer sparen Betriebe in zehn Abfertigungskassen an. Das sind 60 Prozent der unselbstständig Beschäftigten. Die anderen verbleiben im alten System, solange sie nicht Job wechseln. 4,3 Milliarden Euro an Abfertigungsansprüchen liegen derzeit in den Kassen. 2011 wurden 849 Millionen Euro neu einbezahlt. 336 Millionen Euro wurden an Arbeitnehmer ausbezahlt.

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